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Märchen aus Frankreich den Niederlanden und der Schweiz

Märchen europäischer Völker


Der kleine Däumling (Erste Version)

Es war einmal eine Frau, die hatte zwei Kinder: ein Mädchen und einen kleinen Jungen. Das Mädchen war sehr kräftig, der kleine Junge war ganz, ganz klein. Man hatte ihn den kleinen Däumling genannt.

Eines Tages sagte die Mutter zu ihrer Tochter: »Du wirst jetzt die Tiere aufs Feld führen.«

Das Mädchen antwortet: »Das will ich gerne tun, aber ich will meinen kleinen Bruder mit mir nehmen.«

»Oh nein«, sagte sie, »das mußt du nicht tun. Es wird Regen geben, und du könntest ihn naß werden lassen.«



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»Doch, doch! Ich werde gut für ihn sorgen, und wenn Regen kommt, werde ich ihn sicher nach Hause zurückbringen.«

So hat das Mädchen den Däumling mitgenommen.

Gerade als sie auf dem Feld angekommen sind,. . . da kam der Regen. Der kleine Däumling hatte nicht mit seiner Schwester nach Hause zurückgehen wollen. Nebenan war ein Kohlrabifeld. Er hat gesagt: »Ich will mich unter einem Kohlrabiblatt verstecken: ich werde nicht naß.«

Und das Mädchen, es hat gemacht, daß es nach Hause kam.

Ja, aber währenddessen sind die Kühe in den Kohiraben gewesen, sie haben den Däumling gefressen.

Wahrhaftig, da kommt das Mädchen zu Hause an, und seine Mutter fragt es: »Was hast du mit deinem Bruder gemacht?«

»Oh«, sagte es, »ich habe ihn dagelassen. Er hat nicht mitkommen wollen. Er hat sich unter einem Kohlrabiblatt verkrochen; da ist er gut aufgehoben! Er muß nur dort sitzen bleiben.«

»Oh Gott, was hast du da angestellt! Die Kühe werden kommen und die Kohlrabiblätter fressen, und sie werden deinem kleinen Bruder Leid antun!«(Er war ganz, ganz klein. Deswegen hatte man ihn ja den kleinen Däumling genannt.)

Die Mutter läuft so schnell sie kann und kommt auf das Feld. Sie ruft: »Oh, kleiner Däumling! . . . Oh, kleiner Däumling!«

»Ich bin im Bauch des Ochsen Guivet! . . Ich bin im Bauch des Ochsen Guivet!«

»Oh, was für ein Unglück habe ich heute, was für ein Unglück! Was soll ich tun, was soll ich tun, um den kleinen Däumling wiederzubekommen?. . . Auf! Ich muß den Metzger holen und dann den Ochsen schlachten lassen! «

So hat der Metzger den Ochsen getötet. Sie haben überall gesucht, überall: sie haben den Däumling nicht gefunden. Dann hat der Metzger die Eingeweide genommen: er hat sie auf einen Weg geworfen, auf einen Hohlweg nahe beim Schlachthof.

Wahrhaftig, da kam in der Nacht ein Wolf daher: er hat das Eingeweide gefressen und auch den Däumling verschlungen. Und der Wolf ist überall umhergestreift; aber er konnte nichts mehr fangen: sobald er irgendwo hinkam, um Ziegen zu fressen oder um Lämmchen zu fressen, rief der kleine Däumling in seinem Bauch:

»Jagt den Wolf davon,
Schöne Hirtinnen,
Jagt den Wolf davon,
Der zu euch kommt!«



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So kam es, daß der Wolf immer magerer wurde. Er konnte nichts mehr fangen! Eines Tages hat er den Fuchs getroffen. Der Fuchs fragte ihn: »Machst du gute Geschäfte?«

»Oh, mein Lieber, laß mich doch in Ruhe«, sagte er. »Ich komme um vor Hunger! Ich bin untröstlich: Ich weiß nicht, was ich in meinem Bauch habe; sobald ich irgendwo hinkomme, um irgend etwas zu fangen, dann ruft es:

>Jagt den Wolf davon,
Schöne Hirtinnen,
Jagt den Wolf davon,
Der zu euch kommt!<

Darum hetzen die Hirtinnen die Hunde auf mich, und dann fallen sie mit Stockschlägen über mich her! Und mein Lieber, es bleibt mir nichts übrig, als zu sehen, daß ich fortkomme!«

»Oh«, sagt der Fuchs, »wie dumm du bist! Warte nur«, sagt er, »ich werde dich bald davon befreien. Du mußt mit mir kommen: Ich lasse dich zwischen zwei ganz eng zusammenstehenden Zaunpfosten hindurchgehen. Ich verspreche dir, ich werde schon aus dir herausbringen, was du im Bauch hast!«

Sie haben sich also auf den Weg gemacht. Er hat ihn durch einen Zaun kriechen lassen: er stieß ihn von hinten, lief auf die andere Seite und zog ihn am Hals! Er hat ihn beinahe ersticken lassen, so war der andere eingezwängt! (Das kann man wirklich glauben!) Schließlich ist es ihm gelungen, den kleinen Däumling herauszubringen...

So ist der kleine Däumling also herausgekommen. Neben dem Zaun lag ein großer Stein. Er hat sich ganz schnell unter diesem großen Stein versteckt. Der Wolf und der Fuchs hatten keine Zeit, ihn zu bemerken, dann sind sie fortgerannt.

Einen Augenblick später kommen zwei Diebe, die sich ausgerechnet auf diesen großen Stein gesetzt haben, um ihr Geld zu zählen. Derjenige, der die Geldbörse hatte, machte drei Teile anstatt zwei. Er sagte:

»Das ist mein Teil, das ist dein Teil, und das ist mein Teil!«

Aber der andere sagte:

»So geht es nicht!«

»Wie? Warum geht das nicht? Schau, das ist mein Teil, das ist dein Teil, und das ist mein Teil!«

»Aber«, sagt er, »dann hast du ja zwei Teile, und ich habe nur einen!« Nun, ihr werdet verstehen, das langweilte den kleinen Däumling, der alles mit anhörte. Als der andere noch einmal wiederholte: »Das ist mein Teil, das ist dein Teil, und das ist mein Teil«, hat er gerufen:



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»Und . . mein. . . Teil.

Oh je! Die Diebe haben Angst bekommen: sie haben gelaubt, daß da jemand gekommen sei, um sie festzunehmen. Sie haben alles zurückgelassen: Sie haben sich davongemacht, wie Diebe, die sie ja nun einmal waren. Es sah aus, als ob der Teufel sie entführte.

Dann ist der kleine Däumling unter seinem Stein hervorgekrochen. Er hat das ganze Geld in seine Schürze gesammelt und hat es seiner Mutter gebracht.

Und das wär's!


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