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Kapitel 

VOLKSMÄRCHEN DER KABYLEN

I. BAND


WEISHEIT

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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EINBANDZEICHNUNG VON VON F. H. EMCKE


24. Schrecknisse der Kirchhöfe

Auf den Kirchhöfen der Kabylie gibt es verschiedene schlimme Geschöpfe. Deshalb soll man es nachts vermeiden, über die Kirchhöfe zu gehen. Da nun aber viele Wege so angelegt sind, daß man "Dörfer der Toten" durchgehen muß, so ist es nicht immer möglich, dies zu vermeiden. In solchen Fällen kann man aber wenigstens allerhand Vorsicht beobachten. Jedem der schlimmen Geschöpfe gegenüber muß man seine Maßnahmen treffen.

Am meisten, zumal von Frauen, gefürchtet ist Zuera, das ist eine Frau oder ein Geschöpf wie eine Frau, das geht nachts über den Kirchhof und wittert nach guter Speise, zumal nach gekochtem Fleisch. Sie ist zunächst nicht größer als eine gewöhnliche Frau. Kommt nun aber ein menschliches Weib über den Kirchhof, das auf dem Kopf einen Topf mit Speise, darunter auch gekochtes Fleisch, trägt, so riecht das Zuera sofort. Dann kommt Zuera. Zuera wächst bis zum Himmel empor. Zuera wird dünn und lang und länger, bis man meint, ihr Kopf stoße an den gestirnten Himmel. Dann beugt sich Zuera vornüber und zur Erde herab und greift nun vom Himmel her aus dem Topf alles Essen heraus, das ihr zusagt. Die menschliche Frau steht dann starr und kann nichts dagegen machen, daß Zuera ihr aus dem Topfe, den sie auf dem Kopf trägt, alles herausnimmt. Im übrigen tut ihr die Zuera nichts weiter, als daß sie die Frau mit dem likitsan genannten, mit Dornen besetzten Tuch ins Gesicht schlägt, was zur Folge hat, daß die menschliche Frau nicht recht sehen kann.

Auch Männer, die von einem feinen Mahle heimkehren und noch den Duft des Fleisches ausströmen, überfällt sie. Diese wirft sie hierhin und drängt sie dahin und erfreut sich an dem Fleischgeruch die ganze Nacht. Nachteilige schlimme Folgen hat das aber auch für die Männer nicht.

Gegen Zuera kann man sich sehr einfach schützen. Man braucht nämlich nur einen eisernen Gegenstand, ob klein, ob groß, ob Nadel, Messer, Nagel, Hacke, Beil oder was sonst, bei sich zu tragen. Einem Menschen, der einen eisernen Gegenstand bei sich trägt, weicht Zuera aus.

Ein Mann, der sehr tapfer ist, braucht sich aber vor Zuera nicht nur nicht zu fürchten, er kann Zuera auch sein Glück abringen. Er braucht nämlich nur auf Zuera zuzuspringen, sie um die schmale



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Taille zu packen, und kann dann von ihr verlangen, was er will. Zuera, auf solche Weise gefaßt, gewährt jede Bitte.

Msisisl-is'chuen ist eine andere schreckliche Schöpfung. Msisisl-is'chuen stürzt sich nachts hinter Reitern auf den Kirchhöfen her und verfolgt sie, wie dies sonst nur Schakale tun. Im Dunkel der Nacht sieht Msisisl-is'chuen auch aus wie ein Schakal. Und doch ist er ein Sack mit Blut. Einmal ritten vier Reiter über einen Kirchhof und wurden dann von Msisisl-is'chuen verfolgt. Drei von ihnen ritten, so schnell sie konnten, von dannen. Der vierte aber schoß auf das verfolgende Geschöpf. Beim siebenundsiebzigsten Schuß fiel es tot hin und sah nachher bei Tageslicht aus wie eine Landkröte. Seitdem weiß man, daß man siebenundsiebzig Schüsse abgeben muß, um Msisisl-is'chuen zu töten. Dann stirbt es für immer. Msisisl-is'chuen ist hervorgegangen aus einer Landkröte (amkörrkörr [Kröte] awale [Land]). Das ist alles, was man von ihm weiß.

Eine dritte schreckliche Sache, die auf den Kirchhöfen nachts umgeht, ist Aidid-nthi, welcher die Menschen nachts zuweilen bis zum Tode erschreckt, aber durch Gebete und Gewehrschüsse niedergehalten werden kann. Dies ist ein Fellsack, der mit Öl gefüllt ist. Er ist das Öl, das an den Gräbern für solche Leute geopfert ist, die von Athräjen wegen ihrer Schlechtigkeit sogleich nach dem Tode mit der Albus zerschlagen worden sind, die aber nicht mehr imstande sind, das ihnen geopferte Öl zu nutznießen. Dieses Öl sammelt sich in dem Fellsack und treibt sich dann zum Schrecken der Menschheit als Aidild-nthi auf den Kirchhöfen umher.


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