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Märchen aus Frankreich den Niederlanden und der Schweiz

Märchen europäischer Völker


Die beiden Buckligen

Da gab es vor noch gar nicht so langer Zeit in Omont einen Buckligen, den man wahrhaftig zu den Buckligen mit froher Laune zählen konnte. Er lachte und sang den ganzen Tag, und da er zudem eine gute Stimme hatte, war es ein Vergnügen, ihm zuzuhören. Er war geradeso fröhlich wie der Hanswurst selber, der heimliche König ihrer Bruderschaft.

Unser Buckliger betrieb das Schneiderhandwerk, er war ein sehr guter und tüchtiger Schneider und ringsum sehr angesehen und beliebt. Den ganzen Tag über saß er mit gekreuzten Beinen auf seinem Tisch, nähte und sang mit dem gleichen Eifer.

Nur ein einziger Kummer quälte unsern Freund: er konnte nicht mit den jungen Burschen und Mädchen des Landes tanzen. Auch hätte sicher keines der Mädchen ihn zum Manne genommen, und so lief er Gefahr, dereinst ein alter Hagestolz zu werden.

Da enthüllte ihm ein alter Mann des Dorfes, dem er seine Not anvertraute, ein Geheimnis: »Kennst du die alte, verkrüppelte Eiche, die sich beim Kreuzweg zwischen Omont und Chagny erhebt?«

»Aber sicher!« antwortete der Schneider. »Das ist eine verfluchte Eiche, und niemand hält sich gern lange in ihrer Nähe auf; denn es wird davon gesprochen, daß die Höllenteufel jeden Samstag dort hinkommen und da ihren Höllentanz aufführen.«

»Pöh!«machte der Greis, »dessen bin ich mir nicht so sicher. Daß dort irgendeine Hexerei vor sich geht, das glaube ich freilich gern. Aber es sind nicht alle Teufel böse Teufel. An deiner Stelle würde ich mein Glück versuchen und gegen Mitternacht dort eine kleine Runde machen. Die geheimnisvollen Wesen, die an dem Kreuzweg herumspuken, können dich vielleicht von deinem Gebrechen heilen.«

»Schönen Dank auch, Alter! Ich will Eurem Rat folgen.«

>Schließlich<, so überlegte sich unser junger Mann, >was setze ich schon aufs Spiel, wenn ich zu dieser alten Eiche gehe? Ich weiß wohl, daß man ihr den Beinamen >Alter Ziegenbock<gegeben hat und daß behauptet wird, sie sei behext. Aber wenn die Teufel mich nicht heilen sollten, können sie mich doch jedenfalls nicht häßlicher machen, als ich so schon bin.<

Also beschloß er, einen Versuch zu wagen. Am folgenden Samstagabend verließ er seine Wohnung. Die Nacht wahr sehr dunkel, der Mond noch nicht aufgegangen. Jetzt bekam unser Freund doch Herzklopfen. Aber er war fest entschlossen, das Abenteuer bis zu Ende zu gehen.



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Er wanderte lange. Endlich bemerkte er die Wegkreuzung. Zugegeben —der Ort war finster; kein Haus, nicht ein Lichtschimmer zu sehen. Mitten auf der Kreuzung erhob sich die alte Eiche, deren verkrüppelte Äste im Dunkeln wie Arme aussahen, die mit geballten Fäusten gen Himmel drohten. Keinerlei Laut, Totenstille .

>Das ist ein Ort<, sagte sich unser Buckliger, >der wohl von Christenmenschen nicht häufig besucht wird. Und ich möchte selber wohl ganz gern wieder umkehren.< Genau in diesem Augenblick schlug es am Kirchturm von Omont Mitternacht, zwölf harte Schläge. Aber unser Mann achtete schon nicht mehr darauf. Er riß die Augen auf:

Ein Windstoß hatte die Wolken auseinandergetrieben; der Mond zeigte sich jetzt und goß sein Licht über die Kreuzung. Plötzlich schien ein Schwarm kleiner Kobolde unmittelbar aus dem Erdboden hervorzusprudeln. Sie sahen durchaus nicht sehr schrecklich aus, diese kleinen Kobolde. Sie spielten unter sich, purzelten übereinander und schossen Kobolz, neckten und foppten sich gegenseitig. Unserm Mann schenkten sie keinerlei Aufmerksamkeit, der, höchst neugierig und nun ohne jede Angst, sich hinter einem dicken Gebüsch versteckt hielt und vergnügt und gespannt zuschaute.

Auf ein Zeichen ihres Anführers faßten sich die Kobolde bei den Händen und begannen, rund um den »Alten Bock«herumzuspringen, zu tanzen und dabei im Chor zu singen:

»Montag, Dienstag,
Mittwoch, Donnerstag

Aber der Gesang klang nicht eben besonders. Sie stockten, fingen von neuem an, zögerten. Der Anführer wurde ungeduldig - und dann zeigte sich's ganz deutlich: sie kannten das Lied nicht vollständig. Sie wiederholten unermüdlich:

»Montag, Dienstag,
Mittwoch, Donnerstag

und suchten spürbar die Fortsetzung, die sie einfach nicht wiederfinden konnten.

Nach einer Weile hielt es unser Buckliger nicht mehr aus. Er huschte aus seinem Versteck, wagte sich in die Mitte der Lichtung, und mit der stärksten und wärmsten Stimme, zu der er fähig war, stimmte er das Lied an und sang es vollständig:

»Montag, Dienstag,
Mittwoch, Donnerstag,
Freitag, Samstag -
und Sonntag noch dazu.«



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Da gab es eine wahre Freudenexpiosion. Sämtliche Kobolde wiederholten das nun endlich vollständige Lied im Chor, und voller Eifer betonten sie die beiden letzten Zeilen, die sie jetzt endlich konnten:

»Freitag, Samstag -
und Sonntag noch dazu.«

Sie zogen den Buckligen von Omont in ihre Runde, der mit ihnen hin und her hüpfte und aufs schönste sang, bis er vor Erschöpfung zu Boden sank.

Die Kobolde hielten inne. Dann betrachteten sie ihn näher, und ihr Anführer ergriff das Wort:

»Obwohl du ein Mensch bist und wir es nicht sehr lieben, Berührung mit den Menschenwesen zu haben, bist du doch ein sehr tüchtiger Kobold und hast uns einen großen Dienst erwiesen. Wir hatten die Erinnerung an einen Teil dieses Liedes verloren, und weil wir ihn so völlig vergessen hatten, waren wir zu sehr mühsamen Arbeiten verurteilt worden. Daher wollen wir dich belohnen. Sprich: was erwartest du von uns?« »Auf Ehre, meine Herren Kobolde, da ihr mich schon danach fragt, möchte ich euch sagen, daß ich da auf dem Rücken eine Last trage, die mich wirklich sehr behindert. Wenn eure Macht und Güte es fertigbrächte, mich davon zu befreien, wäre ich euch tatsächlich ganz außerordentlich dankbar . .

»Wenn's weiter nichts ist!«riefen die Kobolde aus, »das, guter Freund, ist leicht getan.«

Lediglich einige geheimnisvolle und (für Ohren von unsrer Größe) unverständliche Worde wurden über ihn ausgesprochen - und schon war der Buckel verschwunden. Unser Freund stand da -gerade wie ein 1 und flink und munter, als ob er nie verunstaltet gewesen wäre.

Nun nahmen die Kobolde noch ein- oder zweimal ihr Lied und ihren Tanz wieder auf. Aber in diesem Augenblick ließ sich ein dumpfes Brummen vernehmen, und alle Kobolde verschwanden im Nu. Nur ihren Gesang hörte man noch, der immer schwächer wurde:

»Freitag, Samstag -
und Sonntag noch dazu.«

Der Schneider von Omont fand sich im Grase sitzend wieder; er rieb sich die Augen und fragte sich, ob er nicht geträumt habe. Aber nein, kein Zweifel war möglich: der Buckel war nicht mehr auf seinem Rücken! Heiter wie ein Buchfink eilte er zurück ins Dorf.

In Omont gab das eine tolle Überraschung, das kann man wohl sagen; denn unser Handwerker war sogar um eine Handbreite gewachsen. Man wollte ihn nicht wiedererkennen. Alles drängte sich, ihn zu sehen.



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Man versuchte, seinen Buckel zu betasten, doch der Held dieses Abenteuers war zum schlanksten Burschen des Dorfes geworden.

Immer und immer wieder mußte er alle Einzelheiten seines nächtlichen Erlebens erzählen und ließ sich im übrigen auch nicht lange darum bitten. Beim Ball am darauffolgenden Sonntag gab es keinen unermüdlicheren Tänzer - und auch keinen, der begehrter gewesen wäre.

Was unfehlbar kommen mußte, trat alsbald ein: Die Mädchen verschmähten diesen Schneider nicht mehr. Ja, schon einen Monat später verlas der Herr Pfarrer von Omont das Aufgebot für den Schneider mit dem schönsten Mädchen des Dorfes.

Aber die Geschichte ist damit noch nicht zu Ende.

In Chagny, einem Dorfe, das eine halbe Meile von Omont entfernt liegt, gab es auch einen Buckligen, einen Mann, der ungefähr gleichen Alters war wie der Schneider, aber nicht dessen Frohsinn besaß. Die Last, die er auf seinem Rücken trug, hatte nie aufgehört, ihn zu verdüstern. Er hatte sich nie damit abfinden können, bucklig zu sein, und versäumte keine Gelegenheit, über das Leben zu jammern und sich zu beklagen. Das gleiche tat er über sein Handwerk, er war Schuhmacher, und das ist doch schließlich gar kein so übler Beruf.

Seinen Nachbarn von Omont, der trotz seines Buckels stets so guter Laune geblieben war, hatte er immer scheel angesehen. Als er von dem Glück seines Kameraden erzählen hörte, glühte er vor Neid. Fast hätte er darüber die Gelbsucht bekommen. Schließlich aber sagte er sich: >Warum sollte ich's nicht genauso machen? Die Kobolde haben mich vielleicht nötig und nehmen auch mir meinen Buckel ab.<

Aber er zauderte noch; denn das muß ich euch noch sagen: der Schuster von Chagny war nicht gerade sehr mutig. Tatsächlich zitterte er sogar vor Angst bei dem Gedanken, sich um Mitternacht allein zu dem Kreuzweg zu begeben.

Aber reifliches Überlegen und sein wachsender Neid brachten ihn zum Entschluß. Er nahm das bißchen Mut, das er besaß, in beide Hände, und an einem Samstagabend - es war etwa drei Monate her, daß der Schneider von Omont es ebenso gemacht hatte -wanderte er zu der alten, verkrüppelten Eiche. Die Nacht war eher schon kühl; dennoch schwitzte unser Schuster dicke Tropfen -derart war er von Angst und Schrecken geplagt.

Nach einer Stunde des Wartens traten die gleichen Ereignisse ein, die wir bereits kennen: der Boden erbebte, und die Kobolde erschienen. Zähneklappernd flüchtete sich der Bucklige von Chagny ins Gestrüpp.



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Genau wie beim ersten Mal fingen die Kobolde an zu tanzen; aber sie schienen weniger lustig zu sein als das erste Mal. Gleichwohl stimmten sie das Lied an:

»Montag, Dienstag,
Mittwoch, Donnerstag -«

Und dann stockten sie. Denn, ihr habt's schon erraten: diese armen Kobolde hatten alles andere als ein gutes Gedächtnis. Sie hatten den Rest des Liedtextes schon wieder vergessen.

Da zeigte sich ihnen der Schuster. Aber er zitterte am ganzen Leib und war völlig aufgeregt. Und dann hatte er auch keine gute Stimme. Daher sang er ziemlich meckernd und schwerfällig:

»Freitag
und Sonntag noch dazu.«

Ach, er hatte einen Tag der Woche vergessen! Aber die Kobolde merkten es sogleich:

»Das stimmt nicht!« schrien sie. »Dieser garstige Kerl hat sich geirrt. Oder hat er uns sogar täuschen wollen? Will er uns etwa erneut bestrafen lassen? Und er singt sehr schlecht; man sollte ihn züchtigen.«

»Ja, ja!« schrien alle Kobolde durcheinander.

»Verzeihung«, rief der Schuster völlig außer sich; »ich will noch mal anfangen.«

Aber nun fand er selber die Worte des Liedes nicht mehr und wiederholte nur immerzu:

»Freitag
und Sonntag noch dazu.«

»Hör auf, hör auf!«riefen die Kobolde. »Wir wollen ihm den Schabernack heimzahlen. Einen Buckel hat er schon. Wir werden ihm den Buckel seines Gefährten noch dazu auf den Rücken packen. Und hinaus, weg, fort mit ihm!«

Im nächsten Augenblick wurde der Schuster eingehüllt und verhext. Dann huschten die Kobolde flink davon.

Auch er fand sich im Grase sitzend wieder; doch was hätte er nicht alles dafür gegeben, daß er nur geträumt hätte.

Er sah von nun an tatsächlich aus wie der Hanswurst selber. Aber seltsam: seit er den Buckel seines Kameraden geerbt hatte, war er in seinem Wesen weit weniger mürrisch. Nur hat er niemand zum Heiraten gefunden und ist sein Leben lang ein alter Hagestolz geblieben.


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