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Kapitel 

VOLKSMÄRCHEN DER KABYLEN

I. BAND


WEISHEIT

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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EINBANDZEICHNUNG VON VON F. H. EMCKE


23. Die Trodiannin

Ganz sicher ist es aber, daß die Trochannin noch leben und die Menschen erschrecken. Es gibt unter uns Kabylen keinen einzigen, der diese Trochannin nicht selbst einmal im Leben gespürt hat. Sie wurden aber so geschaffen:

Einige Negerinnen (Neger ächeli; Plur.: äthileu; Negerin thächelits; Plur.: thächeläthin) tranken einmal an einer Quelle, die durch den Busch floß. Danach mußten sie Wasser abschlagen und pißten in den Busch und in die Quelle. Nach einiger Zeit kam ein Mann an der Stelle vorbei. Er war durstig. Er nahm einen Schluck Wasser in den Mund und spie es, als er es salzig fand, achtlos auf die Erde. Das empörte die Erde. Man soll nicht die Erde beschimpfen. Er trank dann noch weiter aus der Quelle. Dann aber kam er zur Strafe in die l'chäli (Sahara bei den Kabylen). Dort wurde er so durstig, daß, als er sich einmal einer Mühle näherte, er die Lache, die eine Eselin auf den Weg gepißt hatte, trinken mußte.

Die Negerinnen wurden aber für alle Zeit bestraft. Es gibt im Monat Achegam (Januar) sieben Tage; an diesen sieben Tagen müssen alle Neger und Negerinnen zittern und viele von ihnen sterben.

An der Stelle im Busch, die die Negerinnen beschmutzt hatten,



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entstanden aber die Trochannin (oder Tiochanin) und gingen seitdem nicht mehr aus der Welt fort. Es sind dies weibliche Geschöpfe, die man nicht sehen kann, wenn man sie nicht heiratet. Jedem Kabylen ist es schon passiert, daß er, wenn er nachts nach Hause kam,. mit Steinen beworfen wurde, ohne daß ein Mensch irgendwo in der Nähe zu sehen war. Oft hört man jemand ganz deutlich hinter sich gehen. Wendet man sich um, so ist niemand da, Oder man hört seinen Namen rufen. Das alles sind die Trochannin, eben jene weiblichen Wesen, die übrigens zumeist ihre Freude daran haben, den Menschen zu erschrecken, ihn aber sehr selten töten.

Das Merkwürdigste ist aber, daß viele Kabylen mit Trochanninen verheiratet sind. Für das kommende Verhältnis ist es entscheidend, ob er sie (also auf seine Aufforderung) oder sie ihn (also auf ihre Aufforderung) heiratet. Im ersteren Fall muß er für alles aufkommen und muß alles beschaffen, und er hat im Hause nichts zu befehlen. Im letzteren Falle kann er von ihr wünschen, was es auch immer sei, ob Gold, ob Früchte in der Jahreszeit, in der sie nicht reif sein können, ob Dinge vom anderen Ufer des Meeres eine Trochannith beschafft alles. Nur ist eine Bedingung dabei. Der Mann muß stets die Hütte, in der das Gold, die Früchte, das Geräte eingeschlagen sind, also Korb, Sack, Leder, Papier usw., zurückgeben. Das darf er nie versäumen. Zunächst sieht der Mann seine Frau tagsüber nicht, sondern nur abends und nachts. Sobald man aber ein Kind mit ihr gezeugt hat, sieht der Mann seine Frau alle Tage.

Der Mann bleibt aber stets der einzige, der seine Trochannith-Frau sieht. Die Freunde sehen sie nicht und hören sie nicht. Sie sehen nur, daß der Hausherr mit jemand spricht, sich von jemand etwas geben läßt, die Trochannith sehen sie nicht.

Die Trochannith schützt den Mann aber nicht nur, sondern sie bietet ihm ganz besondere Genüsse. Wenn ein Mann tagsüber eine Frau sieht und großes Verlangen nach ihr hat, erscheint ihm seine Trochannith abends in der ersehnten Gestalt. Und das wechselt mit seinen Erlebnissen und Eindrücken. Dagegen darf er nicht mit einer anderen Frau Umgang pflegen; sogleich wird er dann stumm.


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