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Kapitel 

VOLKSMÄRCHEN DER KABYLEN

I. BAND


WEISHEIT

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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EINBANDZEICHNUNG VON VON F. H. EMCKE


22. Chtaphlaräith

Das schrecklichste Wesen (Geschöpf) für junge, zumal schöne Bräute und Frauen ist Chtaphlaräith. Chtaphlaräith ist riesenhaft groß. Man sieht ihn nicht. Man spürt aber seinen Atem. Bläst Chtaphlaräith über die Menschen hin, so werden sie zu Stein. Wäre das Kaninchen nicht gewesen, wäre Chtaphlaräith nie entstanden. Es kam aber so.

Das weibliche Kaninchen (thüthüthült) hatte hinter dem Ohr ein besonderes Haar. Einmal kam das Kaninchen sehr müde nach Hause. Das Kaninchen warf sich hin, wo gerade Platz war in seiner Grube, und kam mit dem Haar in die glimmende Asche. Das Haar



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begann zu sengen. Das Kaninchen wurde ärgerlich, riß das Haar aus und warf es fort. Dann schlief das Kaninchen weiter. Aus dem Haar aber entstand Chtaphlaräith. Deshalb sagt man von ihm: "ichlak (als) thinst (geschaffen) i'enetht (Haar) thuthult (Kaninchen)."

Chtaphlaräith flog nun im Winde über die Erde hin. Er trug damals noch seine Seele bei sich. Unterwegs traf er einen Zug von Menschen. Ein junges, schönes Mädchen wurde als Thilith zur Hochzeit geführt. Sie ritt auf einem Maulesel, und hinterher kamen sehr viele Menschen, zumal Männer. Chtaphlaräith wurde sogleich sehr gierig nach dem jungen schönen Mädchen. Er blies sogleich über den Zug der Männer hin, so daß sie zu Stein wurden. Dann packte er die Thilith und führte sie durch die Luft heim in seine Wohnung in den Felsen.

Er fragte sogleich die junge Thilith, ob sie ihn zum Manne nehmen wolle. Sie sagte, sie wolle es nicht. Da gab er ihr hundert Streiche am Morgen und hundert Streiche am Abend. Von da an raubte er viele junge Frauen und schlug sie. Er schlug sie in gleicher Weise. Hat er eine junge Frau so ergriffen, dann schlägt er sie neunundneunzig Tage lang. Mittlerweile sagte sich Chtaphlaräith: "Ich habe den Menschen nun schon viele junge Frauen genommen. Die Menschen verfolgen mich. Meine eigenen Frauen trachten danach, mich zu vernichten. Ich will meine Seele so verstecken, daß sie nicht mehr zu finden ist." Darauf nahm er die Seele, die ein Haar war, und tat sie in ein Ei. Er nahm ein Rebhuhn und schnitt ihm die Haut am Halse auf. Dahinein steckte er das Ei, so daß dies das Rebhuhn nicht etwa legen oder verdauen könne. Das Rebhuhn nahm er, suchte eine große Kamelstute auf, schnitt ihr den Rücken auf und steckte das Rebhuhn unter die Haut, so daß der Höcker des Kamels daraus entstand.

Nun glaubte Chtaphlaräith seine Seele (sein Leben) gesichert;

Chtaphlaräith hatte eine Tochter, das ist Asphär-lehoa. Asphärlehoa kommt mit Schnee, Hagel, Sturm über das Land. Die Seele Asphar-lehoas war ursprünglich in einem Felsen in den höchsten Bergspitzen der Kabylie. Aber eines Tages begannen die Menschen die Felsen zu zerschlagen und kamen der Stelle, an der Asphar-lehoas Seele verborgen war, immer näher. Die Tochter Chtaphlaräiths wurde auf diese Weise todkrank und bat weinend ihren Vater: "Tue meine Seele mit der deinen zusammen."Asphar-lehoa war dem Tode nahe.



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Da nahm Chtaphlaräith die Seele seiner Tochter aus dem Gebirge. Er ergriff einen Stock, fuhr über die Mitte des Meeres und steckte den Stock in die Mitte des Meeres. Das Meer trat zurück. Es kam Sand. Der Grund des Meeres lag trocken da. In der Mitte des Meeres lag auf dem Boden ein großer Felsblock. Chtaphlaräith öffnete den Felsblock, trieb die Kamelstute, die das Rebhuhn und das Ei mit seiner Seele barg, und die Seele seiner Tochter Asphar-lehoa hinein. Dann schloß er den Felsblock. Sogleich wurde seine Tochter Asphärkhoa gesund.

Ob nun die Seele des Chtaphlaräith noch in dem Felsen inmitten des Meeres ist, weiß man nicht so genau. Viele behaupten, Chtaphlaräith wäre tot, seitdem ein Bursche die Seele zerstörte. Viele glauben dagegen, Chtaphlaräith lebe noch. Ein Märchen berichtet vom Tode des Chtaphlaräith, aber den Märchen (Tamaschahuts) kann man nicht ganz trauen. Sie erzählen vieles, was nicht wahr ist. Viele glaubwürdige Männer haben aber versichert, daß sie Chtaphlaräith noch gespürt hätten.


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