Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

Märchen aus Frankreich den Niederlanden und der Schweiz

Märchen europäischer Völker


Der gestiefelte Kater

Ein Müller hatte drei Söhne, und als er starb, hinterließ er seinen Söhnen seine Mühle, seinen Esel und seinen Kater. Das war alles, mehr hatte er nicht. Die Teilung war bald vollzogen, da brauchten sich weder der Notar noch der Testamentsvollstrecker den Kopf zerbrechen, weil dabei nichts zu verdienen war, bekam der älteste Sohn die Mühle, der zweite den Esel und der jüngste den Kater. Der war darob recht traurig und klagte: »Meine Brüder werden sich ihr Brot ehrlich verdienen können, wenn sie ihren Besitz gut zusammenhalten, wenn ich aber meinen Kater verspeist habe, so bleibt mir nichts als sein Pelz, und der gibt höchstens noch ein Paar Puiswärmer.« Der Kater hatte die Worte wohl verstanden, er tat zwar nicht dergleichen und fühlte sich weder gekränkt noch zornig, sondern er sagte mit ernster Miene: »Guter Herr, sorgt Euch nicht um die Zukunft. Gebt mir lediglich einen Sack, laßt mir ein Paar Stiefel machen, mit denen ich durchs Gestrüpp laufen kann, und dann werdet Ihr noch erleben, daß Euer Anteil gar nicht so



Bd-09-021_Maerchen aus Frankreich Flip arpa

kläglich ist, wie Ihr glaubt.«Obwohl sein Herr sich nicht viel von den Worten des Katers versprach, kannte er immerhin seine Geschicklichkeit beim Mäusefangen - er hatte selber erlebt, daß er sich, vor dem Mehlsack liegend, tot stellte oder sich sogar mit den Beinen nach oben im Gebälk aufhängte. Jedenfalls wollte er noch nicht alle Hoffnung aufgeben und verschaffte dem Kater, um was er bat. Dieser zog sofort die Stiefel an, warf sich den Sack um den Hals und hielt die Schnüre mit seinen Vorderpfoten fest. Dann begab er sich nach dem Karnickelberg, steckte Kleie in seinen Sack und legte sich-zu Boden. So wartete er, ob ein in den Ränken dieser Welt noch unerfahrenes Kaninchen in den Sack schlüpfen würde, um das zu fressen, was er so verlockend hineingesteckt hatte. Schneller, als er erhofft hatte, wurde sein Wunsch erfüllt.

Ein junger Kaninchenleichtfuß, der nicht auf die Lehren seiner Mutter hören wollte, kroch in den Sack, der Kater zog rasch die Schnüre zu, packte es und tötete es erbarmungslos. Dann stolzierte er mit seiner Beute an den Königshof und verlangte den König zu sprechen. Man gewährte ihm Eintritt, und kaum hatte er den König erblickt, machte er eine tiefe Verbeugung und sprach: »Allergnädigster Herr, der Marquis von Carabas, mein Gebieter (er hielt es für vorteilhaft, dem Müllerssohn diesen Namen zu geben), schickt ein Kaninchen vom Karnikkelberg.

»Sagt Eurem Herrn, daß ich ihm danke«, erwiderte der König. Das nächste Mal versteckte sich der Kater in einem Kornfeld und fing auf die gleiche Weise Rebhühner, und genauso wie mit dem Kaninchen vom Karnickelberg überbrachte er auch sie dem König. Mit Vergnügen nahm dieser sie an und ließ dem Kater dafür ein königliches Trinkgeld reichen. So ging das nun zwei, drei Monate lang.

Eines Tages hatte der Kater erfahren, daß der König mit seiner Tochter am Flußufer entlang eine Spazierfahrt machen wollte. Nun sagte er zu seinem Herrn: »Wenn Ihr meinem Rat folgen wollt, so ist Euer Glück gemacht. Ihr braucht nur an einer Stelle im Fluß, die ich Euch zeigen werde, zu baden, das übrige überlaßt mir.« Der Marquis von Carabas tat, wie sein Kater ihm geheißen hatte, noch ohne zu wissen, wozu ihm das dienen sollte. Während er badete, fuhr der König vorüber, und der Kater begann aus Leibeskräften zu schreien: »Zu Hilfe! Zu Hilfe! Der Marquis von Carabas ertrinkt!« Auf dieses Geschrei hin steckte der König seinen Kopf aus dem Kutschenschlag und erkannte den Kater, der ihm so oft Wildbret gebracht hatte. Er befahl seiner Leibwache, dem Marquis von Carabas unverzüglich Hilfe zu leisten.



Bd-09-022_Maerchen aus Frankreich Flip arpa

Der Kater aber trat zur Kutsche und berichtete dem König, während sein Herr gebadet, hätten Diebe seine Kleider mitgenommen, obwohl er aus Leibeskräften geschrien habe. (Der Schelm hatte sie unter einen Stein versteckt, denn sie waren zu ärmlich, um das Auge des Königs zu erblicken.) Der König befahl nun seinen Dienern, jenem Marquis von Carabas, der ihm so zahlreiche Aufmerksamkeiten erwiesen hatte, Kleider aus seinem Schrank zu bringen; und da jener in diesen prächtigen Kleidern sehr schön und stattlich aussah, denn er war ohnehin jung und wohl gewachsen, so gefiel er der Königstochter, und kaum hatte er ihr einige ehrerbietige, aber doch zärtliche Blicke zugeworfen, so war sie schon heftig verliebt in ihn. Der König lud ihn ein, in seine Kutsche zu steigen, um mit ihnen spazierenzufahren. Der Kater, der sah, daß sein Plan gelang, war entzückt darüber und lief rasch voraus. Unterwegs traf er Bauern, welche eine Wiese mähten, und sprach zu ihnen: »Ihr guten Leute, die ihr da mäht, wenn ihr dem König nicht sagt, daß eure Wiese dem Marquis von Carabas gehört, so werdet ihr kurz und klein gehackt wie Pastetenfleisch.«

Der König fragte auch wirklich, neugierig von Natur aus, wem die fette Wiese wohl gehöre, die sie da mähten. »Dem Herrn Marquis von Carabas«, riefen alle aus einem Munde, denn der Kater hatte ihnen Furcht eingejagt. »Ihr habt schöne Wiesen, Herr Marquis«, sagte der König. »Sehr wohl, gnädiger Herr.« Der Kater aber lief voraus, traf Schnitter und sprach zu ihnen: »Ihr guten Leute, wenn ihr nicht sagt, daß alle eure Felder dem Marquis von Carabas gehören, so werdet ihr kurz und klein gehackt wie Pastetenfleisch.«Wenige Minuten später wollte der König wissen, wem die Felder gehörten. »Dem Marquis von Carabas«, schrien sie alle, und der König freute sich darüber. Der Kater lief immer weiter voraus und er sagte allen, die er traf, das gleiche, so daß der König allgemach erstaunte über die reichen Besitztümer des Marquis von Carabas.

Indessen war der Kater an ein prächtiges Schloß gelangt. Leider gehörte es einem Menschenfresser, und das war einigermaßen erschreckend. Aber es war das reichste und schönste Schloß, das man jemals gesehen hatte; auch alle die Ländereien gehörten dem Menschenfresser. Der Kater hatte sich genau erkundigt, welcher Art der Menschenfresser wohl sei und was für besondere Künste er verstünde. Er verlangte nun mit ihm zu reden. »Denn«, so sagte er, indem er sich tief verneigte, »ich habe nicht vorübergehen wollen, ohne dem hohen Herrn und Künstler meine Aufwartung zu machen.« Der Menschenfresser empfing ihn so freundlich, wie Menschenfresser einen nur empfangen können, und bat



Bd-09-023_Maerchen aus Frankreich Flip arpa

ihn, Platz zu nehmen. »Man versicherte mir«, sagte der Kater, »Ihr könntet Euch in jedes beliebige Tier verwandeln, sogar in einen Löwen oder einen Elefanten.« »Das ist wahr«, brummte der Menschenfresser, höchst zufrieden damit, daß sein Ruf bis zu dem Kater gedrungen war. »Ich werde es Euch sofort beweisen.« Der Kater war so erschrocken, als gleich darauf ein brüllender Löwe vor ihm stand, daß er die Dachrinne hinauf kletterte. Nicht ohne Mühe und Gefahr, denn seine Stiefel paßten nicht dazu. Kaum hatte der Menschenfresser seine richtige Gestalt wieder angelegt, kam er herab und tat, als sei er in großer Furcht gewesen. »Man hat mir auch versichert, Ihr könntet Euch in das kleinste Tier verwandeln, sogar in eine Maus. Doch das glaube ich nun und nimmer. Es ist bestimmt unmöglich.« »Unmöglich?« entgegnete der Menschenfresser, »Ihr sollt es gleich sehen.« Aber kaum hatte er sich in eine Maus verwandelt und begann auf dem Fußboden herumzulaufen, da stürzte sich der Kater darauf und fraß die Maus auf. Unterdessen war der König an dem Schloß angekommen, und der Kater lief sofort hinaus und hieß ihn willkommen auf dem Schloß des Marquis von Carabas. »Wie?« rief der König, »dieses Schloß gehört Euch? Laßt es uns sofort besichtigen.«Der Marquis reichte der jungen Prinzessin die Hand, und so betraten sie den Speisesaal, in welchem sie ein herrliches Mahl vorfanden, das der Menschenfresser für sich und seine Freunde hatte richten lassen. Des Königs Entzücken kannte keine Grenzen mehr, und als er fünf bis sechs Glas getrunken und die herrlichsten Pasteten verspeist hatte, sagte er: »Herr Marquis, es hängt nur von Euch ab, mein Schwiegersohn zu werden.«

Der Marquis von Carabas verbeugte sich tief und vermählte sich bald darauf mit der Prinzessin, die ebenso glücklich wie er darüber war. Der Kater wurde ein großer Herr und sprang nur noch zum Vergnügen den Mäusen nach.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt