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Märchen aus Frankreich den Niederlanden und der Schweiz

Märchen europäischer Völker


Die drei Zaubergaben

Es war einmal ein Mann, der hieß Hanspeter. Er hatte viele Kinder und mußte hart für sie arbeiten, um nur den nötigsten Lebensunterhalt zu verdienen. Eines Tages begegnete ihm ein alter Bettler. »Gib mir ein Almosen«, bat er. Mitleidig, wie Hanspeter war, gab er dem Armen seinen letzten Groschen. Aus Dankbarkeit schenkte ihm jener eine Bohne, so groß, wie er noch nie eine gesehen hatte. »Pflanze sie in die warme Asche deines Herdes!« riet er ihm. Und als Hanspeter heimgekommen war, pflanzte er die Bohne in die Herdasche. Augenblicklich begann sie zu keimen, wuchs und wuchs und schlang sich rings um den Herd, stieg am Kamin empor, überragte die Kappe des Schornsteines und erhob sich allmählich dick wie ein Baum bis in den Himmel hinauf. Als es Winter geworden war, konnte Hanspeter nichts mehr für seine Kinder verdienen, und da versuchte er an seiner Bohnenranke in den Himmel hinaufzuklettern, um dort oben Hilfe zu suchen. Er kam an das Tor des Paradieses. »Poch, poch!« »Wer ist draußen?«fragte ihn St. Peter. »Hanspeter, der eine Schar Kinder hat und nicht weiß, wovon er sie ernähren soll. Habt Ihr einen Rat für mich?« »Du bist ein braver Mann, ich kenne dich. Nimm hier das Tischtuch und lege es daheim auf den Tisch. Dann sage nur: Bring mir Gekochtes, Gebratenes, Süßes, Kaffee und Schnaps dazu!« »Danke dir, heiliger Petrus.« Die Speisen kamen wirklich im Überfluß, wie es St. Peter vorausgesagt hatte, und die Kinder stopften sich die Mäuler voll wie nie zuvor; und alle Tage begann er von neuem.

Eines Tages, als Hanspeter in der Schenke saß, um ein Bier zu trinken, fragte die Wirtin ihn: »Du hast sicherlich einen Schatz gefunden, denn du siehst wohl und rund aus zum Platzen.« — »Habe ich auch«, lachte Hanspeter und erzählte der Wirtin alles. Er gab ihr gar noch das Tischtuch in die Hand und merkte gar nicht, daß die gerissene Wirtin im Handumdrehen das Tuch vertauschte. Als er es nun wieder auf den Tisch legte, weil sie hungrig waren, mochte er noch so viel sagen:



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»Komm Gebratenes, Gekochtes, Süßes, Kaffee und ein Schnäpschen dazu.« Rein gar nichts kam, aber auch kein Brotsämlein. Traurig kletterte er zum zweitenmal an seiner Bohnenranke zum Himmelstor. »Poch, poch.« »Wer ist draußen?« »Hanspeter, der eine so große Schar Kinder hat und Euch fragen möchte, wie er sie ernähren soll.« St. Peter erkannte ihn gleich. »Du bist ein Tor«, rief er. »Ich ahne es schon, du warst im Wirtshaus und hast alles verloren. Aber ich will dir noch einmal helfen. Diesmal nimm den Esel, welcher Goldstücke scheißt. Wenn du in Not bist, so breite nur unter ihm ein Bettuch aus, mich aber laß hinfort in Ruhe.« — »Dank dir, St. Petrus!« Und als Hanspeter nach Hause kam, versuchte er St. Peters Ratschlag und bekam so viele Goldstücke, daß er sich das Scheffelmaß von der Wirtin ausleihen mußte, um sie zu messen, denn er wollte sich doch nicht lange mit Zählen quälen. Wie er es aber zurückbrachte und die Wirtin sich ihr Maß ansah, da fragte sie: »Zum Teufel, Hanspeter, was ist auch schon wieder mit dir? Mißt du oft solches Korn?« und sie holte ein Goldstück hervor, das im Scheffelmaß hängengeblieben war. Hanspeter erzählte ihr wiederum alles. Da lachte sie vor Freude und wollte es nicht glauben. »Hol deinen Goldesel her, ich zahl' dir Schnaps und Kaffee, und du mußt ihn dafür in der Stube Gold scheißen lassen.«

»Mit Vergnügen, Frau Nachbarin!« und der Hanspeter lief nur so und brachte seinen Esel in der Wirtin gute Stube. Aber je mehr Kaffee und Schnaps der Hanspeter trank, um so müder wurde er, bis er schlafend unter dem Tisch lag. Da führte die Wirtin den Esel in ihren Stall und stellte einen der ihren an seine Stelle. Hanspeter war wieder angeschmiert, und anstatt Gold gab dieser Esel nur Eselsdreck von sich. Obgleich es ihm St. Peter verboten hatte, stieg der geprellte Arme nochmals an seiner Bohnenranke in die Höhe und klopfte ans Paradies. »Poch, poch.« — »Wer ist draußen?« —»Hanspeter, schilt ihn nicht. Er weiß wieder nicht, wovon er seine Kinder ernähren soll.« — »Schon wieder da? Daran merke ich gleich, daß du abermals im Wirtshaus warst. Hoffentlich weißt du jetzt, daß die Frauen gerissener sind als du. Ich will dir noch einmal etwas geben, aber es ist das letzte Mal. Wenn du wiederkommst, öffne ich nicht mehr. Da die Wirtin dein Tischtuch und deinen Esel vertauscht hat, nimm jetzt den Stock und geh beides zurückverlangen. Will sie dir dein Eigentum nicht zurückgeben, so sage nur: >Knüppel, tu deine Pflicht!< und dann erlebe selber, was geschieht.« »Dank dir, heiliger Petrus.«

Kaum war Hanspeter unten angekommen, so lief er gleich mit seinem Knüppel zur Wirtin. »Jetzt sollst du erst das rechte Wunder erleben«,



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sagte er. »Gib mir mein Tischtuch und meinen Esel zurück.« — »Ich habe nichts von dir.« —»Was sagst du, du hast nichts von mir?« —»Nein doch, tausendmal nein.« — »Ich zähle bis drei - eins, zwei, drei.« — »Nein und nochmals nein.« — »Also dann, Knüppel, tu deine Pflicht.« Und da begann der Knüppel zu tanzen und zu springen und tanzte seinen Tanz auf der Hinterseite der Wirtin. »Hanspeter, halte deinen Stock fest!« —»Gib mir mein Eigentum!« —»Ich habe nichts.« —»Knüppel, dann tu deine Pflicht!« Und weiter, immer weiter verbläute der Knüppel die Hinterseite der Wirtin. Als die Wirtin nicht mehr japsen konnte, wimmerte sie: »Hanspeter, so halte den Stock fest, damit ich dein Eigentum holen kann!« Und mit ihrer letzten Kraft holte sie beides herbei. Von da an lebte Hanspeter mit seinen Kindern glücklich und in Frieden und nichts, aber rein gar nichts fehlte ihm mehr.


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