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Kapitel 

VOLKSMÄRCHEN DER KABYLEN

I. BAND


WEISHEIT

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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EINBANDZEICHNUNG VON VON F. H. EMCKE


21. Der Ursprung der Juden

Die Juden sind so entstanden: Vor alter Zeit waren die erbittertsten Feinde der Kabylen die Spanier. Die Spanier und Kabylen führten in alter Zeit erbitterte Kämpfe miteinander. Die Kabylen kamen einst nach Spanien und vernichteten einen großen Teil Spaniens. In einer spanischen Stadt töteten sie im Kampf alle Männer, so daß nur noch die Frauen am Leben blieben. Die Frauen in dieser Stadt waren nun ganz ohne Männer und weinten und sagten: "Wir werden aussterben; denn da wir keine Männer haben, können wir auch keine Kinder gebären." Einmal ging eine der Frauen vor die Tore der Stadt und weinte. Sie ging weit fort und traf endlich einen alten Mann. Der alte Mann



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fragte die Frau: "Was weinst du?" Die Frau weinte und sagte: "Die Kabylen haben alle unsere Männer totgeschlagen. Nun haben wir keine Männer mehr, die bei uns liegen können, und so können wir auch keine Kinder gebären. Deshalb werden wir aussterben." Der alte Mann sagte: "Wenn es so ist, gibt es nur eine Möglichkeit. Geht auf den Kirchhof, auf dem eure Männer begraben liegen. Suche jede das Grab ihres Mannes auf und schlafe nachts in dem Grab. Eure toten Männer werden mit euch schlafen, und ihr werdet wieder Kinder hervorbringen."

Die Frau ging in die Stadt. Sie sagte den anderen Frauen, was der alte Mann ihr gesagt hatte. Die Frauen taten so. Jede Frau, die das Grab ihres toten Mannes wiederfand, schlief darin und wurde so von ihrem toten Mann beschlafen. Die Frauen wurden so schwanger.

Die Kinder, die diese spanischen Frauen danach gebaren und deren Väter tote Leichname waren, wurden die Juden, die dann zum Teil aus Spanien nach der Kabylie zurückkamen.

Einige der spanischen Frauen hatten aber die Leichen ihrer Männer nicht wiedergefunden und konnten deshalb bei ihnen nicht schlafen und also auch nicht schwanger werden. Sie liefen vor die Tore der Stadt und weinten. Sie trafen wieder den Amrar asemeni; der Amrar asemeni sagte: "Was weint ihr?" Die Frauen sagten: "Wir haben die Leichen unserer Männer nicht wiedergefunden und können daher auch nicht mehr Kinder hervorbringen." Der Amrar asemeni sagte: "So könnt ihr ein anderes tun, um schwanger zu werden. Geht auf den Kirchhof und nehmt eine jede von irgendeinem Leichnam einen Weisheitszahn (thoromist lachal, d. i. sein kluger Zahn) und ein rechtes Schulterblatt (ireth thararoth). Ein Stück von dem Schulterblatt und dem Weisheitszahn verbrennt im Feuer. Das Schulterblatt selbst hängt über die Türe eures Hauses, also im Eingang auf. Den gebrannten Zahn und Knochen müßt ihr gut zermahlen. Das Mehl davon mischt ihr mit Henna, das ihr aus dem Stein (l'henni bathero) herstellt (noch heute machen die Kabylen ihr Henna, d. i. die rote Schmuckfarbe, nicht wie die Araber aus Kräutern, sondern aus gewissen Steinen). Dazu mischt ihr die Wurzel einer wilden Olive (ithuran t'haschat = Wurzel der t'haschat) und tut sieben Tropfen Wasser dazu, so daß es wie ein Brei wird. An den darauf folgenden Tagen müßt ihr jeden Morgen, ehe ihr noch etwas anderes zu euch genommen habt, mit dem gekrümmten Finger ein wenig in den Mund führen und verschlucken; so werdet ihr schwanger werden."



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Die jungen Frauen taten so. Sieben Tage lang nahmen sie ein wenig von der Mischung zu sich, und dann fühlte sich am achten Tage eine jede hochschwanger. Jede von ihnen gebar dann zwei Kinder. Das war damals so, und jede Frau gebar Zwillinge. Eine der Frauen wollte es aber ganz besonders gut machen und die anderen übertreffen. Sie nahm zwei Weisheitszähne, zwei Schulterblätter, zwei Hennasteine, zwei wilde Olivenwurzeln und nahm diese Mischung während vierzehn Tagen zu sich. Sie wurde in ihrer Schwangerschaft so sehr krank, daß sie fast starb. Dann gebar sie nicht zwei, sondern vier Kinder. Und bei der Geburt starb sie wieder fast. Es waren vier Knaben. Bald darauf aber starben drei Knaben, und es blieb nur ein Knabe übrig.

Der Amrar asemeni sagte: "Jede Frau hat nur das Amt, zwei Kinder hervorzubringen. Das ist gut. Die Frau, die mehr will, ist ein thileoth (= Schwein. So wurde der Name des Schweins bekannt, ehe es noch geschaffen war). Jedes Geschöpf hat sein Recht zur Geburt. Den Frauen folgen die Pferde. Aber die Stuten sind auch neun Monate schwanger, sie werden aber nicht zwei, sondern nur ein Fohlen zur Welt bringen. Hunde sollen bis sieben, Schweine bis zwölf Junge haben. Nur die Mauleselin soll nicht Junge haben. Wenn jemals die Mauleselin ein Junges zur Welt bringen wird, soll die Welt sich umdrehen." (Wörtlicher Spruch: luchan [wenn jemals] atzaril [Esel- oder Mauleseljunges] therdünt [Mauleselin] azingfrr [umkehren] dunith [Welt].) Das blieb so bis heute. (Spanien sbelliul, Spanier asbeniul, Jude =uthäi, Jüdin = thuthäith, Juden uthäin.)


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