Gebrüder Grimm Deutsche Volksmärchen
Illustrationen
von Kurt Schmischke
Märchen europäischer Völker
Die kluge Bauerntochter
Es war einmal ein armer Bauer, der hatte kein Land, nur ein kleines Häuschen und eine alleinige Tochter, da sprach die Tochter: »Wir sollten den Herrn König um ein Stückchen Rottland bitten.« Da der König ihre Armut hörte, schenkte er ihnen auch ein Eckchen Rasen, den hackte sie und ihr Vater um und wollten ein wenig Korn und derart Frucht darauf säen. Als sie den Acker beinah herum hatten, so fanden sie in der Erde einen Mörsel von purem Gold. »Hör«, sagte der Vater zu dem Mädchen, »weil unser Herr König ist so gnädig gewesen und hat uns diesen Acker geschenkt, so müssen wir ihm den Mörsel dafür geben.«Die Tochter aber wollt' es nicht bewilligen und sagte: »Vater, wenn wir den Mörsel haben und den Stößer nicht, dann müssen wir auch den Stößer herbeischaffen, darum schweigt lieber still.« Er wollte ihr aber nicht gehorchen, nahm den Mörsel, trug ihn zum Herrn König und sagte, den hätte er gefunden in der Heide, ob er ihn als eine Verehrung annehmen wollte.
Der König nahm den Mörsel und fragte, ob er nichts mehr gefunden hätte. »Nein«, antwortete der Bauer. Da sagte der König, er sollte nun auch den Stößer herbeischaffen. Der Bauer sprach, den hätten sie nicht gefunden; aber das half ihm so viel, als hätt' er's in den Wind gesagt, er ward ins Gefängnis gesetzt und sollte solange da sitzen, bis er den Stößer herbeigeschafft hätte. Die Bedienten mußten ihm täglich Wasser
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und Brot bringen, was man so in dem Gefängnis kriegt, da hörten sie, wie der Mann als fort schrie: »Ach, hätt' ich meiner Tochter gehört! Ach, ach, hätt' ich meiner Tochter gehört!« Da gingen die Bedienten zum König und sprachen das, wie der Gefangene als fort schrie: »Ach, hätt' ich doch meiner Tochter gehört!«und wollte nicht essen und nicht trinken. Da befahl er den Bedienten, sie sollten den Gefangenen vor ihn bringen, und da fragte ihn der Herr König, warum er also fort schrie: >Ach, hätt' ich meiner Tochter gehört!< »Was hat Eure Tochter denn gesagt?« — »Ja, sie hat gesprochen, ich sollte den Mörsel nicht bringen, sonst müßt' ich auch den Stößer schaffen.« —»Habt Ihr so eine kluge Tochter, so laßt sie einmal herkommen.«Also mußte sie vor den König kommen, der fragte sie, ob sie denn so klug wäre, und sagte, er wolle ihr ein Rätsel aufgeben, wenn sie das treffen könnte, dann wolle er sie heiraten. Da sprach sie gleich, ja, sie wollt's erraten. Da sagte der König: »Komm zu mir, nicht gekleidet, nicht nackend, nicht geritten, nicht gefahren, nicht in dem Weg, nicht außer dem Weg, und wenn du das kannst, will ich dich heiraten.« Da ging sie hin, und zog sich aus splinternackend, da war sie nicht gekleidet, und nahm ein großes Fischgarn und setzte sich hinein und wickelte es ganz um sich herum, da war sie nicht nackend: Und borgte einen Esel fürs Geld und band dem Esel das Fischgarn an den Schwanz, darin er sie fortschleppen mußte, und war das nicht geritten und nicht gefahren: der Esel mußte sie aber in der Fahrgleise schleppen, so daß sie nur mit der großen Zehe auf die Erde kam, und war das nicht im Wege und nicht außer dem Wege. Und wie sie so daherkam, sagte der König, sie habe das Rätsel getroffen, und es wäre alles erfüllt. Da ließ er ihren Vater los aus dem Gefängnis und nahm sie bei sich als seine Gemahlin und befahl ihr das ganze königliche Gut an.
Nun waren etliche Jahre herum, als der Herr König einmal auf die Parade zog, da trug es sich zu, daß Bauern mit ihren Wagen vor dem Schloß hielten, die hatten Holz verkauft; etliche hatten Ochsen vorgespannt und etliche Pferde. Da war ein Bauer, der hatte drei Pferde, davon kriegte eines ein junges Füllchen, das lief weg und legte sich mitten zwischen zwei Ochsen, die vor dem Wagen waren. Als nun die Bauern zusammenkamen, fingen sie an sich zu zanken, zu schmeißen und zu lärmen, und der Ochsenbauer wollte das Füllchen behalten und sagte, die Ochsen hätten's gehabt: und der andere sagte, nein, seine Pferde hätten's gehabt: und es wäre sein. Der Zank kam vor den König, und er tat den Ausspruch, wo das Füllen gelegen habe, da sollt' es bleiben;
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und also bekam's der Ochsenbauer, dem's doch nicht gehörte. Da ging der andere weg, weinte und lamentierte über sein Füllchen. Nun hatte er gehört, daß die Frau Königin so gnädig wäre, weil sie auch von armen Bauersleuten gekommen sei: ging er zu ihr und bat sie, ob sie ihm nicht helfen könnte, daß er sein Füllchen wiederbekäme. Sagte sie: »Ja, wenn Ihr mir versprecht, daß Ihr mich nicht verraten wollt, so will ich's Euch sagen. Morgen früh, wenn der König auf der Wachtparade ist, so stellt Euch hin mitten in die Straße, wo er vorbeikommen muß, nehmt ein großes Fischgarn und tut, als fischtet Ihr, und fischt also fort und schüttet das Garn aus, als wenn Ihr's voll hättet«, und sagte ihm auch, was er antworten solle, wenn er vom König gefragt würde.
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