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Kapitel 

VOLKSMÄRCHEN DER KABYLEN

I. BAND


WEISHEIT

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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EINBANDZEICHNUNG VON VON F. H. EMCKE


15. Ein Weltbaum und die Entstehung der Wuarssen, Fruchtbäume und Irrlichter

Vieles ereignete sich in der Zeit, in der die Kabylen mit den Spaniern Krieg führten (siehe weiter unten). Die Spanier kamen bis in die Kabylie und kämpften hier mit den Kabylen. Die Kabylen töteten aber am Fuße des Djurdjura eine so große Menge von Spaniern, daß ein breiter Strom von Blut in das Tal floß und hier einen See bildete. Der See war gebildet aus dem Blut der erschlagenen Spanier.

Aus diesem See wuchs ein mächtiger Baum auf, der Tzescherabuensa. Der Tzeschera wurde ein mächtiger Baum, der seine Äste weit hinausdehnte. Er hatte Blätter, die glänzten wie Gold und waren schöner als irgendwelche Blätter, die sonst auf der Erde eine Pflanze hervorbringt. Eines Tages kam eine Teriel vorbei und aß von den Blättern. Die Blätter schmeckten ihm sehr gut. Sie kam am andern Tage wieder, um wieder von den Blättern zu essen. Sie konnte es nicht lassen, nun jeden Tag zu dem Baum Tzeschera-buensa zu gehen und von seinen Blättern zu genießen. Nach sieben Tagen war die Teriel von dem Genuß der Blätter schwanger.

Als die Teriel schwanger war, kamen alle wilden Tiere zusammen und wollten die Frucht der Teriel fressen, ehe sie geboren war. Die Teriel ging aber in eine Höhle im Felsen. Im Boden der Höhle machte sie ein Loch und kleidete das mit Blättern aus. Die Teriel gebar. Sie gebar sieben Wuarssen. Die waren von Anfang an mit zottigen Haaren bedeckt und trugen später deshalb keine Kleider. Sie legte die sieben kleinen Wuarssen in die Grube. Nach den sieben kleinen Wuarssen gebar sie als deren Schwester ein sehr schönes kleines Mädchen.

Die kleinen Wuarssen ließ die Teriel in der Grube. An jedem Tag, an dem ein Wuarssen in der Grube lag, gewann er die Kraft eines Mannes. Ein Wuarssenkind, das achtzig Tage in der Grube lag, hatte dann die Kraft von achtzig Männern. Ein Wuarssen, der achtundvierzig Tage in der Grube lag, hatte die Kraft von achtundvierzig Männern. Ein Wuarssen lag aber hundertundeinen Tag in der Grube



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und gewann die Kraft von hundertundein Männern. Der jüngste Wuarssen heißt Amar Iphesen (iphesen ist der alle Übertreffende), dem kam kein anderer an Stärke gleich. So entstanden aus dem Baume Tzeschera-buensa die Wuarssen. Es wurde aber noch mehr aus ihm.

Die Menschen sagten untereinander: "Die Teriel hat von den Blättern des Tzeschera-buensa gegessen und so die Wuarssen hervorgebracht. Wir wollen den Baum umschlagen, damit daraus nicht noch größeres Unheil entsteht." Die Menschen gingen hin und schlugen den Baum um. Als er umgestürzt war, entsprangen an seiner Stelle zwei Quellen, von denen jede nach einer Seite floß. Die eine Quelle wurde die der weißen Menschen. Die andere Quelle wurde die der Tiere und Neger. Wenn man in diese zweite Quelle den Finger hineinsteckte, wurde er schwarz.

Die Menschen zerschlugen den Baum Tzeschera-buensa und schleppten sein Holz heim. Unterwegs verloren sie einen Zweig, ohne es zu bemerken. Der Zweig blieb liegen, und so entstanden daraus die Feigenbäume, die Olivenbäume und noch fünf andere Arten, alles in allem sieben verschiedene Arten von Fruchtbäumen. Eines Tages ging ein Bursche vorbei und sah den Feigenbaum. Er pflückte eine Feige und sagte: "Diese Frucht schmeckt gut, ich will mehr davon haben!" Er aß mehr und mehr, zuletzt sagte er: "Ich will diese Bäume für mich behalten." Er machte einen Zaun darum. Nach einiger Zeit brachen die anderen aber in das Gehege ein und brachen Zweige von den Fruchtbäumen ab, steckten sie in ihren Gärten in die Erde und gewannen, da die Zweige bald aufbrachen, ebenfalls Fruchtbäume.

Inzwischen verbrannten die Menschen daheim das Holz des Tzeschera-buensa. Beim Brennen sprangen aber Funken auf und flogen in die Wälder und über die Flüsse. Diese Funken wurden zu den Thururk (St.-Elms-Feuer oder Irrlichter). Nachdem warfen die Menschen die Asche fort. Aus der Asche des Tzeschera-buensa, die sie auf dem Misthaufen warfen, wuchs ein Weinstock auf, der hatte zwei Zweige. Der eine Zweig trug schwarze Trauben; wer die aß, dem wuchsen aus der Stirn ein Paar mächtige Hörner, wie die von Stieren und Widdern. Der andere Zweig trug aber weiße Trauben, die waren ein Heilmittel. Und jeder, dem nach dem Genuß der schwarzen Trauben Hörner gewachsen waren, brauchte nur von den weißen Trauben zu genießen, und sie schwanden wieder.

Der Wind fuhr über die Asche aus dem Holz des Tzeschera-buensa



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her. Er zerstreute die Asche in alle Welt. Wo sie gemischt mit Sand und Unrat hinfiel, gedieh Gutes, wo sie rein und unvermischt auf den Boden kam, entstanden die besseren und wertvolleren Pflanzen.


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