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Gebrüder Grimm Deutsche Volksmärchen

Illustrationen


von Kurt Schmischke

Märchen europäischer Völker


ZUR EINFÜHRUNG

Jakob Grimm gilt als der eigentliche Begründer der germanistischen Philologie. Er wurde am 4. Januar 1785 in Hanau geboren, wo sein Vater als Amtmann tätig gewesen ist, der einige Jahre lang auch im benachbarten und sehr anmutig gelegenen Steinau gewirkt hat. Wilhelm, der jüngere Bruder, kam am selben hessischen Ort am 24. Februar des folgenden Jahres zur Welt. Dieser war der poetischere der beiden, und wesentlich ihm verdanken die »Kinder- und Hausmärchen«, die diese beiden Männer als ein uns allen vertrautes und unvergeßliches Hausbuch mit beflissenem Eifer zusammengetragen haben, ihren so herzinnig warmen und trauten, gemütvollen Ton.

Jakob war ein hervorragender Meister des Sammeins. Man darf ihn geradezu ein Genie auf diesem Gebiet nennen. Die Brüder waren einander in treuer Liebe verbunden, und ihre gemeinsame Zuneigung gehörte allem Heimatlichen und Volkstümlichen, ihre Liebe der Erforschung der deutschen Sprache und deren steter Pflege. Schon während der ersten Studentenjahre waren sie durch den berühmten gemeinsamen Lehrer Friedrich Karl von Savigny in Marburg an der Lahn mit Dichtern der romantischen Schule wie Ludwig Tieck, Achim von Arnim und Clemens Brentano in Kontakt gekommen. Die von den beiden Letztgenannten besorgte mehrbändige Sammlung alter Volkslieder, »Des Knaben Wunderhorn«, regte sie dazu an, etwas Entsprechendes auf dem Gebiete der bis dahin von den gebildeten Ständen weithin vernachlässigten, vielfach wildwuchernden und nur sporadisch und bei wenigen Gelegenheiten von Außenseitern aufgezeichneten Märchen der Deutschen zu tun.

Sie sind gemeinsam über Land gezogen und haben nicht nur eifrig und unverdrossen Ausschau gehalten nach überlieferten Märchen, die im Volke ringsum erzählt wurden, sondern zugleich auch nach Männern und insbesondere Frauen, vor allem älteren, die diese gut und anschaulich zu erzählen verstanden; denn die Brüder Grimm wußten sehr genau um das eigentliche Geheimnis, das den Märchen aller Völker in aller Welt zu eigen ist und deren unnachahmlichen, unersetzbaren Wert ausmacht.



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Bei den Naturvölkern, vornehmlich im Orient, gibt es den sozusagen berufsmäßigen Stand der Märchenerzähler heute noch, dessen Vertreter allerorten auf den Straßen und Gassen durch unmittelbares Erzählen von dem, was einstmals geschehen ist und sich zugetragen hat, das Volk um sich scharen und deren lauschende Zuhörer Junge wie Alte, allen voran aber die Kinder sind. Die Brüder Grimm also ließen sich erzählen und schrieben das Gehörte gewissenhaft nach. Erzählt wurde ihnen von Leuten, die ein geschultes Gehör besaßen und über die Fähigkeit volksnaher Wiedergabe verfügten - wie der norddeutsche Malerpoet Philipp Otto Runge oder die Brüder von Haxthausen oder die nachher noch selber als Märchen in der Geschichte fortlebende Frau Viehmännin aus dem bei Kassel gelegenen Dorf Niederzwehren, deren Gestalt Wilhelm Grimm mit einigen klar umrissenen Sätzen der Nachwelt erhalten hat: »Die Frau Viehmännin war noch rüstig und nicht viel über fünfzig Jahre alt. Ihre Gesichtszüge hatten etwas Festes, Verständiges und Angenehmes, und aus großen Augen blickte sie hell und scharf. Sie bewahrte die alten Sagen fest im Gedächtnis und sagte wohl selbst, daß diese Gabe nicht jedem verliehen sei und mancher gar nichts im Zusammenhang behalten könne. Dabei erzählte sie bedächtig, sicher und ungemein lebendig, mit eigenem Wohlgefallen daran, erst ganz frei, dann, wenn man es wollte, noch einmal langsam, so daß man ihr mit einiger Übung nachschreiben konnte. Manches ist auf diese Weise wörtlich beibehalten und wird in seiner Wahrheit nicht zu verkennen sein.«

In der Frau Viehmännin erlebten die Grimms genau das, was man einen Glücksfall nennt. Gern hätten sie dergleichen öfter erfahren; denn das Erzählen und Anhören von Märchen gehört zu jenen besonderen Fällen, »wo die erlangte Bildung, Feinheit und Kunst der Sprache zuschanden wird, und wo man fühlt, daß eine geläuterte Schriftsprache, so gewandt sie in allem übrigen sein mag, heller und durchsichtiger, aber auch geschmackloser geworden ist und nicht mehr so fest dem Kern sich anschließt«. Weil sie sich dessen sehr genau bewußt waren und alle, die ein vortreffliches Märchengedächtnis in sich bewahrten, nur selten zugleich auch stilecht, volkstümlich und lebensnahe zu erzählen verstanden, so daß neben dem vom Mund zum Ohr unmittelbar Erreichbaren die Grimms in zahlreichen Fällen auch auf das angewiesen waren, was sie in alten Kalenderbüchern, Chroniken und sonstigen Aufzeichnungen aufspürten, haben sie sich für ihr Sammelwerk großenteils eines von ihnen selber geprägten Erzählerstils bedient, der sich



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ums Wahrhafte, Schlichte und Naive wie ums liebevoll Poetische derart meisterlich und schlechterdings unnachahmbar bemüht, daß die von ihnen herausgegebenen »Kinder- und Hausmärchen« vom ersten Erscheinen an klassisch geworden sind und sich Herz und Gemüt einer jeden neuen Generation immer wieder und wie von selber gewinnen. »Treu und rein« wollten sie erzählen, dessen haben sich beide einander immer und immer wieder verschworen.

Im Jahre 1812, in einer niedergedrückten und von vielerlei Nöten geplagten Zeit, legten sie ihren ersten Märchenband der Öffentlichkeit vor und ernteten einen Erfolg, der sie selbst überraschte. Am Inhalt des Buches hatten sie mehr als sechs Jahre im hessischen Lande rings um Marburg und Hanau herum bis zum Kinzigtal hinauf gesammelt. Eine der sechs Töchter des Apothekers in der Marktgasse zu Kassel hat den größten Teil der Märchen des ersten Bandes beigebracht. Vieles davon hatte sie ihrer alten Kinderfrau zu verdanken. Dortchen Wild hieß das junge Mädchen und ist später Wilhelm Grimms glückliche Frau geworden.

Bereits i 814 konnte ein zweiter Band folgen mit Märchen aus dem Lippischen sowie aus Westfalen und Niedersachsen. Ein dritter Band hat später mit mancherlei Parallelen und zahlreichen Anmerkungen auch in die Problematik der Märchenforschung hineingeführt. Angesichts der Fülle der Märchenwelt sämtlicher europäischer Völker, die diese Buchreihe vermitteln möchte, erwies sich eine strenge Auswahl als unerläßlich. In diesem einen der zwölf Bände, der ausschließlich dem Werk der Brüder Grimm vorbehalten ist, wird eine charakteristische Auslese ihres unsterblichen Lebenswerks gegeben, das naturhaft lebendig aus sich selbst heraus fortlebt - von Generation zu Generation und durch den Mund der Mutter den Kindern und Enkeln weitererzählt: Es war einmal . . .

K. R.


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