Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

VOLKSMÄRCHEN DER KABYLEN

I. BAND


WEISHEIT

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



Atlantis Bd_01-0004 Flip arpa

EINBANDZEICHNUNG VON VON F. H. EMCKE


12. Der Tod der ersten Mutter der Welt und der Frost des Januar Im Anfange sprachen alle Pflanzen und Steine, die Erde und das Wasser, und die Menschen verstanden die Sprache der Steine, der Erde, des Wassers und aller Tiere. Die Menschen hatten untereinander auch nur die eine Sprache, die alle Welt sprach und verstand. Aber dann ließ die erste Mutter der Welt (imäth [erste Mutter], udunis [Welt]) den Wind über das Holz streichen, und damit hörten Steine und Erde und Pflanzen und das Wasser auf zu sprechen, und die Menschen verstanden nicht mehr die Stimmen der Tiere und hörten auf, sich selbst noch untereinander zu verstehen.

Imäth udunis brachte alles Unglück in die Welt. Sie machte alles Schlechte, und die Menschen haben es noch heute unter sich. Alle Blinden (itheragalen; Sing.: atheragal), alle Törichten (imthlev; Sing.: amthlu), alle Stummen (eagunen; Sing.: agun), alle Tauben



Atlantis Bd_01-082 Flip arpa

(eathogen; Sing.: athog) haben ihr Unglück von der ersten Mutter der Welt, die nur alles entzweite und verdarb, weil sie eine große Zauberin war und alles beherrschen wollte und Freude am Unglück hatte.

Jetzt will ich erzählen, wie diese Alte dann aber ein Ende nahm, nachdem sie viel Unglück in die Welt gebracht hatte.

Die erste Mutter der Welt hatte eine Farm (la'athib) am Fuße der hohen Felsen am Djurdjuragebirge, da, wo beim Dorfe Beni Buchardan die mächtigen Felsen von Thibura Säinsa aufragen. Dort weidete sie ihre Schafe und Rinder einmal am Ende des Monats Inäjer (der als ein noch milder Monat dem härtesten Monat Forar vorangeht). Die erste Mutter der Welt saß inmitten ihrer Schafe und Rinder und machte im Ziegensack Buttermilch (irri.) Es war schon drei Tage lang ein wenig Schnee gefallen, und ein kleines Schaf hustete neben der Mutter der Welt.

Da spottete die erste Mutter der Welt über den guten Monat Inäjer und sagte: "Habe keine Angst. Der gute Vetter Inäjer ist fort, und er wird dir nicht mehr viel schaden." (Wörtlich: philehach'h [keine Furcht!] iphär [fertig] arne [Vetter] inäjer [Monat Inäjer].) Als der Monat Inäjer das hörte, ward er zornig und sagte zu dem Monat F "Ich bitte dich, Vetter Förar, mir einen Tag und eine Nacht zu leihen, ich will das alte liederliche Weib töten; sie hat mich bebeschimpft und gesagt, ich könne ihr nichts mehr tun." (Wörtlich: nzchilk [ich bitte] eam€ [Vetter] Förar arthlije [leihe mir] jiboth [einen Tag] akuthiär [eine Nacht] atzenrar [wird töten] thamrarth [die alte Frau] mellaär [liederliche] thelukweje [hat beschimpft] themäjeth [hat gesagt] iphar [fertig] Inajär ui [Monat Inäjer] thimtharar [hat nichts getan].) Der Monat Förar sagte: "Nimm nicht einen Tag und eine Nacht, sondern nimm sieben Tage und sieben Nächte von mir und bestrafe sie."

Als Inäjer so die sieben Tage und sieben Nächte von dem Monat Förar geliehen hatte, sagte er zu der ersten Mutter der Welt: "Ich bin noch nicht fort, meine Alte! Ich habe noch sieben Tage und sieben Nächte, du arme Alte! Wenn diese sieben Tage und sieben Nächte noch nicht genügen, werde ich mir noch mehr Tage und Nächte von Förar leihen!" Dann begann es zu schneien, zu hageln, zu stürmen; es ward so dunkel, daß die Sonne verschwand und man den Tag nicht von der Nacht unterscheiden konnte. Die erste Mutter der Welt saß zusammengekauert mit dem Strick des Buttersackes da und konnte sich nicht rühren, so starr wurde sie. Die Kühe und



Atlantis Bd_01-083 Flip arpa

Stiere und Schafe und Widder lagen und standen umher und konnten sich nicht rühren, so starr waren sie.

Nach vier Tagen und drei Nächten hatte Inäjer die erste Mutter der Welt und alle ihre Tiere in Steine verwandelt. Und als solche kann man sie heute noch auf der Fläche (oder Alm), am Fuße des Thibura-läinsa liegen sehen.

Seit der Zeit ist aber der Monat Inäjer der schlechteste des Jahres für die alten Frauen. Am Ende des Monats Inäjer, in jenen Tagen, die er sich vom Monat Forar geliehen hatte, beginnen die alten Frauen krank zu werden und zu leiden. Die meisten alten Frauen sterben in den letzten Tagen des Monats Inäjer.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt