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Russische Märchen


Illustrationen


von Wilhelm M Busch

Märchen europäischer Völker


Marco der Reiche und Wasili der Unglückliche

In einem Lande, in einem Königreich, lebte einst ein Kaufmann Marco mit dem Beinamen der Reiche. Marco besaß ungeheure Reichtümer, aber er war geizig und hart zu den Armen. Er mochte sie nicht, und sobald er einen von ihnen auch nur von ferne gewahrte, gab er Anweisung an seine Diener, seine Hunde gegen ihn loszulassen, um ihn vom Hofe zu jagen.

Einmal, schon spät bei Anbruch der Nacht, kamen zwei alte graubärtige Männer in seinen Hof und baten um Obdach.

»Im Namen des Himmels, Marco, gewähre uns Quartier während der dunklen Nacht!«

Die Greise baten ihn so flehentlich und derart inständig, daß Marco, um ihre lästigen Klagen loszuwerden, sie in den Stall hineinließ. In einer Nebenkammer lag zu dieser Stunde seine Tante. Sie war



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schwer krank, und jedermann befürchtete, sie könne im nächsten Augenblick schon sterben. Tags darauf fand Marco mit höchstem Verwundern seine Tante völlig wiederhergestellt.

»Wer hat dich denn wieder gesund gemacht?«fragte er erstaunt.

»Ah! Marco der Reiche«, antwortete ihm seine Tante, »ich träumte —war's Traum oder Wirklichkeit, ich weiß es nicht genau -, daß zwei alte Männer mit grauem Barte die Nacht im Stall zubrachten; um Mitternacht klopfte jemand ans Fenster und sagte:

>In diesem Weiler hier ist dem ärmsten Bauern des Dorfes soeben ein Kind geboren. Welchen Namen gebt ihr ihm, was für ein Vermögen wollt ihr ihm zuteilen?<

Die beiden Alten antworteten:

>Wir werden ihn Wasili nennen, und er wird den Beinamen der Unglückliche erhalten, und als Geschenk teilen wir ihm das Vermögen von Marco zu, unter dessen Dach wir diese Nacht zubringen .<«

Und Marco unterbrach sie:

»Nichts weiter als das?«

»Es muß diese einzigartige Wohltat hinzugefügt werden, daß ich selber gänzlich wiederhergestellt erwacht bin, wie du siehst.«

»Das ist schon recht«, sagte Marco, »nur wäre es höchst sonderbar, daß der Sohn von wer weiß welchem armseligen Kerl das gesamte Vermögen von Marco erhalten sollte.«

Marco der Reiche begann nachzudenken, und es kam ihm die Idee, sich zu erkundigen, ob und wo ein gewisser Wasili geboren wäre. Er gab Befehl, eine Karosse anzuspannen, suchte den Popen des Weilers auf und befragte ihn:

»Habt Ihr an diesem und diesem Datum eine Geburt zu verzeichnen gehabt?«

»Ja«, antwortete der Pope, »beim ärmsten Bauern der Gemeinde ist ein Kind geboren worden; ich habe ihm den Namen Wasili der Unglückliche gegeben. Die Taufe hat noch nicht stattgefunden, weil niemand Pate oder Patin eines Armen sein möchte.«

Marco trieb sein angebliches Wohlwollen so weit, daß er sich selber als Taufpate anbot. Er bat auch die Frau des Popen, Patin zu sein, und ließ ein reichliches Mahl anrichten. Das Kind wurde hergebracht und getauft. Man aß und trank gut und reichlich bis weit in die Nacht.



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Am Tage darauf ließ Marco der Reiche den armen Bauern zu sich kommen, überhäufte ihn mit Schmeicheleien und sagte zu ihm: »Höre, mein Freund, du bist arm, du bist nicht imstande, deinen Sohn zu erziehen; gib ihn mir, ich werde ihn unterrichten lassen, ich werde ihn in der Welt vorwärtsbringen und dir während deines ganzen Lebens eine jährliche Rente von tausend Rubeln auszahlen.« Der Bauer zögerte nicht, dieses verlockende Angebot anzunehmen.

Marco nahm das Kind, wickelte es in seinen Umhang aus Fuchspelz, legte es in seine Karosse und fuhr davon. Es war mitten im Winter. Nachdem Marco der Reiche mehrere Werst gefahren war, ließ er die Karosse anhalten, übergab das Kind seinem Knecht und erteilte ihm den Befehl, es bei den Füßen zu packen und in einen nahe gelegenen Gebirgsbach zu werfen. Der Gehilfe führte den Befehl seines Dienstherrn aus und warf das Kind in eine tiefe Schlucht. Marco lächelte und sagte: »Da unten kannst du gern meine Reichtümer genießen.« «

Zwei Tage danach kamen Kaufleute auf demselben Weg vorüber. Sie hatten zwölftausend Rubel bei sich, um Marco dem Reichen eine Schuld zu bezahlen. Als sie am Rande der Schlucht ankamen, hörten sie das Quäken und Schreien eines kleinen Kindes. Sie blieben stehen, spitzten die Ohren und schickten ihren Diener aus, um zu sehen, was es da gäbe.

Der Diener stieg bis auf den Grund der Schlucht hinab. Er sah vor sich eine grüne Wiese und inmitten der Wiese ein Kindlein liegen, das mit Blumen spielte. Der Diener kam zu seinen Herren zurück und berichtete, was er gesehen hatte. Sie liefen, um eine solches Wunder zu bestaunen; einer von ihnen nahm das Kind an sich, wickelte es in seinen Pelzmantel, stieg in den Schlitten, und sie machten sich wieder auf den Weg.

Bei Marco dem Reichen erzählten die Kaufleute ausführlich, welches merkwürdige Erlebnis sie gehabt hatten, und Marco erfaßt sogleich, daß dies Was III der Unglückliche war, sein Patenkind. Er bewirtete die Kaufleute mit den besten Speisen und Getränken und bat sie sodann, ihm ihr Findelkind abzutreten. Die Kaufleute lehnten zuerst ab; aber als Marco ihnen zum Tausch den Erlaß ihrer Schuld anbot, willigten sie auf der Stelle ein und überließen ihm das Kind.



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Ein Tag verging und ein weiterer; am dritten Tag nahm Marco Wasili den Unglücklichen, legte ihn in eine mit Harz überstrichene Tonne, und hoch vom Uferdamm schleuderte er sie ins Meer.

Die Tonne, von den Wellen davongetragen, landete nahe bei einem Kloster. Gerade in diesem Augenblick kam ein Mönch heran, um Wasser zu schöpfen. Er hörte den Schrei eines Kindes bis zu sich herüberschallen. Ohne Zögern sprang er in ein Boot, ergriff die Tonne, löste die Ringe und schaute ins Innere. Er sah darin das Kind, nahm es mit und brachte es zum Kloster. Der Prior nannte das Kind Wasili und gab ihm den Beinamen der Unglückliche.

Wasili verbrachte nun volle achtzehn Jahre im Kloster, lernte etliche Wissenschaften, auch die Kunst zu lesen und zu schreiben und im Chor zu singen. Der Prior schloß ihn in sein Herz und übertrug ihm das Amt des Mesners.

Eines Tages hatte Marco der Reiche eine Reise in fremde Länder zu tun, um dort Schulden einzuziehen. Auf seinem Wege hielt er in diesem Kloster an. Als er darin den jungen Kirchendiener bemerkte, begann ihn eine sonderbare Unruhe und Furcht zu plagen, und er zog über ihn Erkundigungen ein: Lebt er schon seit langem im Kloster? Woher kam er?«

Der Prior erzählte alle Einzelheiten und sagte genau alles, was er wußte: wie ein Fäßchen von den Wassern bis in die Nähe des Klosters getrieben worden war, wie man darin das Kind gefunden hatte, und wie viele Jahre seit jener Zeit verflossen waren.

Marco dachte nach und kam zu dem Schluß, daß dieser junge Mann sein Patenkind sein müsse. Und er bat den Prior:

»Wenn ich zu meinen Diensten einen derart geschickten Mann hätte, würde ich ihn zu meinem Nachfolger machen. Überlaßt ihn mir!« Der Prior widerstand lange, aber Marco der Reiche ging so weit, daß er der Kasse des Klosters eine Spende von fünfundzwanzigtausend Rubel versprach. Der Prior zog die Brüder zu Rate, und einstimmig beschlossen diese, das Geld anzunehmen und Wasili den Unglücklichen fortgehen zu lassen.

Marco schickte Wasili den Unglücklichen zu sich nach Hause mit einem Brief an seine Frau, der diese Zeilen enthielt:

»Liebe Frau, bei Erhalt dieses Briefes geh sofort mit dem Überbringer in unsere Seifenfabrik und gib den Arbeitern den Befehl, ihn in



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den großen Siedekessel hinunterzustürzen! Achte wohl darauf, mein Anweisungen genau auszuführen: dieser junge Mann ist mein Todfeind seit langem!«

Wasili der Unglückliche machte sich auf den Weg. Unterwegs begegnete er einem alten Mann, der fragte:

»Wohin gehst du, Wasili der Unglückliche?«

»Ich gehe zu dem Hause Marcos des Reichen; mein Dienstherr schickt mich mit einem Brief dorthin.«

»Zeige mir den Brief!«

Wasili zeigte ihm den Brief; der alte Mann erbrach das Siegel und sagte: »Da, lies!« Wasili las ihn und begann zu weinen:

»Was für Übles habe ich denn diesem Manne getan, daß er mich zu einer so grausamen Todesstrafe verdammt?«

»Gräme dich nicht und fürchte nichts«, antwortete ihm der alte Mann. »Der Himmel wird dich nicht verlassen.«

Er blies leicht über den Brief, und die beiden Enden des Siegels fügten sich wieder glatt zusammen, als wäre der Brief nie offen gewesen.

»Geh jetzt unbesorgt und vertraue deinen Brief den Händen der Frau von Marco dem Reichen ruhig an!«

Wasili kam zum Hause Marcos, verlangte nach der Herrin und übergab ihr den Brief. Diese überflog ihn, rief sogleich ihre Tochter Anastasia und ließ sie lesen, was der Brief des Vaters enthielt. Hier ist's, was da zu lesen stand:

»Liebe Frau, bei Erhalt dieses Briefes wirst du sogleich die Hochzeit unsrer Tochter mit seinem Überbringer feiern lassen. Trage Sorge, dich genau nach meinen Anweisungen zu richten! Solches ist mein Wille!«

Reiche Leute brauchen nicht erst das Bier zu brauen noch den Wein gären zu lassen, alles ist bei ihnen immer fertig und zur Hand. Es brauchte nur das Mahl gerichtet zu werden, und die Hochzeitsfeier hob an. Wasili erhielt eine nagelneue festliche Bluse, wurde Anastasia vorgestellt und gefiel ihr. Sie wurden zur Kirche geführt, und die Hochzeit wurde vollzogen.

Eines schönen Morgens kündigte man der Frau Marcos des Reichen die Rückkehr ihres Gatten an, und in Begleitung ihrer schönen Tochter und ihres Schwiegersohns fuhr sie ihm entgegen. Marco,



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sobald er Was iii den Unglücklichen erkannt hatte, geriet in heftigen Zorn und schrie seine Frau an: »Wie konntest du es wagen, ihn mit unserer Tochter zu verheiraten?«

»Aber ich bin doch nur genau deinen Anweisungen gefolgt!« antwortete die Frau.

Marco befahl, den Brief zu zeigen, las ihn mit eigenen Augen und mußte sich überzeugen, daß er von seiner Hand geschrieben war. Zwei oder drei Monate danach rief Marco der Reiche seinen Schwiegersohn zu sich und sagte ihm:

»Geh in das Königreich, das sich hundert Meilen von hier befindet, zum Schlangenkönig. Du wirst die Steuer eintreiben, die er mir für zwölf Jahre schuldet, und du wirst dich nach dem Los meiner zwölf Schiffe erkundigen, die seit drei Jahren verschwunden sind. Gleich morgen, bei Tagesanbruch, machst du dich auf den Weg.«

In aller Herrgottsfrühe stand Wasili der Unglückliche auf, nahm Abschied von seiner jungen Frau, versah sich mit einem großen Sack mit Zwiebäcken und zog los. Ich weiß nicht, wie lange Zeit er wanderte und ob er schon weit gereist war -irgendwann also sprach eine Stimme von der Seite her:

»Wasili der Unglückliche, wohin gehst du?«

Er drehte sich um: »Wer ruft mich da?«fragte er.

»Ich bin's, die Eiche, die dich fragt: wohin gehst du?«

»Ich gehe zum Schlangenkönig, um von ihm seinen Tribut für zwölf Jahre zu fordern.«

Die Eiche sagte zu ihm: »Wenn du dort ankommst, erinnere dich an mich! Ich stehe hier schon seit dreihundert Jahren. Erkundige dich, ob ich noch lange Zeit an diesem Platze bleiben muß!«

Wasili der Unglückliche versprach es und setzte seinen Weg fort. Er traf auf einen breiten Fluß und schiffte sich auf einem Floß ein. Der Fährmann fragte ihn:

»Wo gehst du hin, Wasili der Unglückliche?«

»Ich gehe zum Schlangenkönig, um von ihm den Tribut von zwölf Jahren zu fordern.«

»Wenn du dort ankommst, vergiß nicht, den König zu fragen, ob ich mich noch lange Zeit hier um die Überfahrt zu kümmern habe. Ich tue diesen Dienst nun seit gut dreißig Jahren.«

»Gut«, antwortete Wasili. Und er setzte seinen Weg fort. Er wanderte



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weiter, bis er ans Blaue Meer kam. In diesem Meer lag ein riesiger Walfisch; Fußgänger und Reiter marschierten auf ihm wie auf einer Brücke.

Sobald Wasili den Fuß auf ihn setzte, öffnete der Walfisch den Mund und sagte: »Wohin gehst du, Wasili der Unglückliche?«

»Ich gehe zum Schlangenkönig, um von ihm den Tribut zu fordern, den er seit zwölf Jahren schuldet.«

»Nun gut, wenn du dort ankommst, erinnere dich an mich! Es gibt da einen Walfisch, der verbindet die beiden Ufer des Blauen Meeres miteinander; die Fußgänger und die Reiter haben ihm derart den Leib zerschunden, daß die Rippen schier bloßliegen. Erkundige dich, ob er noch lange Zeit die gleiche Stellung einnehmen und den Menschen als Brücke dienen muß!«

»Gut, ich werde es nicht vergessen«, antwortete Wasili. Und er nahm seinen Weg zum Schlangenkönig wieder auf.

Ich weiß nicht, wieviel Zeit er gewandert ist, aber schließlich kam er auf einer grünen Wiese an: mitten auf dieser Wiese erhob sich ein mächtiger Palast. Wasili der Unglückliche erklomm die Freitreppe und wanderte durch eine Flucht von Sälen und Fluren; die Säle waren ganz unvergleichlich ausgeschmückt, einer immer noch schöner als der andere.

Im entlegensten Gemach fand er ein schönes junges Mädchen auf einem Bett hingestreckt und ganz in Tränen. Als sie den Fremden bemerkte, sprang sie auf und rief:

»Wer bist du, tapferer junger Mann? Welcher Zufall hat dich an diese verworfene Stätte geführt?«

»Ich heiße Wasili der, Unglückliche; ich bin von Marco dem Reichen hierher gesandt worden, der mir den Befehl erteilt hat, den Schlangenkönig aufzusuchen und von ihm den Tribut zu fordern, den er seit zwölf Jahren schuldet.«

»Ah! Wasili der Unglückliche, du bist hierher geschickt worden, nicht um diese Steuer einzuziehen, sondern um von der Schlange verschlungen zu werden. Welchen Weg hast du genommen, um hierher zu langen? Hast du auf deinem Wege nichts gesehen, nichts gehört?«

Wasili erzählte ihr nun seine Begegnungen mit der alten Eiche, dem Bootsmann und dem Walfisch.



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Kaum hatte er Zeit gehabt, das alles zu erzählen, als ein Sturmgewitter losbrach, die Erde erzitterte und der Palast bis in seine Grundmauern erschüttert wurde.

Das schöne junge Mädchen hieß Wasili, sich unter ihrem Lager zu verstecken, und schärfte ihm ein: »Höre gut zu, was ich jetzt sagen werde!«

In diesem Augenblick trat der Schlangenkönig ins Zimmer.

»Woher kommt das Russenwesen, das ich hier rieche?«fragte er. »Wo könnte der Geruch denn herkommen?« antwortete das junge Mädchen. »Du bist selber ganz davon durchtränkt nach der Reise, die du soeben quer durchs weite Rußland gemacht hast.«

»Oh! Wie erschöpft bin ich! Willst du mir wohl den Kopf streicheln?« sagte der Schlangenkönig und streckte sich auf dem Bett aus. Das junge Mädchen gehorchte, und während es ihm den Kopf streichelte, erzählte es:

»In deiner Abwesenheit hatte ich einen Traum. Ich ging die Straße entlang, und plötzlich wurde meine Aufmerksamkeit von den Rufen einer Eiche angezogen, die zu mir sagte: >Frage deinen König, wann meine Mühe und Pein ihr Ende haben wird.<«

»Jene Eiche«, antwortete die Schlange, »wird ihr Leben weiterschleppen müssen, bis ein junger Mann kommt und ihr bei Sonnenaufgang einen Fußtritt versetzt. Davon wird die Eiche entwurzelt werden, und an ihrem Fuße wird man eine solche Menge Gold und Silber finden - nicht einmal Marco der Reiche besitzt soviel.«

»Danach habe ich geträumt, ich käme an einen großen Strom; ein Floß diente zur Überfahrt; der Bootsmann fragte mich, ob er noch lange dableiben und die Leute übersetzen müsse.«

»Jener Bootsmann muß nur schlau sein. Er braucht nur den ersten von denen, die zu ihm kommen werden, an seinen Platz zu setzen, sodann das Floß weit vom Ufer wegzustoßen, und dann wird dieser es sein, der ihm als Fährmann nachfolgen wird, bis zum Ende der Zeiten.«

»Ich habe noch geträumt«, begann sie von neuem, »ich wanderte auf dem Körper eines Walfisches, der die beiden Küsten des Blauen Meeres miteinander verband: er fragte mich, wie viele Jahre er noch dazu verdammt sei, dort als Brücke zu dienen.«

»Jener Walfisch muß das noch so lange tun, bis er sich's einfallen



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läßt, die zwölf Schiffe von Marco dem Reichen, die er verschlungen hat, auszuspeien; gleich danach wird es ihm möglich werden, wieder in die Fluten unterzutauchen, und seine Wunden werden heilen.« Nach diesen Worten fiel der Schlangenkönig in einen tiefen Schlaf. Da rief das junge Mädchen Wasili den Unglücklichen hervor, hieß ihn heimwandern und erteilte ihm diesen Rat:

»Was du soeben aus dem Munde der Schlange erfahren hast, wiederhole es dem Bootsmann und auch dem Walfisch nicht vor Erreichen des anderen Ufers, sondern erst dann, wenn du deinen Fuß auf das Ufer gesetzt hast.«

Wasili der Unglückliche dankte dem jungen Mädchen und brach auf. Ich weiß nicht, wieviel Zeit er brauchte, um das Blaue Meer zu erreichen. Als der Walfisch ihn bemerkte, fragte er ihn:

»Hast du mit dem Schlangenkönig von mir gesprochen?«

»Ja! warte nur, bis ich das andere Ufer erreicht habe, dann werde ich dir seine Antwort sagen.«

Als er das Meer überquert hatte, sagte er: »Spei die zwölf Schiffe von Marco dem Reichen aus!«

Der Walfisch gehorchte, und die zwölf Schiffe erschienen auf der Oberfläche des Meeres. Sie fuhren mit dem Wind, der ihre Segel blähte, so ruhig dahin, als ob ihnen nichts Außergewöhnliches geschehen wäre, und sie waren völlig unversehrt. Wasili befahl zwölf Matrosen, ihm zu folgen.

Dann setzte er seinen Weg fort und kam zu dem Fährmann.

»Hast du mit dem Schlangenkönig über mich gesprochen?«fragte ihn dieser.

»Ja - Warte ein wenig! Bring mich zuerst ans andere Ufer. Dann werde ich sprechen.« Dort angelangt, sagte Wasili: »Den ersten, der bei dir erscheinen wird, stelle sogleich an deinen Platz, stoße die Fähre weit vom Ufer ab und geh davon in dein Haus.«

Endlich langte er bei der alten Eiche an. Zur Stunde, da die Sonne aufging, versetzte er ihr einen Tritt mit dem Fuß: die Eiche fiel in ihrer ganzen Länge hin, und an ihrem Fuße fand sich eine ungeheure Menge Gold, Silber und kostbare Edelsteine.

Die Matrosen brachten diese ungeheure Menge Gold, Silber und Edelstein zurück zu den Schiffen; sobald diese Arbeit beendet war, lichteten sie die Anker, und Wasili fuhr mit ihnen. Marco dem Reichen



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wurde die Botschaft gebracht, sein Schwiegersohn werde in aller Kürze mit zwölf Schiffen landen und die Schlange habe ihm ungeheure Reichtümer zum Geschenk gemacht.

Er geriet in tobenden Zorn, ließ seine Karosse anspannen und fuhr selber zu dem Schlangenkönig, um von ihm das Mittel zu erfragen, wie er sich seines Todfeindes entledigen könne. Er langte am Ufer des Stroms an, wo das Floß lag, und wollte sich übersetzen lassen. Der Bootsmann aber sprang heraus und stieß das Floß wieder ab, und seitdem war nun Marco dazu verurteilt, die Leute vom einen Ufer an das andere überzusetzen.

Indessen war Wasili bei seiner Frau und seiner Schwiegermutter angekommen. Er trieb Handel auf eigene Rechnung, wurde reich und noch reicher, half den Armen, stand allen Waisenkindern bei, und nach der Weissagung jener alten Männer nahm er selber Besitz von allen Gütern Marcos des Reichen.


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