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Russische Märchen


Illustrationen


von Wilhelm M Busch

Märchen europäischer Völker


Wie Wassil den Drachen tötete

Ob es wahr ist oder nicht, das soll uns nicht scheren - hört lieber zu, was die alten Märchen erzählen!

Also paßt auf! Da kam einst ein schrecklicher Drache ins Land geflogen, grub eine tiefe Höhle am Berghang im Wald und legte sich schlafen. Ob er lange ruhte oder kurz, weiß niemand mehr zu melden, doch als er sich vom Schlaf erhob, brüllte er gleich mit Donnerstimme, auf daß es alle ringsum vernahmen:

»He, ihr Leute, Männer und Weiber, alte und junge, bringt mir jeden Tag ein Opfer, der eine eine Kuh, der andere ein Schaf, der dritte ein Schwein! Wer mir Gaben bringt, bleibt am Leben, wer nicht, den verschling' ich!«

Da brach eine große Angst unter den Menschen aus, und sie opferten dem Drachen, was er verlangte.

Lange Zeit brachten sie ihm ihre Gaben, bis sie eines Tages gewahr wurden, daß sie nichts mehr besaßen. Bettelarm waren sie geworden. Doch der Drache war so gierig, daß er nicht einen Tag ohne Fleisch leben konnte. Und so flog er in Dörfer, packte irgendeinen Menschen und schleppte ihn in seine Höhle.

Die Menschen gingen wie zum Tode verurteilt herum, suchten eine Rettung und wußten nicht, wie sie sich von dem grausamen Drachen befreien sollten.

Zu dieser Zeit kam ein Mann ins Land, der hieß Wassil. Er sah, daß



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hier die Menschen bedrückt einherschlichen, hilflos die Hände rangen und klagten.

»Was gibt's denn bei euch für ein Unglück, warum jammert ihr?«

Da erzählten ihm die Leute von ihrer Plage.

»Seid unverzagt«, tröstete sie Wassil. »Ich will versuchen, euch von dem furchtbaren Übel zu befreien.«

Er nahm einen dicken Knüppel und ging in den Wald, wo das Ungeheuer hauste.

Der Drache sah ihn kommen. Er riß die grünen Riesenaugen auf und fragte:

»Was willst du hier mit diesem Knüppel?«

»Dich totschlagen!« erwiderte Wassil.

»Sieh mal an«, wunderte sich der Drache. »Lauf lieber davon, solang du noch auf den Beinen stehst. Wenn ich dich nur anhauche oder anpfeife, fliegst du drei Werst weit.«

Doch Wassil lächelte höhnisch und sprach:

»Prahl doch nicht, alte Vogelscheuche, ich habe schon andere als dich gesehen! Wir wollen erst mal probieren, wer von uns stärker pfeift. Nun, fang an!«

Der Drache pfiff so laut, daß die Blätter von den Bäumen fielen und Wassil auf die Knie sank. Doch er sprang gleich auf und sprach: »Dummheit! So pfeift man doch nicht. Da lachen ja die Hühner. Nun, jetzt mach' ich's mal, aber binde dir die Augen zu, sonst werden sie dir aus den Höhlen treten!«

Der Drache band sich die Augen mit einem Tuch zu. Wassil aber trat dicht heran und ließ seinen Knüppel über den Kopf des Drachen sausen, daß ihm rote Funken aus den Augen stoben.

»Nicht möglich, daß du stärker bist«, staunte der Drache. »Wollen wir noch mal unsere Kräfte messen. Wer von uns zerdrückt schneller einen Stein?«

Das Ungeheuer nahm einen Stein, der wohl an die hundert Pud wog, und zerquetschte ihn mit seinen Pranken. Eine hohe Staubsäule stieg auf.

»Nichts Besonderes«, lachte Wassil. »Drück mal so stark, daß Wasser aus dem Stein fließt.«

Da erschrak der Drache sehr, denn er sah, daß Wassil tatsächlich der Stärkere war. Auf Wassils Knüppel schielend, sagte er:



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»Verlange von mir, was du willst, ich werde dir jede Bitte erfüllen!«

»Ich brauche nichts«, erwiderte Wassil. »Zu Haus habe ich alles, was ich brauche, mehr als du!«

»Soso«, meinte der Drache ungläubig.

»Du glaubst mir nicht? Komm mit und schau dir's an!«

Sie setzten sich auf einen Wagen und fuhren los.

Unterwegs bekam der Drache Hunger. Und als er eine Ochsenherde am Waldsaum sah, sagte er zu Wassil:

»Geh, fang mir einen Ochsen als kleine Vorspeise!«

Wassil ging in den Wald und schnitt Lindenbast ab. Der Drache wartete inzwischen, und als es ihm zu lang wurde, kam er selber zu Wassil.

»Was machst du denn hier so lange?«

»Ich reiße Bast ab.«

»Wozu brauchst du ihn?«

»Ich will einen Strick drehen und zum Mittagessen fünf Ochsen fangen.«

»Wozu brauchen wir gleich fünf? Einer ist genug.«

Der Drache packte einen Ochsen am Genick und schleppte ihn in den Wagen.

»Ach du«, sagte er zu Wassil. »Bringe Holz, wir werden den Ochsen braten.«

Wassil ging in den Wald, setzte sich unter einen Eichbaum und rauchte sein Pfeifchen.

Wieder wartete der Drache, bis daß er die Geduld verlor. Schließlich ging er zu Wassil und fragte:

»Was machst du hier so lange?«

»Ich will dir ein Dutzend Eichen bringen und suche die dicksten aus.«

»Wozu brauchen wir ein Dutzend Eichen? Ein Baum genügt.«Und er riß mit einem Ruck den dicksten Eichbaum mit den Wurzeln aus. Der Drache briet den Ochsen und lud Wassil zum Essen ein.

»Iß selber«, lehnte Wassil ab. »Ich werde mich schon zu Haus stärken. Weshalb soll ich mich mit einem einzigen Ochsen abgeben, das reicht mir gerade auf einen hohlen Zahn.«

Fraß der Drache den Ochsen auf, leckte sich das Maul ab, dann fuhren sie weiter. Bald näherten sie sich dem Haus, wo Wassil und die



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Seinen wohnten. Als die Kinder den Vater kommen sahen, schrien sie vor Freude:

»Vater ist da! Vater ist da!«

Der Drache verstand nicht und fragte:

»Was schreien die Kinder dort?«

»Sie freuen sich, daß ich dich als Mittagsschmaus heimbringe. Die Kinder sind nämlich gerade sehr hungrig!«

Da sprang der Drache erschrocken aus dem Wagen und rannte davon. Doch vor Schreck achtete er nicht auf den Weg und geriet in einen Sumpf, der bodenlos war. Immer tiefer versank der Drache im Sumpf, bis er erstickte. So fand er einen kläglichen Tod.


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