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Russische Märchen


Illustrationen


von Wilhelm M Busch

Märchen europäischer Völker


Der Zauberspielmann

Es war einmal ein Spielmann. Der fing schon als kleiner Knabe zu spielen an. Manchmal, wenn er die Ochsen weidete, schnitt er sich einen Rebenzweig, machte ein Pfeifchen draus und spielte so wunderschön, daß die Tiere aufhörten, das Gras zu zupfen, die Ohren spitzten und verwundert lauschten. Das Zwitschern der Vögel verstummte, selbst die Frösche im Sumpf ließen ihr Quaken sein.



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Nachts auf der Weide, da ging es lustig zu. Die Burschen und Mädchen sangen und lachten. So ist es auf der Welt, das junge Blut schäumt. Die Nacht ist lind und lau. Herrlich!

Da nimmt der Spielmann sein Pfeifchen und fängt zu spielen an. Mit einem Schlag wird es still, das junge Volk schwatzt und lacht nicht mehr. Süßer Wohllaut dringt allen ins Herz, eine wundersame Kraft ergreift jeden und trägt ihn empor bis in den dunklen Nachthimmel zu den klaren Sternen.

Die Hirten sitzen da und rühren sich nicht. Sie haben vergessen, daß ihre Arme und Beine von der schweren Arbeit schmerzen, daß der Hunger sie plagt.

Still sitzen sie und lauschen.

Das ganze Leben lang möchten sie so den Weisen des Spielmanns zuhören.

Da verstummt das Spiel. Aber keiner wagt, sich zu rühren, um nicht die Zaubermelodie zu verscheuchen, die über Wald und Hain, bis hinauf in den Himmel schwebt.

Dann ertönt von neuem die Schalmei, aber sie klingt trüb und traurig. Da sinken Kummer und Schwermut in aller Herz . . . Spät zur Nachtzeit kommen die Frauen und Männer müde von der Fronarbeit heim. Doch sobald die Musik erklingt, bleiben sie stehen und hören gebannt zu.

Vor ihren Augen rollt gleichsam ihr ganzes Leben ab - Armut und Kummer, der grausame Pan, der Richter und die Gutsverwalter. Und ihr Herz krampft sich vor Leid zusammen, sie möchten weinen und klagen wie an einem Totenbett oder als ob die Söhne zu den Soldaten gingen.

Doch da läßt der Spielmann eine lustige Weise erklingen. Die Frauen und Männer werfen die Sensen, Rechen und Heugabeln hin, stemmen die Hände in die Hüften und beginnen zu tanzen.

Und es tanzen die Menschen, es tanzen die Pferde, es tanzen die Bäume im Eichenwald, es tanzen die Wölkchen und die Sterne am Himmel, alles auf der Welt tanzt und freut sich.

Solche Wunderkraft besaß sein Spiel - was er wollte, das konnte er mit den Menschenherzen tun.

Als er heranwuchs, zimmerte sich unser Spielmann eine Fiedel und zog mit ihr in die weite Welt hinaus. Wo er hinkam, gab man ihm



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Speise und Trank, empfing ihn wie einen lang ersehnten Gast, ja er zog sogar mit vollen Taschen von dannen.

Lange Zeit wanderte der Fiedelmann in der Welt herum, spielte zu Lust und Freud guten Menschen auf; den grausamen Gutsherren aber zerschnitt er das Herz ohne Messer. Wo immer er sich zeigte, wollten die Knechte nicht mehr dem Herrn gehorchen. So ward der Fiedelmann den Reichen ein Dorn im Auge, und sie wollten ihn aus dem Wege schaffen.

Die Gutsherren zerbrachen sich die Köpfe, wie sie das tun sollten. Sie überredeten den und jenen, den Spielmann zu erschlagen oder ins Wasser zu werfen. Aber niemand wollte das tun. Die armen Leute liebten ihn sehr; und die Gutsverwalter fürchteten ihn, denn sie glaubten, er wäre ein Zauberer.

Da riefen die Gutsherren die Teufel zu Hilfe, denn Herren und Teufelspack gehören all in einen Sack.

Eines Tags wanderte der Spielmann durch einen Wald, da hetzten die Teufel zwölf hungrige Wölfe auf ihn. Die stellten sich quer überm Weg auf und warteten, daß er käme. Ihr Zähne knirschten vor Gier, ihre Augen glühten wie glimmende Kohlen. Der Spielmann aber hatte nichts weiter bei sich als die Fiedel im Ranzen. >Jetzt schlägt mein letztes Stündlein<, dachte er.

Er nahm die Fiedel, um vor dem Tod noch ein letztes Mal aufzuspielen, lehnte sich an einen Baum und strich mit dem Bogen über die Saiten. Und da sang und klang seine Fiedel, ein Raunen ging durch den Wald. Strauch und Baum standen wie gebannt, kein Blättchen rührte sich. Und auch die Wölfe mit ihren aufgerissenen Rachen blieben wie erstarrt auf der Stelle stehen.

Sie hörten zu, die Ohren gespitzt, und vergaßen sogar ihren Wolfshunger.

Und als der Spielmann aufhörte, da trollten sich die Wölfe wie schlaftrunken in den Wald zurück.

Er setzte seinen Weg fort. Die Sonne war schon hinter den Bäumen untergegangen, nur ihre Wipfel erglänzten noch in goldenem Schein. Still war's ringsum, man konnte ein Blatt vom Baum fallen hören. An einem Fluß setzte sich unser Spielmann hin, nahm die Geige aus dem Ränzlein und begann zu fiedeln. Und so wunderbar war sein Spiel, daß Himmel und Erde lauschten. Doch als er eine Polka auf-



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spielte, begann alles ringsum zu tanzen. Die Sterne kreisten wie wirbelnder Schnee, die Wolken drehten sich am Himmelszelt, und die Fische hupften ausgelassen aus dem Wasser, so daß der Fluß zu kochen schien.

Sogar der Wasserkönig konnte nicht widerstehen - auch er schloß sich dem Tanz an. Und er schwang so ungestüm das Bein, daß der Fluß aus seinen Ufern trat. Die Teufel bekamen es mit der Angst zu tun und machten sich aus dem Staub. Erzgrimmig waren sie, fletschten die Zähne, aber sie konnten dem Spielmann nichts anhaben. Der aber sah, daß der Wasserkönig den Menschen viel Unheil zugefügt hatte, waren doch die Felder und Gärten überschwemmt. Da stellte er sein Spiel ein, legte die Fiedel in den Ranzen und machte sich neuerlich auf die Wanderung.

Wie er so seines Wegs ging, kamen zwei junge Gutsherren auf ihn zugelaufen.

»Wir haben heute ein Fest«, redeten sie dem Musikanten zu. »Spiel uns auf, Herr Musikant. Wir werden dich reichlich belohnen.« Der Spielmann überlegte - bald brach die Nacht an, er aber hatte kein Dach überm Kopf und keinen Heller in der Tasche.

»Na schön«, meinte er, »ich spiel' euch auf.«

Da führten ihn die Herrchen in ein schönes Schloß. Dort waren feine junge Herren und Fräulein versammelt, so viele wie Bienen im Korb. Auf dem Tisch stand eine große, tiefe Schüssel. Die Gäste liefen der Reihe nach zum Tisch, tauchten einen Finger in die Schüssel und strichen damit über die Augen.

Da ging auch der Spielmann zu der Schüssel, benetzte den Finger und fuhr damit über die Augen. Kaum hatte er das getan, da sah er, daß hier keine Herren und Fräulein waren, sondern samt und sonders Teufel nebst Teufelinnen, und das Schloß war kein Schloß, sondern eine finstere Hölle.

>Ach so<, dachte der Spielmann. >Zu so einem Fest haben sie mich geladen! Na schön! Ich werd' ihnen jetzt eins aufspielen!< Er stimmte seine Fiedel, strich mit dem Bogen über die Saiten, da zerfiel die ganze Hölle in Staub und Asche, die Teufel und Teufelinnen aber liefen davon.


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