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Russische Märchen


Illustrationen


von Wilhelm M Busch

Märchen europäischer Völker


Wie der Bauer mit dem hochmütigen Gutsherrn zu Mittag aß

Es war einmal ein Gutsherr, der war reich und sehr hochmütig. Niemand war ihm gut genug. Die Bauern aber sah er überhaupt nicht als Menschen an. Ein übler Geruch geht von ihnen aus, sagte er, sie riechen nach Erde. Und er befahl seinen Dienern, keinen Bauern in seine Nähe zu lassen.

Standen eines Tags die Bauern beisammen und schwatzten über ihren Herrn. Der eine sagte:

»Ich hab' unsern Herrn ganz nah gesehen, auf dem Feld traf ich ihn.«

Der zweite prahlte:

»Und ich hab' gestern durchs Gitter gelugt und sah, wie der Herr auf dem Balkon Kaffee trank.«

Da kam das ärmste Bäuerlein herzu. Es hörte ein Weilchen, was sie sprachen, und fing an zu lachen.

»Ach, ihr seid mir gut!« sagte das Bäuerlein. »Ich gucke nicht übern Zaun auf den Pan. Wenn ich will, speise ich mit ihm zu Mittag.« »Wie kannst du mit dem Herrn zusammen zu Mittag essen? Wenn er dich nur sieht, läßt er dich am Kragen hinauswerfen, du kommst nicht mal bis an seine Tür.«

Sie stritten also und redeten durcheinander.

»Du lügst«, schrien sie.

»Nein, ich lüg' aber nicht.«

»Na schön. Wenn du wirklich mit dem Pan zu Mittag ißt, bekommst du von uns drei Säcke Weizen und noch dazu zwei Ochsen. Wenn nicht, mußt du alles tun, was wir von dir verlangen!«

»Gemacht«, antwortete das Bäuerlein.

Und er ging sogleich zum Herrenhaus. Wie ihn die Diener von weitem sahen, liefen sie auf ihn zu und wollten ihn fortjagen.



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»Hört mich an«, sagte das Bäuerlein. »Ich habe für euern Pan eine gute Nachricht.«

»Was für eine Nachricht?«

»Das sag' ich niemandem, nur dem Pan.«

Da gingen die Diener zum Gutsherrn und berichteten ihm, was los war. Der Pan wurde neugierig. Das Bäuerlein kam nicht mit einer Bitte zu ihm, sondern mit einer Nachricht! Vielleicht würde er davon einen Nutzen haben. . . Und er befahl den Dienern:

»Laßt den Bauern herein!«

Die Diener riefen den armen Bauern ins Haus. Der Gutsherr kam ihm höflich entgegen.

»Was hast du für eine Nachricht?«fragte er.

Der Bauer warf einen Blick auf die Diener und sagte:

»Ich muß mit dir, Herr, unter vier Augen sprechen!«

Da entbrannte die Neugier im Gutsherrn noch stärker. >Was soll das heißen?< dachte er und schickte die Diener hinaus.

Als sie allein geblieben waren, sprach der Bauer leise: »Sag mir, gnädiger Herr, was kostet wohl ein Stück Gold so groß wie ein Pferdekopf?«

»Wozu fragst du das?« forschte der Gutsherr.

»Ich muß es wissen.«

Dem Gutsherrn funkelten die Augen vor Habgier, seine Hände zitterten. >Ach<, denkt er, >der Bauer fragt nicht einfach so, sicher hat er einen Schatz gefunden.<

Und er begann ihn auszufragen:

»Sag mal, Bäuerlein, wozu mußt du das wissen?«

Da seufzte der Bauer schwer und erwiderte:

»Nun, du sagst es mir nicht -wie du willst. Ich muß jetzt nach Hause gehen und zu Mittag essen.«

Der Gutsherr vergaß seinen Hochmut. Er zitterte am ganzen Leib vor Gier nach dem Gold.

>Diesen Bauern hau ich übers Ohr, ich nehm ihm sein Gold ab!<Und er sagte zum Bauern:

»Hör mal, Bäuerlein, warum eilst du eigentlich nach Haus? Wenn du Hunger hast, kannst du ja mit mir zu Mittag essen.« Seinen Dienern rief er zu: »Deckt flink den Tisch und vergeßt auch die Schnapsflaschen nicht!«



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Eins, zwei, drei hatten die Diener allerhand leckere Speisen und Schnäpse aufgetischt.

Der Gutsherr forderte den Bauern immerzu auf:

»So trink doch, Bäuerlein. Iß, Bäuerlein, iß, soviel du willst. Genier dich nicht!«

Der Bauer ließ sich nicht lange bitten, er aß und trank nach Herzenslust. Der Gutsherr aber legte ihm immerfort neue Speisen auf und schenkte ihm ein.

Nachdem der Bauer sich den Bauch vollgeschlagen hatte, sprach der Gutsherr:

»So, und jetzt lauf schnell nach Haus und bring mir das Gold so groß wie ein Pferdekopf! Ich kann besser damit umgehen. Und als Belohnung schenk' ich dir einen Dukaten.«

»Nein, Herr, das Gold bring' ich dir nicht.«

»Ja, warum denn, Bäuerlein?«

»Weil ich's nicht habe.«

»Wieso hast du's nicht? Warum hast du mich dann gefragt, wieviel es kostet?«

»Einfach so, weil's mich interessierte!«

Da schäumte der Gutsherr vor Wut, sein Gesicht färbte sich blaurot.

Mit den Füßen aufstampfend, schrie er: »'raus mit dir, Tölpel!«

Aber der Bauer gab ihm zur Antwort:

»Ach, lieber, gütiger Herr! Ich hab' meinen Spaß mit dir getrieben und dabei noch drei Säcke Weizen samt zwei steilhörnigen Ochsen in der Wette gewonnen. Ein Tölpel hat dazu nicht den Verstand!« Das sagte er dem Gutsherrn und ging seines Weges.


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