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Russische Märchen


Illustrationen


von Wilhelm M Busch

Märchen europäischer Völker


Assilak und der Drache

Vor langer Zeit wurde das Land von einem Drachen heimgesucht, der die Menschen packte und in sein Reich schleppte, damit sie für ihn arbeiten sollten, denn der Drache besaß unübersehbar viel Land.



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Ein ganzes Heer gehorsamer Diener bewachte die Bauern und ließ ihnen kaum Zeit zum Ausruhen. Und wer nicht genug arbeiten konnte oder krank wurde, den schlugen die Diener des Drachen so lange, bis er tot umfiel.

Die Bauern bearbeiteten das Land des Drachen und düngten es mit den Knochen ihrer toten Brüder. So würde es auch heute noch sein, wäre nicht zu dieser Zeit tief im Walde, inmitten ewiger Sümpfe, Assilak in einer Hütte als Sohn armer Eltern geboren worden. Er wuchs auf wie eine Eiche, groß und gewaltig, und sein Vater erzählte ihm von dem grausamen Drachen und von den Leiden der Bauern in seinem traurigen Reich.

Da entschloß sich Assilak, den Drachen zu bestrafen und die Bauern von ihrer Fron zu befreien. Und da er sich nun einmal dazu entschlossen hatte, rüstete er auch gleich zum Aufbruch. Der Vater aber hielt ihn zurück und sprach: »Wohin willst du denn, mein Sohn? Ist dir dein Leben nicht mehr lieb, daß du so früh in den sicheren Tod gehen willst? Warum lieferst du dich lebendigen Leibes dem Drachen aus?«

»Ich ertrage es nicht, von den Qualen der Bauern zu hören und mit anzusehen, wie die Kinder nach ihren Vätern weinen«, erwiderte Assilak. »Ich will die Menschen von dem Drachen befreien.« »Aber wie willst du ihn denn allein besiegen können, ihn, dem Tausende gehorchen müssen?«

Assilak aber ließ sich nicht beirren. »Wir und unsere Kinder und Kindeskinder können niemals als freie Menschen leben, solange der Drache nicht erschlagen ist.«

»Wenn es so ist«, antwortete der Vater, »mach was du willst. Ich weiß ja selbst, daß die Bauern so nicht länger leben können.« Und Assilak zog aus, um den furchtbaren Drachen zu suchen. Er wanderte lange hin und her, doch nirgends war der Drache zu finden. Es schien als habe die Erde ihn und sein Reich verschlungen. Da begegnete Assilak einem uralten Mann.

»Wohin des Weges, Söhnchen? Vielleicht kann ich dir helfen?« fragte er freundlich. Assilak erzählte ihm, wohin er wolle und was er vorhabe, und klagte ihm, daß er den Drachen nicht finden könne. »Meine Füße sind wund, drei Paar Stiefel habe ich schon durchgelaufen, aber von dem Drachen sehe ich nichts!«



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»Geh nur immer weiter nach Westen«, riet ihm da der uralte Mann, »dann wirst du an eine riesengroße Steinmauer kommen. Dahinter liegt des Drachen Reich. Doch vergiß eins nicht: hast du den Drachen besiegt, so laß ihn nicht wieder los. Er wird dir vieles versprechen -glaub ihm nicht. Gold und Silber wird er dir bieten - nimm es nicht. Denk daran, daß alles mit Bauernschweiß und Bauernblut erworben ist. Hast du den Drachen besiegt, dann schleif ihn in sein Schloß und stecke es an allen vier Ecken in Brand. Das Schloß ist aus lauter Menschenknochen erbaut. Und damit nichts von dem Untier übrigbleibt, streue seine Asche in alle vier Winde.« Assilak bedankte sich für den guten Rat, verabschiedete sich von dem alten Manne und ging weiter nach Westen.

Er durchquerte dichte Wälder, gefahrvolle Sümpfe, schnelle Flüsse und tiefe Seen, ohne daß er zum Reich des Drachen gekommen wäre. Endlich erblickte er am Horizont eine gewaltige Mauer, doch als er sie erreicht hatte, war nirgends eine Pforte zu sehen. Assilak versuchte die Mauer zu erklimmen, aber sie war so glatt, daß seine Hände keinerlei Halt fanden. So beschloß er denn, die Mauer zu umgehen. Drei Tage und drei Nächte wanderte er schon an ihr entlang, und sie nahm kein Ende. Zornig sah Assilak auf die Mauer, dann blieb er stehen, ergriff einen schweren Stein und schleuderte ihn gegen sie. Da erzitterte sie, schwankte und zerfiel, als wäre sie aus Sand gebaut und nicht aus harten Steinen.

Kaum hatte Assilak einen Schritt über die Steine getan, als auch schon der Drache angeflogen kam. Er stürzte sich auf Assilak wie der Geier auf ein Huhn, sperrte seinen Rachen weit auf und wollte ihn verschlingen.

Assilak aber bückte sich, nahm eine Handvoll Sand und warf sie dem Drachen in das eine Auge.

Da brüllte der Drache laut auf, winselte und spuckte und streckte die gewaltige Zunge weit aus dem Maul. Assilak packte ihn bei der Zunge, wand sie sich um den Arm und schleifte den Drachen hinter sich her wie einen morschen Holzklotz. Der Drache aber brüllte wie tausend Wölfe. Assilak ließ seine Zunge los, riß eine Rieseneiche mit der Wurzel aus der Erde und schwang sie über seinem Haupt. Da flehte der Drache mit menschlicher Stimme: »Töte mich nicht, Assilak, schenk mir das Leben! Ich will dir alles geben, was dein Herz



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begehrt. Wenn du es wünschst, gebe ich dir mein halbes Reich und überhäufe dich mit Gold von Kopf bis Fuß.«

Assilak aber lachte und sagte: »Nicht um Gold bin ich zu dir gekommen, Drache, es ist mit Bauernblut erworben. Ich bin zu dir gekommen, um diese armen Bauern endlich aus deiner grausamen Knechtschaft zu befreien und dich für alle deine Missetaten zu strafen.« Da wollte der Drache schnell versprechen, alle Bauern freizugeben, aber er kam nicht mehr dazu. Assilak zerschmetterte ihm den Schädel. Dann packte er ihn an einem Bein und schleifte ihn in sein Schloß. In der Mitte des Palastes ließ er den toten Unhold liegen und legte an allen vier Ecken Feuer an. Wohl kamen die Diener des Drachen gelaufen und wollten ihn daran hindern, aber Assilak ergriff den größten von ihnen an einem Bein und wirbelte ihn um sich, daß der Staub nur so flog. Als er sich dann umsah, war von den anderen Dienern keine Spur mehr zu sehen.

Assilak aber freute sich an dem Feuer, das den Drachenpalast fraß, und ging dann aufs Feld zu den Bauern. Die waren erschrocken zusammengelaufen, standen in Gruppen beieinander, blickten zum brennenden Schloß und redeten leise miteinander: »Das wird wieder eine Arbeit geben, wenn der Drache uns befiehlt, einen neuen Palast zu bauen. Ach, wenn er doch selber dort umkäme!«

Assilak trat zu ihnen. Sie hielten ihn für einen neuen Diener des Drachen und verstummten.

»Warum erschreckt ihr? Ich bin ein Bauer wie ihr, ich heiße Assilak.«

»Dann wirst du auch wie wir bis ans Ende deiner Tage unter dem Joch des Drachen seufzen müssen.«

»Das brauchen wir nicht mehr«, erwiderte Assilak. »Eure Qual ist zu Ende, ihr braucht nicht mehr vor dem Drachen zu zittern. Er lebt nicht mehr. Sogar seine Asche ist mit dem Rauch in alle Winde geflogen. Ihr könnt wieder in eure Heimat gehen.«

Da jauchzten die Bauern, sie umarmten Assilak und sangen und sprangen vor Freude. Dann kehrten sie in ihre Dörfer zurück, um für sich und für ihre Kinder zu arbeiten. Assilak aber zog weiter, in andere Länder, in denen Bauern noch unter der Herrschaft böser Drachen und ihrer Diener stöhnen. Und bald wird nun die Zeit kommen, da alle Bauern frei sein werden.


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