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Russische Märchen


Illustrationen


von Wilhelm M Busch

Märchen europäischer Völker


Grizko und der Pan

Eines Tages kam der Pan vom Jahrmarkt und überholte Grizko, den Hirten. Der ging seines Weges und blies auf seiner Schalmei.

»Grizko, kommst du vom Jahrmarkt?«

»Tja.«

»Hast du die Schalmei dort gekauft?«

»Tja.«

»Komm, wir gehen zusammen.« »

Hm. «

So gingen sie zusammen. Und als sie so gingen, fanden sie ein gebratenes Ferkel, so ein knusperiges Ferkelchen, mit goldbrauner Kruste, das Bäuchlein mit Hirsebrei gefüllt. Der Pan überlegte, wie er es wohl anstellen könne, das Ferkel allein zu essen. Endlich fiel ihm was ein.

»Grizko, he, Grizko, wie wollen wir denn das Ferkel essen?«

»Na, eben aufschneiden und essen.«

»Ach geh, da esse entweder ich zuviel oder du ißt zuviel. Machen wir es doch lieber so: Wir legen uns schlafen, und wer den schönsten Traum hat, darf das Ferkel allein essen.« — »Na, gut.«

Kaum lagen sie da, als der Pan auch schon schnarchte. Grizko rüttelte ihn leise, aber er schlief ganz fest. Da nahm Grizko dem Pan



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den Brotkanten weg und aß das gebratene Ferkel dazu. Er knabberte alle Knochen ab, aß den Brei auf, wurde satt und immer satter und legte sich endlich schlafen.

Da aber wurde der Pan wach, rieb sich den Schlaf aus den Augen und rüttelte Grizko.

»He, Grizko, was hast du geträumt? Du mußt mir erzählen. Wir haben es so ausgemacht.«

»Ah! Ihr habt mich zur Unzeit geweckt, Pan.«

»Erzähle deinen Traum!«

»Erzählt Ihr zuerst. Wie Ihr mich angestoßen habt, habe ich alles vergessen, muß mich erst wieder darauf besinnen.«

»Nun paß auf, Grizko, ich habe einen schönen Traum gehabt. Es war mir, als wache ich auf. Als ich mich umblickte, sah ich in unserer Nähe ein stattliches Roß grasen, ein schönes Roß — es hatte neues Zaumzeug, silberne Zügel, goldene Steigbügel und ein Daunenkissen auf dem Sattel. Ich stieg auf und ritt los, daß die Funken nur so stoben. So ritt und ritt ich über die Steppe, und so herrlich schön war es, daß ich sogar anfing zu singen. Da sah ich plötzlich einen Pfahl und kletterte die Leiter hoch. Ich kletterte und kletterte hoch und immer höher, und ehe ich richtig hinsah, war ich auch schon im Himmel. Ich ging da ein Weilchen und erblickte schließlich eine kleine Hütte. Ich öffnete ein wenig die Tür - ganz hell war es drinnen. Ich schaute hinein -da saß der liebe Gott höchstpersönlich am Tisch und aß zu Abend. Und um ihn standen Klöße und Kirschen und Spätzle mit saurer Sahne und Nudeln und Knoblauchwurst . . . «

»Ho!«

»Tja. . . Der liebe Gott guckte mich an und sagte: >Komm, Pan, iß mit mir zu Abend.<So hab ich mit Gott in eigener Person zu Abend gegessen. Siehst du, Grizko, welch schönen Traum ich gehabt habe . . . Gib mir das Ferkel! Und hast du vielleicht etwas Salz da?«

»Halt, halt, Pan, hört Euch erst meinen Traum an!«

»Nun erzähl schon, aber mach schnell!«

»Also ich habe auch geträumt, aber ganz anders. Ich wachte auf. Da graste hier eine Schindmähre. Sie hatte Zügel aus Stricken, Steigbügel aus Rutengeflecht, das ganze Zaumzeug war zerrissen und der Gaul selbst voller Ausschlag . . . Ich stieg auf und trottete los. Ich



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trottete und trottete durch die Steppe, daß mir ganz elend zumute wurde. Plötzlich sah ich, daß da ein Pfahl mit einer Leiter stand, und an dem Pfahl war ein Roß gebunden, ein herrliches Roß, mit neuem Zaumzeug, silbernen Zügeln, einem Daunenkissen.

»Das war mein - mein Roß!«

»Tja . . . Ich kletterte also die Leiter hoch. Ich kletterte, kletterte und kletterte hoch und immer höher, bis mir ganz übel wurde. Als ich oben war -schau einer an -, da war ich im Himmel. Na, ich lief da so kreuz und quer umher und kam endlich zu einer kleinen Hütte. Und wie ich die Tür öffnete, da sah ich Euch und den lieben Gott beim Abendessen sitzen. Und um Euch standen Klöße und Kirschen und Spätzle mit saurer Sahne und Nudeln und Knoblauchwurst. Und da winktest du mir ab, Pan, und sagtest: >Geh hinunter, Grizko, und iß das Ferkel, ich esse hier bereits mit dem lieben Gott zu Abend.<Na, da stieg ich wieder herunter, aß das Ferkel und legte mich danach schön schlafen.«

»Hast du wahrhaftig das Ferkel gegessen? Sage, ob du das Ferkel gegessen hast!« ereiferte sich der Pan.

»Aber ja, Pan, sogar alle Knöchelchen noch ausgelutscht. Es war ja auch nur ein ganz junges Ferkelchen!«

»Daß dich der Teufel brate! Daß du krumm und lahm würdest! Ich habe doch bloß geträumt!«

»Das hab ich nicht gewußt. Ihr winktet mir ab, daß ich hinuntersteigen und das Ferkel essen soll.«

»Daß dich . . .! Soll ich jetzt das trockene Brot essen?«

»Zürnt nicht, lieber Pan, Euren Brotkanten habe ich zum Ferkel dazugegessen. Ich dachte, nach den Pfannkuchen würdet Ihr kein Schwarzbrot mehr mögen.«

Da wurde der Pan bitterböse, nahm seine Mütze und lief davon.

Grizko aber lachte und ging seiner Wege.


Copyright: arpa, 2015.

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