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Russische Märchen


Illustrationen


von Wilhelm M Busch

Märchen europäischer Völker


Blendwerk II

In einem Lande, in einem Reiche lebte einmal ein Matrose, der diente dem Zaren treu und ehrlich, und das wußten seine Vorgesetzten auch alle. Einmal bat er um Urlaub, um an Land gehen zu dürfen. Er zog seinen Leinenkittel an und ging in die Stadt ins Wirtshaus. Er setzte sich an einen Tisch, bestellte Wein und Essen und ließ es sich gut gehen. Er hatte vielleicht für zehn Rubel verzehrt und hörte noch immer nicht auf, da fragte ihn der Kellner:

»Höre, Matrose, du forderst sehr viel. Hast du auch Geld, um zu zahlen?« —»Ach, Bruder, Geld? Wie kannst du daran zweifeln? Ich habe so viel, daß die Hühner es nicht aufpicken können.«

Er nahm ein Goldstück aus der Tasche, warf es auf den Tisch und sagte: »Da hast du!«Der Kellner nahm das Geld, rechnete alles zusammen, wie es sich gehört, und brachte ihm den Rest zurück. Aber der Matrose sagte: »Was soll ich denn mit dem Kleingeld? Behalt es dir für Schnaps!«

Am nächsten Tag bat der Matrose wieder um Urlaub, ging in das gleiche Wirtshaus und verjubelte wieder ein Goldstück. Am dritten Tage wieder, und so kam er an jedem Tag, zahlte mit Goldstücken und schenkte dem Kellner das Kleingeld.

Endlich wurde der Wirt selber auf ihn aufmerksam und wurde unruhig. »Was mag das bedeuten? Er scheint ein Matrose zu sein und vergeudet so viel Geld? Er hat einen ganzen Sack Goldstücke hierhergebracht. Sein Lohn, das weiß man, ist nicht derart, daß man so üppig leben kann. Sicher hat er einen Schatz gestohlen, das muß man anzeigen, sonst kann's mir zur Unzeit noch schlecht ergehen, wenn es entdeckt wird, und ich komme gar noch nach Sibirien.«



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Der Wirt meldete es dem Offizier, und dieser sagte es wieder dem General. Der General ließ den Matrosen kommen und sprach: »Sag ehrlich, woher hast du das Gold genommen?« — »Solches Gold findet man auf jedem Misthaufen.« — »Was lügst du da?« —»Nein, Exzellenz, ich lüge nicht, sondern der Wirt. Er soll das Gold herzeigen, das er von mir erhalten hat.«

Sogleich brachte man den Sack und machte ihn auf, da waren lauter Knochen darin.

»Aber Bruder, du zahltest ja mit lauter Gold, und jetzt sind das lauter Knochen! Zeige, wie das geschehen konnte!«

Da rief der Matrose plötzlich: »Ach, Exzellenz, wir müssen sterben!«

Siehe, da strömte bei Türen und Fenstern Wasser herein, stieg immer höher und höher, so daß es ihnen allen bis an die Kehlen ging. »Himmel, was sollen wir da machen? Wohin sollen wir fliehen?« fragte der General ängstlich. »Wenn ihr nicht ertrinken wollt, Exzellenz«, sagte der Matrose, »dann klettert rasch hinter mir den Rauchfang hinauf!« Schnell kletterten die beiden bis auf das Dach, da standen sie nun und schauten umher nach allen Seiten. Die ganze Stadt war überflutet. Das Wasser stand an manchen Stellen so hoch, daß man gar keine Häuser mehr sehen konnte, und das Wasser stieg immer weiter.

»Bruder, wir werden sicherlich auch hier nicht entrinnen«, sagte der General. »Ich weiß nicht, was geschehen wird; was sein muß, wird sein.« — >Mein Tod ist gekommen<, dachte der General außer sich und fing an zu beten.

Plötzlich kam ein Boot dahergeschwommen, blieb an dem Dache hängen und blieb liegen. »Exzellenz«, sagte da der Matrose, »steigen wir schnell in das Boot, vielleicht können wir uns noch retten, sonst kommt das Wasser hierher!« Sie stiegen in das Boot, und der Wind trieb sie über das Wasser. Sie schwammen einen Tag und noch einen, und am dritten sank das Wasser, und zwar so schnell, daß man gar nicht begriff, wohin es abfloß. Als rings um sie alles trocken war, stiegen sie aus und fragten die Leute, wie das Land heiße und wo sie wohl wären. Sie waren bis ins dreimal neunte Land ins dreißigste Reich geschwommen.

Das Volk dort war ihnen völlig fremd und unbekannt. Was sollten



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sie machen, und wie sollten sie wieder in ihre Heimat kommen? Sie hatten keinen einzigen Groschen Geld. Da sagte der Matrose: »Wir müssen uns als Arbeiter verdingen, sonst können wir nicht dran denken, heimzukehren.«

»Das ist gut für dich, Bruder, du bist seit jeher ans Arbeiten gewöhnt, aber ich? Du weißt, ich bin ein General und kann nicht arbeiten.

»Das macht nichts, ich werde schon eine Arbeit finden, bei der man nichts zu können braucht.«

Sie gingen ins Dorf und verdingten sich als Hirten. Die Gemeinde war einverstanden und nahm sie für den ganzen Sommer auf.

Der Matrose war der Hirt und der General der Hüterbub. So hüteten sie bis zum Herbst das Vieh der Gemeinde und sammelten dann von den Bauern das Geld ein. Das teilten sie.

Der Matrose machte zwei gleiche Teile für sich und den General. Als der General sah, daß der Matrose sich ihm gleichstellte, war er beleidigt und sagte: »Wie kannst du nur gleiche Teile machen? Ich bin doch ein General und du bloß ein einfacher Matrose.«

»Ja, ich sollte besser drei Teile machen und mir zwei nehmen; für dich ist ein Drittel auch genug, denn ich war eigentlich der Hirte und du nur der Hüterbub.« Da wurde der General zornig und fing an zu schimpfen. Der Matrose gab nicht nach, hob die Hand und stieß den General an: »Wacht auf, Exzellenz!«

Der General erwachte. Da war alles wie früher. Er war gar nicht aus seinem Zimmer fortgewesen! Er wollte aber nicht mehr über den Matrosen zu Gericht sitzen und ließ ihn frei.

Der Wirt ging nach Hause und hatte nichts erreicht.


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