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Russische Märchen


Illustrationen


von Wilhelm M Busch

Märchen europäischer Völker


Der Wolf, der Hund und der Kater

Ein Bauer hatte einen Hund. Solange dieser jung war, bewachte er das Haus; aber als er alt wurde, jagte sein Herr ihn vom Hof. Da streunte er durchs weite Feld, fing Mäuse und fraß, was ihm sonst gerade vors Maul kam. Eines Nachts begegnete ihm der Wolf.

»Guten Tag, Bruder Hund!« begrüßte ihn der Wolf.

»Was machst du denn?«

»Ach, als ich jung war, hatte mein Herr mich sehr gern, weil ich den Hof bewachte; aber jetzt, da ich alt geworden bin, hat er mich davongejagt!«

Da packte Mitleid den Wolf.

»Du wirst Hunger haben, wie?«

»Ja«, sagte der Hund, und der Wolf redete weiter: »Komm, wir wollen zusammengehen, ich werde dich schon durchfüttern.« Sie zogen zusammen los. Und als sie eine Weile gegangen waren, sah der Wolf Schafe auf einer Wiese.

»Geh und sieh, was da weidet!«

Der Hund ging, besah sich das Vieh, kam wieder und sagte: »Es sind Schafe.«

»Hol sie der Kuckuck! Wir werden nur in Wolle beißen; sie haben zu wenig Fleisch an den Knochen, das macht uns nicht satt. Komm weiter!

Sie gingen wieder ein Stück, und der Wolf erkannte eine Herde Gänse.

»Geh«, sagte er, »und sieh, was da weidet!«

Und der Hund lief, schaute nach und sprach: »Es sind Gänse.«



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»Hol sie der Kuckuck! Wir kriegen das Maul voll Federn, aber kein Fleisch in den Magen. Komm weiter!«

So gingen sie weiter, der Wolf blickte umher und sah ein Pferd auf der Weide.

»Geh«, sagte er wieder, »und sieh, was da weidet!«

Der Hund sah nach und sagte: »Es ist ein Pferd.«

»Nun, das soll uns schmecken!«

Sie gingen auf das Pferd los, der Wolf scharrte die Erde aus, biß in den Rasen, um sich in Zorn zu bringen, und rief: »Sieh her, hab acht auf meinen Schwanz: Zittert er schon?«

Der Hund besah ihn und sagte: »Ja, er zittert schon.«

»Und tränen nicht auch meine Augen?«

»Ja, sie tränen.«

Da stürzte sich der Wolf auf das Pferd, packte es bei der Mähne und zerfleischte es. Dann fingen sie beide an zu fressen. Der Wolf war noch jung und konnte schnell schlingen, aber der alte Hund -bap! —bap! —, für ihn blieb so gut wie nichts! Zuletzt liefen auch noch andere Hunde herbei und verdrängten ihn völlig.

Da ging unser Hund nun traurig seiner Wege. Bald aber begegnete ihm ein Kater. Der war genauso alt wie er selber. Er lief über die Felder und fing Mäuse.

»Guten Tag, Freund Kater! Wohin des Weges?«

»Ach, ich gehe immer der Nase nach. Als ich noch jung war, fing ich für meinen Herrn Mäuse; aber als ich alt wurde und nur schlecht sah, schaffte ich's nicht mehr; da jagte er mich weg. Nun strolche ich herum.«

»So komm mit, Katerchen! Ich werde dich füttern!«

Der Hund wollte es nämlich auch so machen wie der Wolf!

Sie gingen zu zweit ihres Wegs.

Da sah der Hund die Schafe und schickte den Kater hin: »Lauf, Katerchen, guck einmal, was da weidet!«

Der Kater lief, guckte und sprach: »Es sind Schafe!«

»Ach, der Kuckuck soll sie holen! Wir kriegen nur das Maul voller Wolle, aber kein Fleisch in den Magen. Ziehen wir weiter!«

So gingen sie weiter, und der Hund sah die Gänse: »Geh«, sprach er, »und guck, was da weidet!«

Der Kater lief, guckte und sprach: »Es sind Gänse!«



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»Hol sie der Kuckuck! Da kriegt man vor lauter Federn kein Fleisch in den Schlund!«

Schließlich aber erblickte der Hund ein Pferd.

»Lauf, Brüderchen«, sprach er zum Kater, »und sieh, was da weidet!«

Der Kater ging, sah sich um und sagte: »Es ist ein Pferd!«

»Nun«, sprach der Hund, »das soll uns schmecken, das wollen wir fressen.«

Er biß in die Erde, um in Zorn zu kommen, und rief: »Schau her,

Kater, sieh auf meinen Schwanz, zittert er schon?«

»Nein«, sprach der Kater, »er zittert nicht.«

Wieder scharrte der Hund in der Erde und fragte noch einmal: »Zittert er jetzt? Nun sag schon, daß er zittert!«

Der Kater guckte und sprach: »Ein bißchen fängt er an.«

»Ha-den Teufeisgaul werde ich zerfleischen!«rief der Hund. Dann kratzte er noch einmal im Grase herum und fragte: »Nun, Kater, guck: Tränen meine Augen?«

Aber der Kater sagte: »Nein, sie tränen nicht.«

»Ach, du schwindelst! Sag schon, daß sie tränen!«

»Meinetwegen, sollen sie tränen«, sagte der Kater. Da stürzte sich der Hund wie wild auf das Pferd; aber das war nicht faul und versetzte ihm eins mit dem Huf auf den Schädel. Er streckte gleich alle viere von sich, und die Augen quollen ihm aus den Kopfe. Da rannte der Kater herzu und rief: »Ach, ach, Bruderherz, jetzt tränen deine Augen richtig!«


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