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Russische Märchen


Illustrationen


von Wilhelm M Busch

Märchen europäischer Völker


Tyrkyneku und die schöne Gytinnäu

Es war einmal ein Jüngling namens Tyrkyneku, der liebte über alles die schöne Gytinnäu. Sie war die Freundin seiner Schwester und wohnte auf einer Anhöhe in der Nähe. Oft besuchte Tyrkyneku mit seiner Schwester zusammen Gytinnäu. Er trank Tee mit ihr und schaute das schöne Mädchen die ganze Zeit über voller Bewunderung an. Aber er wagte es nicht, auch nur ein einziges Wort mit ihr zu sprechen.

Tyrkynekus Schwester hatte keinen sehnlicheren Wunsch, als daß ihr Bruder ihre Freundin zur Frau nähme. Wenn sie aber mit Gytinnäu darüber sprach, gebot ihr diese Schweigen. Oft, wenn Tyrkyneku auf der Jagd war, saßen die beiden Freundinnen beisammen und nähten Kleider für ihn. Sobald aber Gytinnäu den Schritt des Heimkehrenden hörte, lief sie eilig davon.

Tyrkyneku wurde darüber sehr traurig und von Zorn überfallen, weil er den Mut nicht fand, mit der schönen Gytinnäu zu sprechen.

Eines Tages sagte er schließlich zu seiner Schwester: »Pack alle unsere Sachen zusammen! Laß uns an einen anderen Ort ziehen!« Die Schwester tat, wie er's ihr geheißen, und die beiden zogen von dannen. Tyrkyneku schritt voran, und die Herde der Rentiere folgte ihm.

Hinter der Herde fuhr Tyrkynekus Schwester auf einem überdachten Schlitten. Gytinnäu sah sie von dem Hügel aus und stürzte ihnen nach. Bald schon hatte sie die Freundin eingeholt, setzte sich zu ihr auf den Schlitten und sagte:

»Fahr nur nicht zu weit weg! Ich bin so allein ohne dich!«

Tyrkynekus Schwester versprach der Freundin, ihrer Bitte zu gedenken. Beim Abschied schenkte sie ihr ein Armband aus Glasperlen, das Tyrkyneku der Schwester insgeheim zugesteckt hatte. Er wagte es nicht, Gytinnäu die Perlen selber zu geben.

Das Mädchen bedankte sich bei der Freundin und eilte nach Hause. Aber sie konnte den Blick nicht von dem Armband wenden, mußte es immer wieder anschauen. Beim Sehen der bunten Perlen dachte sie an Tyrkyneku.

Und mit einem Male wußte sie genau: Das war gar kein Armband, das war Tyrkyneku selber.



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Sie schleuderte das Perlenband den Hügel hinunter. Zur gleichen Zeit stürzte Tyrkyneku einen Abhang hinab. Gerade noch konnte er einen Strauch erfassen und sich daran festhalten. Mit großer Mühe kletterte er wieder nach oben, holte die Rentierherde ein und gebot der Schwester anzuhalten. Sie stellten ihre Jaranga dicht beim Abhang auf, und Tyrkyneku sagte zu seiner Schwester: »Deine Freundin putzt sich nicht gern. Schenk ihr doch ein Messer oder einen Spieß. Vielleicht liebt sie Waffen mehr.«

Kurze Zeit darauf erschien Gytinnäu bei ihrer Freundin zu Gast und blieb bis tief in die Nacht hinein bei ihr. Zum Abschied gab ihr Tyrkynekus Schwester ein Messer, ein sehr gutes Messer. Fisch konnte man damit schneiden, Holz konnte man damit schnitzen, und leicht ließ es sich auf der Brust verbergen.

Als Gytinnäu sich das Messer daheim noch einmal anschaute, kam ihr der Gedanke: Ob das vielleicht wieder von Tyrkyneku ist? Und sie warf es den Hang hinab.

Tyrkyneku war gerade von der Jagd zurückgekommen und sagte zu seiner Schwester:

»Deine Freundin mag keine Waffen! Wir wollen ihr etwas für ihre Jaranga schenken.«

Wieder besuchte Gytinnäu ihre Freundin. Die Schwester Tyrkynekus bereitete den Tee, stellte ihn auf ein neues hölzernes Tablett und reichte es der Freundin. Es war ein sehr schönes Tablett, das Gytinnäu mit Wohlgefallen betrachtete.

Tyrkynekus Schwester sagte zu ihr:

»Nimm das Tablett, wenn es dir gefällt! Vielleicht kannst du's brauchen.«

Gytinnäu nahm das Tablett.

Am Abend bei sich daheim sah sie sich bewundernd die vielen Muster und Linien an, und plötzlich dachte sie: >Ob das wohl auch wieder von Tyrkyneku ist?<

Sie ergriff das Tablett und warf es ins Feuer.

Als Gytinnäu ihre Freundin wieder einmal besuchte, verließ Tyrkyneku die Jaranga und ging zur Jagd. Das schöne Mädchen wunderte sich darüber, und als sie das nächste Mal kam, ging Tyrkyneku wieder seiner Wege. Das kränkte sie. Und immer, wenn Tyrkyneku das schöne Mädchen kommen sah, ging er aus der Jaranga. Gytinnäu



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fragte die Freundin: »Was hat bloß dein Bruder? Weshalb läuft er jetzt immer davon, wenn er mich sieht?« Tyrkynekus Schwester wußte es nicht.

Die Zeit verstrich, und eines Tages bat Gytinnäu ihre Freundin:

»Sage deinem Bruder, daß ich nun bereit bin, seine Frau zu werden.«

Froh überbrachte die Schwester dann Tyrkyneku diese Botschaft, er aber antwortete: »Sag deiner Freundin Bescheid, meine Liebe zu ihr ist längst im Feuer verbrannt.«


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