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Russische Märchen


Illustrationen


von Wilhelm M Busch

Märchen europäischer Völker


Das Märchen vom Barsch

In einem Gutsteich wohnte einmal ein kleiner, dickbauchiger, klatschsüchtiger Barsch. Es war ihm da sehr langweilig, und er wurde ganz traurig. Da fuhr er auf einem kleinen Schlitten mit drei Pferden zum Rostowschen See.

Als er dort ankam, schrie er mit seiner lauten Stimme: »Ihr Schergen, Lauben, Stichlinge, Nasen und Rotäugelein, laßt mich in eurem See lustwandeln. Ich will nicht lange bei euch bleiben, höchstens für eine Stunde, Salz und Brot mit euch essen und euren Reden zuhören!« Die kleinen Fischlein waren damit einverstanden, daß der Barsch eine Stunde lang in ihrem See herumspaziere. Er fuhr herum, beleidigte aber alle Fische dadurch, daß er sie in den Schlamm und auf das Ufer des Sees jagte.

Der Karpfen fand, daß das ein großes Unrecht sei. Er ging zum Stör, Peter dem Gerechten, und sagte: »Gerechter Peter Stör! Warum beleidigt uns dieser Barsch? Er hat gebeten, eine Stunde bei uns bleiben zu dürfen, und jetzt jagt er uns alle aus dem See. Sprich dein Urteil, Stör, und entscheide, was recht und unrecht ist!«

Der Stör schickte einen kleinen Gründung aus, um den Barsch zu holen. Das Fischlein suchte im ganzen See herum, konnte aber den Barsch nicht finden. Da schickte der Stör einen mittelgroßen Hecht aus, daß er den Barsch aufsuche. Der Hecht tauchte unter, schlug mit seinem Schwanz umher und fand den Barsch im Kiesboden.

»Wie geht's, mein lieber Barsch?«

»Guten Tag, lieber Hecht! Was führt dich hierher?«



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»Ich soll dich zum Stör Peter führen. Dort sollst du dich verantworten. Gib acht, daß du nicht an die Kette kommst, man hat dich angeklagt.«

»Ei, wer klagt denn gegen mich?«

»Alle Fische, die Gründlinge, die Stichlinge, die Lauben und die Rotäugelein. Sogar der Bauer Wels, der mit seinen dicken Backen kaum sprechen kann, hat eine Beschwerde gegen dich eingereicht. Komm, Barsch, wir wollen hören, wie das Gericht entscheidet.« »Nein, lieber Hecht, lassen wir das bleiben! Geh lieber mit mir auf den Bummel!«

Der Hecht war aber nicht damit einverstanden und wollte den Barsch vor den Richter schleppen, damit er rasch abgeurteilt werde. »Höre, Hecht«, sagte der Barsch, »du hast zwar ein Maul und Zähne, den Barsch wirst du aber nicht beim Schwanz packen. Heute ist Samstag und bei meinem Vater Polterabend. Da gibt es ein lustiges Schmausen. Komm mit, wir werden trinken und lustig sein. Morgen, wenn es auch Sonntag ist, gehen wir zum Gericht. Wir sind dann wenigstens nicht hungrig.«

Der Hecht ließ sich überreden und ging mit dem Barsch auf den Bummel. Da machte ihn der Barsch betrunken, warf ihn in einen Brunnen, deckte ein Brett darüber und schlug ihn mit einer Stange tot.

Lange wartete man auf den Hecht, er kam aber nicht mehr zurück. Nun schickte Peter Stör einen großen Wels aus, damit der den Barsch hole. Der Wels tauchte unter, schlug mit seinem Schweif und fand den Barsch im Kies.

»Guten Tag, Schwiegersöhnchen!«

»Guten Tag, Schwiegerväterchen!«

»Komm vor das Gericht, Barsch, es ist eine Klage gegen dich eingereicht worden.« — »So, wer klagt denn?«

»Alle Fische klagen, die Gründlinge, die Stichlinge, die Lauben und die kleinen Rotäugelein!«

Als der Barsch wieder auskneifen wollte, packte ihn der Wels an einer Flosse und führte ihn persönlich dem Richter vor.

»Gerechter Peter Stör«, sagte der Barsch, »warum läßt man mich nicht in Ruhe?«

»Wie soll man dich ungeschoren lassen? Du hast gebeten, daß man



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dich eine Stunde lang im Rostowschen See spazieren läßt, und gleich hast du alle Fische aus dem See verjagt. Da haben sie sich versammelt und gegen dich eine Klage eingereicht. Sie sagten: >Entscheide du, gerechter Peter Stör, ist das recht?«

»Jetzt höre aber auch meine Klage!« sagte der Barsch.

»Diese Fische sind selber alle Beleidiger, Verleumder und Ränkeschmiede. Ich habe das Ufer mit Wasser unterspült, denn ich kam am späten Abend an und hatte es sehr eilig. Da bin ich vom Ufer in den See gefallen und dabei voll Erde geworden. Und nun wollen sie mir an den Kragen! Peter Stör! Laß die herrschaftlichen Fischer mit ihren feinen Netzen kommen und treibe die Fische alle auf eine enge Mündung zusammen, dann wirst du sehen, wer recht und wer unrecht hat. Der Gute wird nicht in dem Netz bleiben, sondern sofort herauskommen.«

Der Stör hörte die Worte des Barsches an, versammelte die Fische in der engen Mündung und ließ die herrschaftlichen Fischer kommen. Gleich am Anfang war der Barsch ins Netz gefallen, aber er wand und drehte sich so geschickt, daß er als erster aus dem Netz schlüpfen konnte.

»Siehst du, Peter Stör, wer schuldig und wer unschuldig ist?«

»Ich sehe es, Barsch. Geh in den See und spaziere dort herum. Niemand wird dich mehr beleidigen. Eher soll der See austrocknen und die Raben dich aus dem Schlamm holen.«

Jetzt fuhr der Barsch im See herum und brüstete sich vor allen: »Nun habt ihr mich gut anzeigen, ihr Gründlinge, Stichlinge, Nasen, Lauben und alle anderen. Auch den kleinen Rotäugelein werde ich das nicht vergessen! Und der dickmaulige Wels! Reden kann er kaum, aber eine Klage gegen mich einreichen, das hat er gekonnt! Allen werde ich es heimzahlen!«

Da ging Ljubom am Ufer entlang. Er konnte das Prahlen des Barsches nicht länger anhören. Auch Sergej kam vorbei mit einem Arm voll Angelruten, und endlich kam Bogdan. Der fing den Barsch und sagte: »Den brate ich mir und esse ihn noch heute abend.« Das war das Ende vom Barsch.


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