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Russische Märchen


Illustrationen


von Wilhelm M Busch

Märchen europäischer Völker


Die geschwätzige Frau

Es lebte einmal ein alter Bauer zusammen mit seiner Bäuerin. Die Frau war gar nicht übel, sie hatte nur einen großen Fehler: sie konnte ihre Zunge nicht im Zaume halten. Wenn sie von ihrem Mann etwas hörte oder im Haus etwas vorgefallen war, erzählte sie es gleich im ganzen Dorf herum. Es

kam auch wohl vor, daß sie noch etwas dazu erfand und Dinge erzählte, die gar nicht geschehen waren. Immer wieder hatte der Mann mit seinem Rücken für die Schwatzhaftigkeit seiner Frau büßen müssen.

Eines Tages ging der Bauer in den Wald, um Holz zu holen. Er war noch nicht weit gegangen, da geriet er mit dem Fuß an eine Stelle, wo er sofort einsank.

>Was ist denn da los?<dachte der Mann, >ich will nachgraben, vielleicht daß ich etwas zu meinem Glück entdecke!<Nach nur einigen Spatenstichen brachte er einen Kübel zum Vorschein, der mit Gold und Silber gefüllt war.

»Ei, welch prächtiger Fund! Aber wie mit nach Hause nehmen? Vor meiner Frau kann ich das nicht gut verbergen; sie wird gleich überall im Dorf davon erzählen. Und das gibt dann nur Verdruß!«

Der Bauer saß lange da und überlegte. Schließlich schmiedete er einen Plan. Er grub den Kübel wieder in die Erde, warf Reisig darüber und ging in die Stadt. Dort kaufte er einen lebenden Hecht und einen lebendigen Hasen. Damit kehrte er in den Wald zurück. Den Hecht hängte er an den höchsten Ast eines Baumes. Mit dem Hasen ging er an den Fluß, wo seine Reuse lag, und setzte ihn an einer trockenen Stelle hinein.

Auf dem Heimweg trieb er sein Pferdchen an, und als er sich der Hütte näherte, rief er: »Denk dir nur, Frau, was für ein Glück ich gehabt habe, ich kann dir's gar nicht sagen!«

»Was denn, lieber Mann? Warum kannst du's mir nicht sagen?« »Ja, du wirst es vielleicht überall herumerzählen.«

»Auf mein Wort, ich werde zu niemanden davon sprechen! Wenn du willst, schwöre ich! Gleich will ich das Heiligenbild von der Wand holen und es küssen.«

»Nun gut, wenn es so ist, dann höre, Alte«, er beugte sich ganz dicht



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zu ihrem Ohr und flüsterte: »Ich habe im Wald einen Kübel voll Gold und Silber gefunden.«

»Ja, warum hast du ihn denn nicht gleich mitgebracht?«

»Es ist besser, wir gehen zusammen und holen ihn nach Hause.« Der Bauer und die Bäuerin fuhren miteinander in den Wald. Unterwegs erzählte der Bauer seiner Frau: »Weißt du, was ich gehört habe? Neulich erzählte mir jemand, daß ein Fisch in den Wald gekrochen sei, um zu laichen, und daß jetzt die wilden Tiere in den Flüssen herumschwimmen.«

»Was erzählst du da, Mann? Da haben dir die Leute einen schönen Unsinn aufgeredet.«

»Was, Unsinn? Da, guck doch selber!«

Der Bauer zeigte auf den Baum, an dem der Hecht hing.

»Was für ein Wunder?« rief die Frau. »Wie kommt der Hecht da hinauf? Da haben dir also die Leute doch die Wahrheit erzählt.« Der Mann stand da, schlug die Hände zusammen, zuckte mit den Achseln, schüttelte den Kopf und tat, als traue er seinen Augen nicht.

»Was stehst du da?«fragte die Frau. »Klettere schnell auf den Baum und hol den Hecht herunter, der kommt uns gerade recht zum Abendessen.«

Der Mann holte den Hecht herunter. Sie fuhren weiter und kamen an dem Flüßchen vorbei. Da hielt der Bauer sein Pferd an, die Frau aber schrie: »Was guckst du denn wieder, mach, daß wir weiterkommen!

»Da sehe ich, daß sich am Eingang meiner Reuse was rührt. Laß mich rasch nachsehen!«

Er ging hin, griff in die Öffnung der Reuse und zog den Hasen heraus: »Sieh an, Frau, da ist ein Hase in die Reuse gekommen!«

»Wirklich! Die Leute haben also wahr gesprochen! Nimm ihn schnell, den können wir für den kommenden Sonntag brauchen!«

Der Alte nahm den Hasen und fuhr nun geradewegs zu dem Loch. Er nahm das Reisig weg, machte das Loch größer, zog den Kübel heraus, und sie fuhren beide heim.

Jetzt waren der alte Mann und seine Frau reich geworden, und sie ließen sich's gut gehen. Die Frau aber fing an Dummheiten zu machen: Tag für Tag lud sie Gäste ein und veranstaltete solche Schmausereien,



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daß der Mann es zu Hause nicht mehr aushalten konnte. Er suchte ihr die Gastereien auszureden - aber vergebens: sie wollte nicht auf ihn hören.

»Du«, sagte sie, »brauchst mir keine Vorschriften zu machen! Wir haben den Schatz miteinander gefunden, da können wir ihn auch miteinander verbrauchen!«

Der Mann hatte lange Geduld, aber endlich sagte er seiner Frau geradeheraus: »Mach, was du willst, aber ich gebe dir kein Geld mehr, damit du es zum Fenster hinauswerfen kannst!«

Da wetterte die Frau los.

»So einer bist du!« schrie sie. »Du willst mir das ganze Geld aus der Hand nehmen! Nein, du lügst, und ich will dich dahin bringen, wo nicht einmal die Raben ihre Knochen hintragen! Du sollst an all deinem Gold selber keine Freude mehr haben!«

Der Mann suchte sie zu beruhigen, aber sie stieß ihn von sich, ging zum Wojewoden und klagte gegen den Mann: »Ich bin zu Euer Gnaden gekommen, um meinen Kummer darzulegen, den mir mein nichtsnutziger Mann macht. Seitdem er den Schatz gefunden hat, ist es mit ihm kein Leben mehr. Er tut nichts, bummelt immerzu und hat einen Rausch nach dem andern. Du, unser Vater, nimm ihm all das Gold weg - was haben wir schon von dem Gold, wenn darüber der Mensch zugrunde geht!«

Der Wojewode hatte Mitleid mit der Frau und schickte seinen ältesten Schreiber zum Bauern, er solle mit seiner Frau gleich zu ihm kommen.

Der Schreiber versammelte die Gemeindeältesten und sagte zu dem Bauern: »Der Wojewode hat mich zu dir gesandt mit dem Befehl, daß du mir den Schatz aushändigst.«

Der Mann aber zuckte nur die Achseln: »Was für einen Schatz? Ich weiß von keinem Schatz und habe nie einen gesehen.«

»Was, du weißt nichts davon? Deine Frau ist zum Wojewoden gekommen und hat gegen dich geklagt, und du, Bruder, mach mir keine Geschichten, sonst ergeht es dir schlecht.

Wenn du dem Wojewoden den Schatz nicht herausgibst, wirst du dich noch dafür verantworten müssen, daß du den Schatz genommen und es den Behörden nicht angezeigt hast!«

»Ja, meine Herren, was soll denn das für ein Schatz sein? Meine Frau



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hat im Traum einen Schatz gesehen -sie hat euch dummes Zeug erzählt, und ihr glaubt ihr auch noch!«

»Was, dummes Zeug?« brauste die Frau da auf. »Das ist kein dummes Zeug, sondern ein ganzer Kübel voll Gold und Silber!«

»Aber, liebe Frau, du bist ja ganz von Sinnen! Meine Herren, seid einsichtig! Fragt sie genau, wie die Sache war, und wenn sie etwas beweisen kann, dann will ich gern meine Schuld vor aller Welt verantworten!«

»Du glaubst, daß ich dir nichts beweisen kann? Du lügst, das werde ich beweisen! So war die Sache, Herr Sekretär«, fing die Frau an, »ich kann mich genau erinnern. Wir gingen in den Wald, da sah ich auf einem Baum einen Hecht hängen. .

»Was, einen Hecht?« schrie der Sekretär. »Willst du mit mir deinen Scherz treiben?«

»Nein, ich spaße nicht mit Euch, Herr Schreiber, sondern spreche die reine Wahrheit . .

»Nun sehen Sie, meine verehrten Herren«, sagte der Mann, »wie soll man ihr glauben, wenn sie solche Geschichten erzählt?«

»Nein, Mann, ich erzähle keine Geschichten, sondern spreche die Wahrheit. Oder hast du vergessen, wie wir auch den Hasen in der Reuse am Fluß gefangen haben. .

Alle Ältesten schüttelten sich vor Lachen, selbst der Schreiber mußte lächeln und strich sich seinen langen Bart. Der Mann aber sagte zur Frau: »Sieh doch, Frau, alle lachen dich aus! Sie selber, meine Herren, belieben zu sehen, was man meiner Frau glauben kann.«

»Ja«, erklärten da alle Ältesten, »solange wir auf der Welt sind, haben wir es nicht erlebt, daß ein Hase in einem Fluß schwimmt und ein Fisch auf einem Baum klettert.«

Der Schreiber sah, daß in dieser Sache nichts zu verrichten war, winkte mit der Hand und fuhr zum Wojewoden in die Stadt zurück.

Die Frau aber wurde derart ausgelacht, daß sie fortan ihre Zunge im Zaum halten und in allen dem Mann gehorchen mußte. Der kaufte sich für sein Gold vielerlei Waren, reiste in die Stadt und fing dort einen Handel an. Damit verdiente er viel Geld und lebte glücklich und zufrieden.


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