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Kapitel 

VOLKSMÄRCHEN DER KABYLEN

I. BAND


WEISHEIT

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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EINBANDZEICHNUNG VON VON F. H. EMCKE


7. Die erste Sonnenfinsternis und das erste Menschenopfer

Die erste Mutter der Welt war eine große Zauberin (stud). Die erste Mutter der Welt nahm einmal eine Holzschabe (djiffna)mit Wasser, sie schlug mit einer Sichel (am[i]cher oder am[i]ger) hinein, so daß Schaum und Blasen (tichufa) aufstiegen. Da schrie Agur gitaisch (d. i. der Mond der Sonne; gemeint ist anscheinend die durch den Mond in vollkommener Bedeckung verfinsterte Sonne) und Agur gitaisch fiel in die Holzschüssel. (Wörtlich: ichalid [ist



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gefallen] en[i]scht [wie] u'aschemi [ein Stier, d. h. so groß wie ein Stier] ardachen [hinein] ndjiffina [d. i. Holzschüssel].) Die Sonne lag wie ein glänzender Spiegel in der Holzschüssel mit Wasser.

Sogleich war die Welt dunkel, und es war schwarze Nacht. Die Kabylen sagen, daß dieses noch heute alle fünf Jahre einmal vorkommt. Sie sagen, die erste Frau der Welt habe der Welt einen Tag von fünf Jahren gestohlen.

Wie es nun ganz dunkel war, kamen alle Leute zu der alten Stud und sagten zu ihr: "Was hast du getan? Wie soll es nun wieder hell werden? Es kann nur geschehen, indem du eines deiner Kinder, das dir lieb ist, sterben läßt. Wenn du der Sonne ein dir liebes Kind gibst, wird sie wieder emporsteigen. Tue es also."(Wörtlich: theokän [hat gegeben] um [derjenige] athithen [welches sie liebte] filläs [im Herzen] thimi [damit]juro[a]l [zurückkehre] themkanith [an seinen Platz].)

Die erste Mutter der Welt bezeichnete ein Kind und sagte: "So mag dieses Kind sterben. Dieses Kind will ich der Sonne geben." Das Kind starb sogleich, und die Sonne stieg wieder empor.

Die Kabylen sagen, daß es heute noch in jedem Dorfe vier oder fünf solche alten Zauberinnen gäbe, die es verständen, den Mond der Sonne oder die Sonne des Mondes in ein Wassergefäß herabstürzen zu lassen, und dann müsse jedesmal ein von der Zauberin geliebtes Kind sterben. Gibt man nicht ein Kind, das man von ganzem Herzen liebt, so gehe die Sonne nicht wieder in die Höhe.

Die erste Mutter der Menschen machte damals aber mit ihrer hölzernen Wasserschüssel und der Sichel noch mehr. Die Blasen (tichufa) wurden zu Wolken (athigina). Vier Monate lang im Jahre ziehen seitdem die Wolken über den Himmel hin und verdunkeln die Sonne, so daß sie nicht hell und warm scheinen kann. Die Zähne der Sichel, mit der sie die Blasen im Wasser aufschlug, wurden zu Sternen. Die glänzende Mittelfläche der Wasserschüssel wurde die Sonne, der Rand herum der Himmel. Solche hölzerne Wasserschüssel ist also wie ein Spiegel der Welt, und die Kabylen benutzten solche hölzernen Wasserschüsseln auch, ehe sie durch die Europäer andere Spiegel kennenlernten, als Spiegel. (Der Erzähler wiederholt:) Die helle Fläche in der Mitte ist aber etäisch, die Sonne.


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