Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

Isländische Märchen


Illustrationen von Angelika Winkler

Märchen europäischer Völker


Die Hausfrau in Husawik

Ein armes Mädchen, namens Sissal, lebte einmal in Skuwoy; sie hatte Unterkunft bei einem Bauer dort, als ein armes Geschöpf lag sie in der Nacht unter der Mühle mit Lumpen bedeckt; tagsüber saß sie draußen auf der Weide, um die Kühe zu hüten, daß sie nicht in Gefahr kommen oder von einer Wand abstürzen sollten. Eines Tages, als sie bei den Rindern saß, kam eine Schläfrigkeit über sie, sie schlief im Sitzen ein und kam aufs Gesicht zu liegen. Im Traum hörte sie jemand zu ihr sagen: »Du schläfst über Gold! Grabe unter dem Rücken zwischen den beiden Seen, dort wirst du das finden, was dich reichtmacht!« Sie erwachte, erfreut über diesen guten Traum; aber hier war kein Rücken und kein See zu sehen, und sie dachte deshalb, der Traum habe nichts zu bedeuten. Sie ging nach Hause, legte sich auf ihr Lager unter der Mühle, wie sie gewohnt war zu tun. Am nächsten Tage ging sie wieder auf die Weide hinaus, auf denselben Platz wie am Tage zuvor; Schläfrigkeit befiel sie, sie schlief wieder im Sitzen ein und hörte wiederum dieselbe Stimme sagen: »Du schläfst über Gold und so weiter.« Am dritten Tag ging es ihr ebenso. Sie wunderte sich sehr darüber, tröstete sich, daß dieser Traum doch nichts zu bedeuten habe, und ging zu einer alten Frau im Dorfe. Der erzählte sie alles. Die Alte riet ihr nun dort



Bd-06-264_Maerchen von den Faeroeern Flip arpa

zu graben, wo ihr Gesicht auf der Erde gelegen habe; der Rücken, von dem im Traum die Rede war, werde der Nasenrücken sein und die Seen die Augen; grube sie dort, so werde sie wohl das Gold finden. Das Mädchen tat so, wie das Weib gesagt hatte, und fand das große Goldhorn, das Sigmund Brestisson gehabt hatte. Nun ging sie froh nach Hause, brachte es zum Bauer und zeigte ihm, was sie gefunden hatte, und sagte ihm alles. Der Bauer sah, daß ihr das Glück folgen würde, und sandte das Horn zum Könige nebst der Erzählung, wer es gefunden hatte. So wird erzählt, daß das Gold so rein war, daß der König es nicht besser in allen Reichen besaß; er gab ihr den Wert des Hornes in Geld und noch dazu ein Landgut in Husawik. Für das Geld kaufte sie das ganze Land, das gegen Husawik und Skarwanes liegt, und man glaubt, daß sie die reichste Frau gewesen ist, die auf den Färöern gelebt hat.

Die Blockhäuser, die sie sich in Husawik erbaute, kamen ganz aus Norwegen angetrieben, so zugeschnitten, daß sie gleich aufgestellt werden konnten; nichts fehlte daran außer dem Ljoarabogen; diese Stube wurde »die große Stube« genannt und war ein Prachtwerk. Der Steinzaun, den sie um den Friedhof errichten ließ, steht noch; die Wände der Heuscheune, der Grund des Bootshauses, das Steinpflaster zwischen den Häusern im Dorfe, alles erinnert noch an die Hausfrau zu Husawik. Um all diese große Steine, die man hier sieht, vom Gebirge zu ihrem Hause herabzuziehen, benutzte sie den Neck; aber schließlich ging es ihm schlecht: als er über die Takkmoore mit einem großen Stein kam, riß der Neckschwanz ab, und man sieht ein Zeichen von ihm am Steine, der dort liegt; aber der Neck verschwand in den »kleinen Teich«und lebt seitdem dort. Die Hausfrau war böse im Herzen; so wird gesagt, daß sie zwei Mägde lebendig in die Erde vergraben ließ, die eine in dem Acker »Teig«, die andere, die Brynhild hieß, im Brynhildarhügel. Wenn die Knechte vom Felde heimkamen und die Karste auf der Schulter trugen, wurden sie übel empfangen und bekamen wenig zu essen, denn da dachte sie, sie wären faul gewesen und hätten wenig gearbeitet. Kamen sie aber heim und schienen müde zu sein, zogen sie die Karste nach sich oder waren sie naß, wenn sie von der Ausfahrt kamen, so war sie sanft und gut und empfing sie freundlich. In Skarwanes ließ sie einen Acker herstellen und die Erde mit Spaten wenden; sie hatte Viehställe an mehreren Stellen oberhalb des Dorfes, in Kwiggjargil und »am Hügel«; einige Wiesen werden noch



Bd-06-265_Maerchen von den Faeroeern Flip arpa

»Leinwiesen«genannt, hier legte sie Leinwand auf die Bleiche. Sie band die Felder um den Hof mit Runen, so daß kein Stein auf sie herabfällt, obgleich kein Zaun um sie ist; wird Geröll von den Klippen herabgeworfen, so bleibt es auf dem steilen Abhang liegen und fällt nicht herab.

Den Sohn der Hausfrau nennen einige Olaf, den Schäfer; der Enkel war Einiwald, die Tochter Einiwalds war Herborg, die Reiche. Sie hatte ein Kind mit dem Sohne Roalds, der damals Oberrichter war und auf seinem Hofe in Dal in Sandoy saß. Dieser Sohn Roalds ging mit dem Boote bei der Tangbank, in der Nähe von Skarwanes, unter. Als die Nachricht von diesem Unglück zu Roald gebracht wurde, war Herborg zugegen. Sie fragte da den Oberrichter, ob ein Kind im Mutterleibe auch dann das Erbe bekommen solle, wenn der Vater tot sei. »Das volle und ganze Erbe«, antwortete Roald. Sie sagte: »Erinnert euch daran, die ihr's gehört habt« und fiel in Ohnmacht. Nun erst vermutete der Oberrichter, daß sie mit einem Kinde von seinem Sohne gehe, denn sie waren noch nicht verheiratet. Ihr Sohn hieß Asbjörn und wuchs bei seinem Großvater Einiwald auf, aber sie vertrugen sich nicht gut, weil der Großvater nicht vergessen konnte, daß er ein uneheliches Kind war. Asbjörn ließ sich in Skarwanes nieder und bekam die zwölf Äcker vom Gebirge bis zum Strande von Husawik. Eines Tages trafen sich Einiwald und Asbjörn im Felde und stritten über die Grenze zwischen Husawik und Skarwanes; sie rauften sich lange, und noch mehr als ein Jahr später waren die Gruben am Fuße des Westfjelds sichtbar, wo sie sich gerauft hatten; endlich neigte sich der Sieg auf die Seite des Alten und er setzte die Grenzzeichen, wie sie zwischen ihnen sein sollten. Asbjörn erbaute einen Zaun auf der Grenzscheide. Während er hin und her ging und Steine zum Zaun zusammenschleppte, sah er einen Mann mit einem Schurz um die Lenden hin und her gehen und Steine schleppen wie er selbst; — er glaubte zuerst, daß das ein Huldrenmann sei, da er ihn nicht kannte; aber dann entdeckte er, was das war -das war er selbst, der sich als Doppelgänger gesehen hatte; er starb, ehe das Jahr zu Ende ging.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt