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Isländische Märchen


Illustrationen von Angelika Winkler

Märchen europäischer Völker


Die kleine Geschichte von Gudmund und der Brautwerbung

Es wird berichtet, daß Gudmund der Mächtige immer einen sehr glänzenden Haushalt führte. Er hatte über hundert Hausgenossen. Es war seine Gewohnheit, die Söhne vornehmer Männer lange bei sich wohnen zu lassen, und er hielt sie so ausgezeichnet, daß sie gar keine Arbeit



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auf sich zu nehmen brauchten und jederzeit mit ihm in der Stube sitzen konnten -aber sonst war es damals Brauch, wenn sie bei sich zu Haus waren, daß sie in der Wirtschaft arbeiteten, mochten sie auch aus vornehmer Familie sein.

Eines Sommers traf Gudmund auf dem Ding den Sörli, den Sohn des Brodd-Helgi, einen jungen Mann von vortrefflicher Erziehung. Den nahm er mit sich heim und ließ es ihm an nichts fehlen. Bei Gudmund lebte damals seine Tochter Thordis, die galt als die beste Heirat, und die Leute wollten bemerken, daß es zwischen ihr und Sörli recht oft zu einer Unterhaltung komme. Das kam vor Gudmund, und er sagte, er finde es nicht nötig, daß man das ins Gerede bringe. Aber als er bemerkte, daß man sich nicht davor in acht nahm, da ließ er bei Sörli kein Wort darüber verlauten, aber die Thordis schickte er mit Begleitung hinunter nach Zwerchach zu Einar.

Aber da machte sich's wieder so, daß den Sörli seine Gänge dahin führten.

Und eines Tages, als Thordis hinausgegangen war auf die Bleiche, da schien die Sonne und ging ein warmer Wind und war gutes Wetter: da wurde sie gewahr, wie ein Mann, ein stattlicher, auf den Hofplatz geritten kam. Sie sagte, als sie den Mann erkannte: »Jetzt freut einen der Sonnenschein und der warme Wind -Sörli reitet in den Hof.« Dies traf so gerade zusammen. Nun ging es so weiter bis zum Ding im Sommer, und Sörli dachte an die Rückkehr zu seiner Familie. Und auf dem Ding ging er eines Tages zu Einar aus Zwerchach und nahm ihn ins Gespräch und sagte: »Ich wünschte mir deine Unterstützung, um bei deinem Bruder Gudmund die Werbung um seine Tochter Thordis anzubringen.« »Ich will das tun«, sagte Einar, »aber -Gudmund gibt manchmal auf die Worte von andern ebensoviel wie auf meine.«

Darauf ging er nach Gudmunds Hütte, traf ihn an, und die Brüder setzten sich zum Gespräch.

Da sagte Einar: »Was hältst du von Sörli?«

Gudmund sagte: »Viel; er ist einer von den tüchtigen jungen Leuten auf alle Weise.«

Einar sagte: »Und wie ist's denn? Es fehlt ihm nicht an guter Herkunft und geachteter Stellung und an Reichtum.«

»Ganz richtig«, sagte Gudmund.

Einar sagte: »Ich will doch den Auftrag ausrichten, den Sörli mir mitgab, nämlich um deine Tochter Thordis anzuhalten.«



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Er erwiderte: »Ich fände es aus manchen Gründen recht wohl passend, aber aus dem Grunde, weil die Leute mit ihrem Gerede darüberhergekommen sind, kann nichts daraus werden.«

Nun suchte Einar den Sörli auf und sagte ihm, es sei da nichts zu machen, sagte auch, worin man den Haken gefunden habe.

Er erwiderte: »Das scheint mir eher eine bedenkliche Aussicht nunmehr.«

Da sagte Einar: »Jetzt will ich dir einen Rat geben. Es gibt einen guten Freund von Gudmund, der heißt Thorarin Toki, Sohn des Nefjolf, ein gescheiter Mann. Such den auf und sag ihm, er möge sich deiner Sache annehmen.«

So tat Sörli; er traf bei Thorarin ein, nahm ihn ins Gespräch und sagte: »Ich habe da eine Sache unter den Händen, wo mir sehr viel dran liegt, daß du dich drauf einlassen möchtest: in meinem Auftrag zu Gudmund Eyjolfsson zu gehn und um seine Tochter Thordis für mich anzuhalten.« Er antwortete: »Warum kommst du dafür zu mir?«

Sörli erzählte ihm da den Hergang: die Leute hätten angefangen, darüber zu reden, und das Jawort sei nicht zu haben gewesen. Thorarin sagte: »Da rate ich dir, reise jetzt heim, und ich werde mich umsehen und dir Nachricht geben, wenn etwas dabei herauskommt. Denn ich sehe, die Sache liegt dir am Herzen.«

Sörli ging gern darauf ein und nahm Abschied von ihm.

Thorarin machte sich auf zu Gudmund und wurde dort freundlich bewillkommt. Dann fingen sie ihr Gespräch an.

Thorarin sagte: »Ist es wahr, wie mir zu Ohren gekommen ist, daß Sörli, der Sohn des Brodd-Helgi, um deine Tochter Thordis angehalten hat?«

»Ja, das ist wahr«, sagte Gudmund.

Thorarin sagte: »Was hast du für eine Antwort gegeben?«

»Es leuchtet mir nicht ein«, sagte er.

»Ist er dir nicht vornehm genug, oder hast du an ihm persönlich etwas auszusetzen?«

Gudmund sagte: »Nach der Seite fehlt es bei ihm nicht. Der Grund, daß ich ihm die Thordis nicht geben will, ist mehr dies, daß sie schon vorher ins Geschwätz gekommen sind.«

Thorarin sagte: »Warum nicht gar! Es ist ein anderer Grund, daß du ihm die Heirat nicht gönnst; ich weiß es wohl -das da ist nur ein Vorwand!«



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Gudmund sagte: »Das ist nicht richtig.«

Thorarin sagte: »Du kannst dich nicht vor mir verstecken! Ich weiß wohl, was du im Kopfe hast.«

Gudmund sagte: »Da kann ich nichts weiter machen, wenn du es besser weißt als ich!«

Thorarin sagte: »Laß es nur dabei bewenden!«

Da sagte Gudmund: »Neugierig bin ich doch, was du glaubst, daß ich im Kopfe habe.«

Thorarin sagte: »Du wirst es mir doch wohl schenken, das auszusprechen, was du denkst!«

Gudmund sagte: »Da wir einmal so weit sind, möchte ich, daß du's tätest.«

Thorarin sagte: »Nun gut denn! Deshalb willst du nicht, weil du dich um unser Landvolk sorgst und nicht möchtest, daß einer zur Welt komme, der ein Enkel ist von dir, dem mächtigsten Manne: da denkst du, unser Landvolk könne es nicht aushalten, das Regiment eines Mannes von so hoher Abkunft!«

Gudmund lächelte und sagte: »Nun, warum sollten wir die Sache nicht noch weiter in Erwägung ziehn?«

Darauf schickte man zu Sörli, und er kam zur Verhandlung und erhielt die Thordis zur Frau. Sie bekamen zwei Söhne, Einar und Broddi, das waren beides ausgezeichnete Männer.

Diese Geschichte zeigt, daß sich Gudmund gern loben hörte. Der andere aber ging weislich vor und traf den rechten Fleck bei Gudmund.


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