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Isländische Märchen


Illustrationen von Angelika Winkler

Märchen europäischer Völker


Die kleine Geschichte von Gudmund und den Rauchtälern

Es war ein Mann namens Gudmund, Sohn des Eyjolf; er hieß Gudmund der Mächtige. Er wohnte in Mödruvellir im Inselfjordlande, und in der Nähe, in Zwerchach, wohnte sein Bruder Einar. Gudmund war ein großer Herr und hatte immer viele Leute um sich. Es war seine Gewohnheit, im Frühling die Landschaften dort im Norden zu bereisen



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und seine Dingleute im Rauchtal aufzusuchen, über die Verwaltung des Kreises zu reden und Streitsachen zwischen den Leuten in Ordnung zu bringen. Und davon gerieten sie in schweren Nahrungsmangel, denn ihre Vorräte waren nicht danach; er kam nämlich oft mit dreißig Mann geritten - und saß an vielen Orten sieben Tage hintereinander — und mit ebenso vielen Rossen.

Damals wohnte Ofeig, der Sohn der Jangerd, auf dem Hofe Skörd. Er hatte am meisten zu sagen unter den Bauern dort im Rauchtal. Er war ein Freund der beiden Brüder Gudmund und Einar.

In einem Herbst war eine zahlreich besuchte Zusammenkunft in Skörd, um über Gemeindesachen und Armenversorgung zu reden, und dies wurde nach Vorschrift erledigt. Aber es war damals großer Nahrungsmangel dort im Norden. Da stand ein Mann auf namens Thorbjörn - er war ein reicher Bauer und bei den Leuten beliebt - und sagte: »Dies habe ich dir noch zu sagen, Ofeig, und ich spreche im Namen von vielen. Die Leute hier stehn nämlich unter einer großen Teuerung; aber du kennst die Gewohnheit Gudmunds des Mächtigen, unsres Häuptlings, daß er jedes Frühjahr hier in die Gegend zieht und an manchen Orten lange sitzt. Nun hätten wir nichts dagegen, wenn er selbzehnt reiste; aber so geht es über unsre Kräfte.«

Ofeig antwortete: »Da weiß ich guten Rat. Gudmund der Mächtige soll bei mir einen halben Monat sitzen mit seinem ganzen Gefolge, und ihr bringt ihm dann die Geschenke her, die ihr ihm zu geben habt, und nehmt hier euern Abschied von ihm.«

Thorbjörn antwortete: »Du hast dich oft als großartig und großgesinnt bewährt. Aber das wollen wir nicht, was du da vorschlägst.«

Ofeig antwortete: »Dann wird sich's nicht so einfach machen, und es wird nicht allen Beteiligten zu Gefallen ablaufen. Es sollen jetzt neunundzwanzig von euch jeder ein Pferd bei sich an die Krippe stellen, und lauter fette Tiere; es sollen alles Hengste sein. Das Heu holt bei mir, wenn ihr's braucht.«

Sie sagten, das sei ihnen recht, und damit gingen sie auseinander. Die Zeit verstrich nun bis zur letzten Woche vor Ostern. Da schickte Ofeig nach denen mit den Pferden, und sie kamen nach Skörd mit ihren Pferden, und Ofeig nahm sie gut auf. Am Freitag sagte Ofeig, sie sollten ihre Pferde satteln; und so taten sie. Wie sie aber ganz bereit waren, da wurde Ofeigs Pferd aus dem Stalle geführt und gesattelt: es war groß und feist und war ein Hengst. Ofeig saß auf und nahm sich überaus



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stattlich aus. Nun ritten sie vor die Hofmauer hinaus. Da sagte Ofeig: »Ihr werdet finden, daß ihr recht aufs Ungewisse hinauszieht. Aber ich werde schon sorgen, was wir zu tun haben.« Sie waren's alle zufrieden.

Sie ritten hinauf durch die bewohnte Gegend nach Reykjadal, und dann nach Ljosavatn, und dann nach Fnjoskdal und dann zur Wödlaheide und kamen am Abend nach Zwerchach zu Einar.

Einar nahm sie gut auf und lud sie ein, über Ostern dazubleiben. Ofeig dankte ihm für die Einladung, sagte aber, er wollte am Samstag nach Mödruvellir hinaufreiten.

»Da möchte ich«, sagte Einar, »daß du auf dem Rückweg hier vorüberkämst und mir berichtetest von deinen Gesprächen mit meinem Bruder Gudmund «

Ofeig sagte, das werde er tun.

Sie ritten nun am Samstag nach Mödruvellir hinauf. Und wie sie in die Nähe des Hofes kamen, da ging ein Knecht hinaus und wieder ins Haus zurück und sagte dem Gudmund, es kämen Leute zum Hof geritten, gar nicht wenige.

Gudmund meinte, das sei nichts Neues da im Inselfjördland, wenn Leute durch die Gegend geritten kämen. »Daran wird man das jetzt erkennen, ob das Leute hier aus der Gegend sind, wenn sie gleich durch den nächsten Eingang hereinreiten. Aber wenn sie von weiter her gekommen sind, da werden sie durch den Haupteingang reiten, wenn Leute von Stellung unter ihnen sind.«

Der Knecht kam zum zweitenmal herein und sagte: »Es ist kein Zweifel, die Leute reiten aufs Gattertor zu. Und vorn reitet ein Mann in dunkelblauem Mantel.«

Und wie sie vors Haus traten, sagte Gudmund: »Kann sein, daß sie hier etwas zu besorgen haben, die Rauchtäler, und es Neues bei ihnen drüben gegeben hat, da ihr Oberster hergekommen ist, der Ofeig.«

Gudmund hieß den Ofeig und seine Genossen freundlich willkommen und lud sie ein, dazubleiben, so lange sie wollten. Ofeig erklärte, sie wollten das schon annehmen: »Nur wird es für dich bedenklich sein, unsre Pferde bei dir einzustellen. Denn es sind lauter Hengste, und keiner verträgt sich mit dem andern, aber wir nehmen's sehr genau mit ihnen, denn es sind unsre mit Dungfutter aufgezogenen Gestütpferde.« Gudmund sagte, er sollte denken, seinen Knechten würde es nicht gut bekommen, wenn sie die Pferde nicht aufs allerbeste einstellten, und



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meinte, die Räume würden wohl reichen in Mödruvellir; »denn noch eher soll man das Vieh aus dem Kuhstall hinaustun und es dort für die Pferde einrichten«.

Ofeig und die Seinen saßen nun da bis über Ostern.

Am vierten Ostertage, als Ofeig aufgestanden war, kam einer seiner Begleiter zu ihm und fragte: »Wie lange meinst du, werden wir noch hierbleiben?«

Ofeig antwortete: »Die Osterwoche durch.«

Der andere antwortete: »Das kommt nicht recht gelegen - denn eben wurde geschickt, um Heu und Essen einzukaufen!«

Ofeig sagte: »Jetzt bleiben wir erst recht sitzen, und ich möchte, es wäre so, wie du sagst!«

Am Montag nach der Osterwoche machten sie sich zum Aufbruch fertig. Aber Gudmund sagte, sie möchten doch noch bleiben und ihre Kurzweil haben; »auch bleibt noch manches zu erzählen.«Ofeig sagte, er wolle jetzt doch abreiten.

Gudmund ließ sein Pferd herfuhren und ritt mit ihnen hinaus. Sie kamen zu einem Heustadel. Da sagte Gudmund: »Hier wollen wir absitzen und Futter geben; ich will nicht, daß mein Bruder Einar heut abend darüber zu lachen habe, daß eure Pferde dünn geworden seien.«

So taten sie. Gudmund sagte: »Du bist da eine Zeitlang bei uns gewesen, Ofeig, und wir haben nicht erfahren, was dich hergeführt hat. Nun möchte ich gern hören, was es war.«

Ofeig antwortete: »Das ist recht, daß du danach fragst, Gudmund, ich habe darauf gewartet. Nämlich das hat mich hergeführt, daß ich dir eine Lehre überbringen wollte; denn denen dort im Norden will es scheinen, sie sei dir nicht überflüssig. Du weißt, es ist deine Gewohnheit, jedes Frühjahr deine Dingleute aufzusuchen in Begleitung von dreißig Mann und bei dem einzelnen Bauer sieben Tage einzusitzen. Nun ist das wenig schonend gegen die, die ein geringes Vermögen besitzen und sich im Herbst gerade nur für die eigenen Hausgenossen eingerichtet haben, und es wird ihnen das zu einer großen Last. Nun sind wir hier bei dir nicht so lange geblieben, und es kam mir vor, wie wenn du schon Heu und Essen kaufen mußtest, und besaßest doch von allem reichlich und bist ein Häuptling unter den Leuten. Ich glaube, du wärest kein kleinerer Häuptling, wenn du nur selbzehnt die Freunde aufsuchtest. Es würden's dir alle danken!«

Gudmund sagte: »Das war vortrefflich gesprochen, wie es von dir zu



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erwarten war. Und es ist richtig, ich habe es so gemacht. Aber das muß man sich merken, daß du es einmal gegen mich halten wirst, wo es mein Ansehen gilt - das ist kein Zweifel!«

Ofeig sagte: »Auf solche Worte hätte ich mich bei dir nicht gefaßt gemacht. Bisher ist mir so etwas nicht in den Sinn gekommen.«

Darauf wurde Ofeig einsilbig, und mit den Abschiedsworten zwischen den beiden wurde es nicht viel, als sie auseinandergingen. Dem Gudmund gefiel die Lehre ebensowenig wie dem Ofeig Gudmunds Argwohn.

So trennten sie sich, und Ofeig ritt den Abend noch nach Zwerchach. Einar nahm ihn aufs beste auf, und Ofeig erzählte ihm das ganze Gespräch mit Gudmund. Da sagte Einar: »Du hast da einen mannhaften Gang getan. Aber - ich weiß nicht, wie es euch Rauchtälern gehen wird: und hier im Inselfjord pflegt das in Erfüllung zu gehn, was mein Bruder Gudmund einem voraussagt.«

Am Morgen darauf ritt Ofeig nach seiner Heimat zurück.

Aber im Frühling zog Gudmund nach dem Norden selbzehnt und saß jetzt da zwei Tage, wo er früher sieben gesessen hatte. Er nahm Herberge bei Ofeig in Skörd und wurde dort aufs beste aufgenommen. Dort saß er eine Woche. Aber beim Abschied schenkte ihm Ofeig zwei rote Ochsen, siebenjährige; das waren auserlesene Wertstücke.

Gudmund sagte: »Du beschenkst mich da reich. Aber ich besitze zwei andere Ochsen, schwarz von Farbe, die um nichts schlechter sind; die will ich dir beide schenken, wenn du dich nicht gegen mich stellen willst da, wo es mein Ansehen gilt.«

Ofeig sagte: »Du kannst das Geschenk schon annehmen, denn es ist keine Heimtücke gegen dich dabei.«

Gudmund sagte, er wisse nicht, ob es nicht schließlich ebenso richtig sei, wenn er das Geschenk annehme. Dann zog er weg; und man fand, Ofeigs Stellung sei sehr gestiegen durch diesen Handel.


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