Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

Isländische Märchen


Illustrationen von Angelika Winkler

Märchen europäischer Völker


Der starke Grettir und der Wiedergänger Glam

Ein Mann hieß Thorhall, der wohnte auf Thorhalisstatt im Schattental; das liegt im obern Seetal. Thorhall hatte eine Frau, die Gudrun hieß; sein Sohn hieß Grim und seine Tochter Thurid. Sie waren beide schon aus den Kinderschuhen heraus. Thorhall war ein reicher Mann, besonders an Vieh, und es hatte dort kein anderer Mann soviel Vieh wie er.



Bd-06-211_Maerchen von Island Flip arpa

Häuptling war er nicht, aber ein rechtschaffener Bauer. Es spukte aber dort, und er bekam nur schwer einen Schafhirten, der ihm brauchbar erschien. Er fragte viele kluge Leute um Rat, was er machen solle, aber keiner wußte ein nützliches Mittel. Thorhall ritt jeden Sommer zum Thing. Er besaß gute Pferde. Nun geschah es einmal sommers auf dem Altthing, daß Thorhall nach der Hütte des Gesetzessprechers Skapti Thoroddsson ging. Skapti war der klügste der Männer und sehr ratskundig, wenn man ihn darum anging. Skapti empfing den Thorhall freundlich, denn er wußte, daß er ein reicher Mann war, und fragte ihn, was es sonst wohl gäbe. Thorhall sprach: »Um einen guten Rat möchte ich dich bitten.« —»Dabei komme ich wenig in Betracht«, sagte Skapti, »aber worum handelt es sich denn?« Thorhall sprach: »Die Sache ist die, daß es mir schwerfällt, einen Schafhirten zu bekommen. Sie erleiden sehr leicht Schaden, und einige verlassen vor Ablauf ihrer Zeit meinen Dienst. Es will keiner zugreifen, der da weiß, was los ist.«Skapti antwortete: »Da wird ein böser Geist im Spiele sein, wenn die Leute dein Vieh weniger gern hüten wollen als das anderer Männer. Weil du aber bei mir Rat gesucht hast, will ich dir einen Schafhirten verschaffen, der Glam heißt, stammt aus Sylgstal in Schweden und kam vorigen Sommer hierher, groß und stark, aber nicht sehr beliebt bei den Leuten.« Thorhall sagte, darauf gäbe er nichts, wenn er nur das Vieh gut hüte. Skapti sagte, er dürfe schwerlich einen anderen zu finden hoffen, wenn selbst diesem Kraft und Mut fehlen sollten, die Schafe zu hüten. Thorhall ging fort, und dies fand statt gegen Thingschluß.

Dem Thorhall waren zwei Falben weggekommen, und er machte sich selbst auf, sie zu suchen; daraus entnahmen die Leute, daß er kein großer Herr war. Er ging am Sledhügel hin, südlich des Bergzuges Armannsfell. Da sah er, wie ein Mann aus dem Godenwalde herkam und Reisig auf einem Pferde führte. Kurz darauf trafen sie zusammen. Thorhall fragte ihn nach dem Namen, und er nannte sich Glam. Er war groß an Wuchs und wunderlich von Aussehen, mit großen grauen Augen und wolfsgrau von Haar. Dem Thorhall wurde etwas seltsam zumute, wie er den Mann erblickte. Aber er merkte doch, daß es der war, an den man ihn gewiesen hatte.

»Welche Arbeit ist dir die liebste?«fragte Thorhall. Glam sagte, es sei sein Geschäft, im Winter Schafe zu hüten. »Willst du meine Schafe hüten?« fragte Thorhall; »Skapti hat dich mir übergeben.« — »Ich werde dir nur dann dienen, wenn ich mein eigener Herr sein kann, denn ich



Bd-06-212_Maerchen von Island Flip arpa

bin schwer umgänglich, wenn mir was nicht paßt«, sagte Glam. »Das macht mir nichts aus«, sagte Thorhall, »und ich will, daß du zu mir kommst.« —»Meinetwegen«, sagte Glam, »sind denn Schwierigkeiten dabei?« — »Es spukt wohl etwas«, sagte Thorhall. »Vor Gespenstern fürcht' ich mich nicht«, sagte Glam, »und dann wird's auch wenigstens nicht langweilig da.« —»Spaß beiseite«, sagte Thorhall; »aber es trifft sich gut, daß du kein zu kleiner Knirps bist.«

Dann schlossen sie den Handel ab, und Glam wollte zu Anfang des Winters kommen. Hierauf trennten sie sich, und Thorhall fand seine Pferde, die er soeben noch gesucht hatte. Thorhall ritt heim und dankte dem Skapti für seinen guten Dienst. Dann verging der Sommer, ohne daß Thorhall etwas von dem Schafhirten hörte oder irgendeiner was von ihm erfuhr. Aber zur ausgemachten Zeit kam er nach Thorhallstatt. Der Bauer nahm ihn gut auf, aber allen andern gefiel er nicht, am wenigsten der Hausfrau. Er besorgte die Schafhut und hatte wenig Arbeit damit. Seine Stimme war tief und laut, und alles Vieh lief zusammen, wenn er es rief. Es war eine Kirche in Thorhallstatt, aber Glam wollte nicht hineingehen. Er machte sich nichts aus dem Gottesdienst, war ungläubig, eigensinnig und unfreundlich, und niemand mochte ihn leiden.

Nun ging die Zeit hin bis zum Weihnachtsabend; da stand Glam früh auf und verlangte sein Essen. Die Hausfrau sagte: »Das ist nicht Sitte der Christenheit, an diesem Tage zu essen, denn morgen ist der erste Weihnachtsfeiertag, darum muß man heute fasten!« Er antwortete: »Ihr habt viel Aberglauben, der zu nichts taugt. Ich sehe nicht, daß es den Leuten jetzt viel besser geht als damals, wo sie sich nicht darum kümmerten. Mir schien's damals besser, als die Leute noch Heiden hießen; ich will mein Essen und keine ungerechte Behandlung!« Die Hausfrau sprach: »Ich weiß genau, daß es dir übel bekommen wird heute, wenn du so etwas Schlechtes tust.«Aber Glam bat sie, ihm sofort sein Essen zu geben, sonst solle es ihr noch schlechter ergehen. Da wagte sie nicht, ihm zu wider zu handeln, und als er gegessen hatte, ging er hinaus, und sein Atem roch unrein.

Das Wetter war ganz dunkel geworden, es schneite vom Himmel herab, Sturm toste, und es wurde immer noch schlechter bis zum Abend. Anfangs hörten die Leute den Schafhirten noch, aber später dann kaum mehr. Der Schnee fiel, und gegen Abend erhob sich ein Unwetter. Die Leute gingen zur Messe, der Tag ging zu Ende und



Bd-06-213_Maerchen von Island Flip arpa

Glam kam nicht heim. Man sprach nun darüber, ob man ihn nicht suchen solle, aber weil eine solche Finsternis herrschte, als ob es Neumond wär, so wurde nichts aus dem Suchen. Er kam die ganze Julnacht nicht heim, und die Leute warteten die Messe ab. Als es vollständig Tag geworden war, gingen sie auf die Suche und fanden das Vieh in den Vennen, vom Unwetter stark mitgenommen oder hinauf in die Berge gelaufen. Dann trafen sie auf eine Spur weiter oben im Tal. Es kam ihnen so vor, als habe da ein mächtiger Ringkampf stattgefunden, denn Steingeröll und Erde waren weithin aufgewühlt. Sie suchten genauer und sahen, wo Glam lag, ein wenig seitwärts von ihnen. Er war tot und schwarz wie Hel und dick wie ein Ochse. Es ergriff sie ein großer Ekel, und es grauste sie vor ihm sehr. Dennoch versuchten sie ihn in die Kirche zu tragen, aber sie kamen nicht weiter mit ihm als bis zum Rand einer Schlucht etwas weiter abwärts. Dann gingen sie heim und sagten dem Bauern die ganze Geschichte. Er fragte, was den Glam wohl umgebracht haben könnte. Sie sagten, sie hätten da eine Spur bemerkt so groß, als ob man den Boden eines Fasses dort niedergestoßen habe, von wo nur die Spur sichtbar war, bis hinauf zu den Bergen ganz oben im Tal, und große Blutflecken immer die Spur entlang. Daraus schlossen sie, daß das Gespenst, das schon früher dagewesen war, den Glam umgebracht haben müsse, daß es dabei selber auch einige Wunden erhalten habe, von denen es wohl genug gehabt hätte, denn seit jener Zeit wurde das Gespenst nie wieder gesehen.

Am zweiten Weihnachtstag versuchte man es von neuem, den Glam zur Kirche zu bringen.

Es wurden Pferde vorgespannt, die aber brachten ihn nicht von der Stelle, sobald das Gelände eben war und es nicht einen Abhang hinunter ging. So kehrten sie unverrichteter Dinge heim. Am dritten Tag ging ein Priester mit ihnen, sie suchten den ganzen Tag und fanden den Glam nicht. Da wollte der Priester nicht länger mitgehen, aber es fand sich der Schafhirt, sobald der Priester nicht mehr dabei war. Da gaben sie es auf, ihn nach der Kirche zu bringen, warfen Steine über ihn, wo er gerade lag. Nicht lange danach merkten die Leute, daß Glam anfing umzugehen. Das brachte ihnen großen Schaden, denn manche fielen in Ohnmacht, wenn sie ihn sahen, und andere verloren den Verstand. Kurz nach Weihnachten glaubten ihn die Leute daheim auf dem Hofe zu sehen. Da erschraken die Leute mächtig und viele machten sich davon. Dann begann Glam nachts auf den Häusern zu reiten, daß davon



Bd-06-214_Maerchen von Island Flip arpa

Dächer fast zerstört wurden. Nun spukte es bei Nacht und Tag. Die Leute wagten es kaum noch, ins Tal hinaufzukommen, auch wenn sie da ihre Geschäfte hatten. Das erschien allen Leuten im Bezirke ein sehr großes Übel.

Im Frühling nahm sich Thorhall ein neues Gesinde und stellte seinen Hof wieder her. Nun erschien der Wiedergänger weniger, solange die Sonne hoch stand. So ging es bis zum Mittsommer. Da fuhr ein Schiff in das Hunavatn, und darauf war ein Mann, der Thorgaut hieß. Er war im Ausland geboren, groß und stark; er hatte die Kraft zweier Männer, war ledig und allein für sich und wollte in Dienst gehen, denn er war mittellos. Thorhall ritt zu dem Schiff hin, traf Thorgaut und fragte ihn, ob er ihm dienen wolle. Thorgaut hatte nichts dawider und keine besondern Wünsche.

»Du mußt nämlich damit rechnen«, sagte Thorhall, »daß das kein Geschäft für Feiglinge ist wegen der Wiedergänger, die dort umgehen, und ich will dich nicht etwa betrügen.« Thorgaut antwortete: »Ich werde mich wohl nicht sogleich aufgeben, auch wenn ich da ein paar Gespensterchen sehe; das muß schon toll hergehen, ehe ich mich fürchte, und deswegen werde ich mir keine andere Dienststelle suchen.« Sie wurden handelseinig, und Thorgaut sollte im Winter die Schafe hüten.

Der Sommer verstrich, Thorgaut übernahm das Vieh zu Wintersanfang. Allen gefiel er gut. Regelmäßig kam der Glam und ritt auf dem Hause. Das schien dem Thorgaut absonderlich und er sagte: »Der Knecht müßte doch noch etwas näher kommen, ehe ich mich fürchte.« Thorhall bat ihn, kein Aufhebens davon zu machen: »Am besten ist es, daß ihr euch nicht aneinander versucht.«Thorgaut sagte: »Mit eurer Courage ist's nicht weit her; ich falle nicht so leicht um, wenn man in der Dämmerung davon schwätzt.« So verstrich der Winter bis zur Julzeit, und am Heiligen Abend machte sich der Schafhirt auf zu dem Vieh. Da sprach die Hausfrau: »Nun wär's gut, wenn's nicht so ging wie letztes Mal.« Er antwortete: »Hab' nur keine Angst, Hausfrau, es müßte schon was Nennenswertes geschehen, wenn ich nicht wiederkomme.« Dann eben ging er zu seinem Vieh. Das Wetter war kalt und es schneite tüchtig.

Thorgaut kam gewöhnlich heim, wenn es halbdunkel war. Heut aber blieb er aus. Die Kirchgänger kamen wie gewöhnlich. Den Leuten kam es so vor wie das letztemal. Der Bauer wollte nach dem Schafhirten suchen



Bd-06-215_Maerchen von Island Flip arpa

lassen, aber die Kirchgänger machten Ausflüchte und sagten, sie trauten sich nicht hinaus zu den Trollen in der Nacht, und der Bauer getraute sich selber nicht; so unterblieb die Suche. Am Weihnachtstag, als die Leute gegessen hatten, machten sie sich auf, nach dem Schafhirten zu suchen. Sie gingen zuerst zum Steinhaufen Glams, denn sie glaubten, daß er am Verschwinden des Schafhirten schuld habe. Als sie dem Steinhaufen näher kamen, erblickten sie in der Tat ein großes Ereignis. Sie fanden den Schafhirten, ihm war der Hals gebrochen und jeder Knochen im Leib entzwei. Sie brachten ihn zur Kirche, und es geschah keinem ein Leid durch Thorgaut. Glam aber spukte von neuem und noch mehr. Er trieb es so schlimm, daß die Leute sich alle davonmachten von Thorhallstatt, außer dem Bauern und seiner Hausfrau.

Sie hatten lange Zeit ein und denselben Rinderhirt gehabt, und Thorhall wollte ihn nicht gern loslassen, weil er so gut und tüchtig war. Er war schon recht alt, und es fiel ihm nicht leicht, wegzugehen; er sah auch, daß alles zugrunde ging, was der Bauer besaß, wenn niemand sich darum kümmerte. Und einmal nach Mittwinter geschah es eines Morgens, daß die Hausfrau nach dem Stall ging, um wie immer die Kühe zu melken. Es war schon ganz hell, denn keiner wagte sich früher hinaus außer dem Rinderhirt. Er ging schon hinaus, sobald es tagte. Sie hörte einen großen Lärm im Stall und ein fürchterliches Brüllen. Schreiend lief sie zurück und sagte, sie wisse nicht, was für ein schreckliches Ereignis im Stalle vor sich gehe. Der Bauer ging hinaus, kam zu den Kühen, und sie stießen einander. Das schien ihm nicht gut, und er ging in die Scheune. Da sah er den Rinderhirten liegen, den Kopf in dem einen Stand, die Füße in dem andern; er lag auf dem Rücken. Der Bauer ging zu ihm, fühlte ihn an und fand bald, daß er tot und sein Rückgrat entzwei war. Es war ihm auf dem Stein zwischen den Ständen zerbrochen worden. Nun wurde es auch für den Bauern unerträglich, dortzubleiben, und er verließ das Gehöft mit allem, was er fortschaffen konnte. Aber alles Vieh, was zurückblieb, brachte Glam um. Danach fuhr er das ganze Tal entlang und verödete alle Gehöfte oberhalb Tunga. Thorhall war bei seinen Freunden den Rest des Winters. Keiner konnte mehr mit Pferd oder Rind das Tal hinaufziehen, denn sie wurden sofort umgebracht. Aber als es Frühling wurde und die Sonne sehr hoch stand, ließ es etwas nach mit der Wiedergängerei. Da wollte Thorhall wieder zu seinem Grund und Boden zurück. Er konnte nur schwer Gesinde bekommen, und doch wollte er wieder in Thorhallstatt wohnen.



Bd-06-216_Maerchen von Island Flip arpa

Es ging alles wie zuvor, sobald es Herbst wurde, nahm der Spuk wieder zu. Am meisten wurde die Tochter des Bauern heimgesucht, und es kam dahin, daß sie davon starb. Viele Ratschläge wurden gesucht, aber alles umsonst. Die Leute glaubten schon, daß das ganze Seetal veröden würde, falls man kein wirksames Mittel finden könne.

Nun wird erzählt, daß zu jener Zeit, als die Leute von nichts so viel redeten wie von den Wiedergängereien Glams, der starke Grettir nach dem Seetal kam zum Besuche seines Oheims Jökul. Grettir fragte genau nach allem, was sich ereignet hatte. Jökul sagte, es wäre nichts an dem Gerede übertrieben worden: »Aber lockt es dich denn, lieber Neffe, dahin zu gehen?« —»Allerdings«, sagte Grettir. Jökul bat ihn, es nicht zu tun: »Denn es ist ein großes Wagestück, und deine Verwandten setzen viel dabei aufs Spiel mit einem Manne wie du als Einsatz«, sagte er. »Es scheint uns keiner von den jungen Leuten dir gleich zu sein. Böses holt man sich bei Bösen, wie Glam einer ist. Viel besser ist's, mit Menschen anzubinden als mit solchen Unholden.«

Grettir sagte, es locke ihn dennoch nach Thorhallstatt zu gehen und zu sehen, wie es dort aussähe. Jökul sprach: »Ich sehe wohl, daß es nichts nützt, dich zurückzuhalten; aber wahr ist, was gesagt wird: daß Glück und Tüchtigkeit nicht dasselbe sind.« — »Bei dem einen steht das Unglück vor der Tür, bei dem andern ist es schon drinnen, und denk du lieber an dich, wie's dir selber zuletzt noch gehen wird«, sagte Grettir. Jökul antwortete: »Vielleicht schauen wir beide ein wenig in die Zukunft; aber ändern können wir nichts.« Dann trennten sie sich, und keinem von beiden gefiel die Prophezeiung des andern.

Grettir ritt nach Thorhallstatt, und der Bauer nahm ihn wohl auf. Er fragte, wohin Grettir wolle; der aber sagte, er wolle die Nacht dableiben, wenn es dem Bauern recht wäre. Thorhall sagte, daß er ihm dafür Dank wissen müsse, »aber wenigen erscheint damit ein Vorteil verbunden, hier zur Zeit zu Gast zu sein. Du wirst wohl schon davon gehört haben, was hier vor sich geht. Ich möchte nicht gern, daß dir Unheil bei mir erwächst. Aber auch wenn du selbst mit heuer Haut davonkommst, das weiß ich genau, daß du dein Pferd einbüßen wirst; denn keiner behält sein Tragtier unversehrt, der hierher kommt.«

Grettir sagte, um Pferde stünde es im allgemeinen nicht schlecht, was immer auch mit diesem hier geschehe. Thorhall war froh darüber, daß Grettir dableiben wollte, und nahm ihn mit beiden Händen auf. Grettirs Pferd wurde fest im Hause eingeschlossen. Dann gingen sie schlafen,



Bd-06-217_Maerchen von Island Flip arpa

und die Nacht verging, ohne daß Glam ins Haus kam. Thorhall sprach: »Dein Kommen hat Glück gebracht; denn jede Nacht war Glam gewohnt, auf dem Hause zu reiten und die Türen zu zerbrechen, wie du wohl merken kannst.«Grettir sagte: »Nun wird eins von beiden der Fall sein, daß er sich nicht länger ruhig verhält oder daß er sich mehr als nur eine Nacht entwöhnt. Ich werde noch eine zweite Nacht hier bleiben und sehen, wie's geht.« Dann gingen sie zu Grettirs Pferd, und es war ihm nichts geschehen. Dem Bauern wuchs das Vertrauen, daß nun alles gut stehe. Grettir blieb noch die zweite Nacht, und der Knecht kam nicht in die Wohnung. Dem Bauern schien alles besser zu gehen. Er ging dann nach Grettirs Perde zu sehen. Da war der Stall aufgebrochen, als der Bauer herzukam, das Pferd war zur Tür herausgezogen und ihm jeder Knochen im Leibe entzwei.

Thorhall erzählte dem Grettir, was geschehen war, und bat ihn, sich in acht zu nehmen, »denn gewiß ist der Tod, wenn du Glam erwartest!« «

Grettir antwortete: »Weniger kann ich für mein Pferd nicht verlangen, als den Burschen wenigstens mal zu sehen.« Der Bauer sagte, das wäre kein Vergnügen, ihn zu sehen, »denn er ist keinem menschlichen Wesen ähnlich; aber ich bin über jede Stunde froh, die du hier bist.«

Nun verstrich der Tag, und als die Leute schlafen gehen wollten, wollte Grettir sich nicht ausziehen und legte sich auf dem Sitze gegenüber dem Bettverschlag des Bauern nieder. Er hatte einen zottigen Pelz über sich und klemmte den einen Zipfel unten mit den Füßen fest, den andern faltete er unter dem Kopf zusammen und guckte aus dem Schlitz am Kopf hervor. Ein sehr starker Pfosten war vor dem Sitz, und er stemmte die Füße dagegen. Der ganze Türrahmen war von der Außentüre abgebrochen, aber ein Türrest war davorgebunden und ohne Sorgfalt festgemacht. Die Wand, die einst zwischen Hausflur und Schlafkammer war, war ganz zerbrochen, sowohl oberhalb wie unterhalb des Dachquerbalkens. Von den Bettsäcken war keiner an seinem Platze.

Alles sah höchst unwirtlich aus. In der Schlafstube brannte Licht die Nacht hindurch. Und als die Nacht zu einem Drittel vorüber war, hörte Grettir draußen ein großes Dröhnen. Es war da etwas aufs Haus gestiegen, ritt auf der Schlafkammer und schlug mit den Füßen, daß es in allen Balken krachte. So ging es lange Zeit, dann kam es oben vom Hause herab und ging zur Tür. Und wie die Haustür aufging, sah Grettir, daß



Bd-06-218_Maerchen von Island Flip arpa



Bd-06-219_Maerchen von Island Flip arpa

der Knecht den Kopf hereinsteckte, und der schien ihm fürchterlich groß und ungeheuerlich dick zu sein. Glam ging langsam und reckte sich hoch auf, als er in die Tür kam. Er reichte bis an die Dachbalken hinauf, wandte sich der Schlafkammer zu, legte die Ellbogen auf den Querbalken und streckte den Oberkörper darüber hinein in die Schlafkammer. Von dem Bauern hörte man keinen Laut, denn dem erschien das schon schrecklich genug, was er draußen vor sich gehen hörte. Grettir lag still und rührte sich nicht. Glam sah, daß da ein Packen auf dem Sitz lag, ging hinein in den Schlafraum und griff fest nach dem Pelz. Grettir stemmte sich gegen den Pfosten, und so ging das nicht. Glam zerrte zum zweiten Mal und zwar noch fester, aber der Pelz bewegte sich nicht. Beim drittenmal griff er mit beiden Händen so fest zu, daß er den Grettir vom Platze emporzog, da rissen sie den Mantel zwischen sich mitten entzwei. Glam sah sich den Fetzen an, den er hielt, und wunderte sich baß, wer so fest ihm gegenüber zupacken könnte. Und in dem Augenblick lief Grettir ihm unter den Händen durch, faßte ihn in der Mitte und spannte seine Arme um Glams Rücken, so fest er konnte, und wollte den Glam nach rückwärts biegen. Aber der Knecht faßte Grettirs Ellbogen so fest, daß er taumelte unter dieser Gewalt. Grettir flog da nur so an den Sitzen herum. Die Pfosten gingen entzwei und alles zerbrach, was ihnen im Wege war. Glam wollte ihn hinauszerren, aber Grettir stemmte seine Füße gegen alles, was er erreichen konnte. Und doch zog ihn der Glam aus der Schlafkammer hinaus. Sie hatten da einen sehr harten Kampf, denn der Knecht wollte ihn auch aus dem Hause hinauszerren. Aber so übel auch der Kampf mit Glam drinnen war, das sah Grettir doch ein, daß es noch viel übler war, draußen mit ihm zu schaffen zu haben. Deshalb wehrte er sich mit aller Kraft dagegen, hinauszukommen.

Glam strengte sich außerordentlich an und preßte ihn an sich, als sie an die Flurtür kamen. Und als Grettir sah, daß er sich nicht mehr dagegen stemmen konnte, unternahm er gleich zwei Handlungen auf einmal: er sprang, so mächtig er konnte, dem Knecht gegen die Brust und stemmte sich mit beiden Füßen gegen einen in der Erde befestigten Stein, der bei der Türe stand. Darauf war der Knecht nicht vorbereitet, er hatte gerade sowieso schon den Grettir an sich gezogen. So schwankte er nach hinten hinüber und stürzte rückwärts aus der Tür, so daß seine Schultern oben den Querbalken der Türe mitnahmen und die Decke entzwei ging, sowohl die Sparren wie die gefrorene Rasenbedeckung.



Bd-06-220_Maerchen von Island Flip arpa

So fiel er rückwärts und rücklings aus dem Hause hinaus und Grettir über ihn. Heller Mondschein war draußen und kleine Wolkenstücke am Himmel, die den Mond bald bedeckten, bald freiließen. Und in dem Augenblick, wo Glam hinfiel, gab eine Wolke den Mond gerade frei, und Glam stierte mit den Augen dagegen. Da hat Grettir dann selbst gesagt, daß dies der einzige Anblick gewesen sei, der ihn jemals erschreckt habe.

Es wurde ihm so schwach von dem allen zusammen, aus Müdigkeit und weil er sah, wie Glam seine Augen schrecklich rollen ließ, daß er nicht vermochte, sein Schwert zu gebrauchen, sondern fast dalag zwischen Leben und Tod. Aber darin besaß Glam eine stärkere Zaubermacht als die meisten andern Wiedergänger, daß er noch sprechen konnte: »Du hast viel Wert darauf gelegt, Grettir, mit mir zusammenzutreffen. Aber es wird nicht wunderlich erscheinen, wenn dir kein großes Glück daraus erwächst. Und auch das muß ich dir sagen, daß du jetzt nur die Hälfte der Kraft und der Stärke besitzt, die dir bestimmt war, wenn du nicht mit mir zusammengetroffen wärst. Jetzt kann ich die Kraft nicht von dir nehmen, die du früher gehabt hast. Aber das kann ich doch bewirken, daß du niemals stärker wirst, als du jetzt bist, und du bist ja auch stark genug, daß es mancher zu seinem Schaden empfindet. Du bist berühmt geworden durch deine Taten, aber von nun an werden Achtung und Morde dein Los sein, und die meisten deiner Taten werden sich dir zu Unglück und Unheil verwandeln. Du wirst ein Achter werden und immer draußen liegen müssen einsam und allein. Und den Fluch erlege ich dir auf, daß diese meine Augen dir ständig vor den Blicken stehen, wie ich sie habe; und es wird dir schwerfallen, allein zu sein, und das wird dir wohl dein Ende bringen.«

Und wie der Knecht das gesprochen hatte, verließ die Ohnmacht den Grettir, die ihn befallen hatte. Da zog er sein Schwert, hieb dem Glam den Kopf ab und legte ihn unten ihm zu Füßen. Indem kam der Bauer heraus. Er hatte sich angezogen, während Glam seine Worte sprach, aber er hatte nicht gewagt, näher zu kommen, bevor Glam nicht getötet war. Thorhall lobte Gott und dankte Grettir sehr, daß er diesen unreinen Geist überwunden hatte. Dann machten sie sich daran und verbrannten den Glam zu kalten Kohlen, taten die Asche in einen Sack und gruben ihn ein, wo am wenigsten Schaftriften und Menschenwege waren. Dann gingen sie heim, und der Tag war heraufgekommen. Grettir legte sich nieder, denn er war ganz steif. Und so erzählt dann die



Bd-06-221_Maerchen von Island Flip arpa

Geschichte weiter, daß Grettir noch berühmter im ganzen Lande wurde und ihm Thorhall, als sie sich trennten, ein gutes Pferd und neue Kleider gab, denn die alten waren von dem Kampfe ganz zerrissen, daß Grettir dann davonritt, mit ihm aber eine große Veränderung vor sich ging im Laufe der Zeit, daß er immer schwermütiger wurde und die Finsternis nicht mehr ertragen konnte, weil er immer das Glamgesicht sah, und zuletzt alles so gekommen ist mit Ächtung und Tod, wie es der Wiedergänger Glam ihm geweissagt hatte.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt