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Isländische Märchen


Illustrationen von Angelika Winkler

Märchen europäischer Völker


Asmund und Signy

Es herrschte einmal ein König in seinem Reiche. Er hatte mit seiner Frau zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter. Der Sohn hieß Asmund und die Tochter Signy. Sie waren vielversprechend, da sie alle Fertigkeiten, die bei Hofe damals verlangt wurden, leicht beherrschten, und wuchsen daheim bei ihren Eltern auf, die ihnen all ihre Wünsche gern erfüllten.

So schenkte der König seinem Sohn zwei Eichen aus dem Walde. Asmund höhlte sie zum Zeitvertreib aus und richtete in ihren Stämmen verschiedene Zimmer ein. Signy ging oft mit ihm hinaus in den Wald und wollte sie gerne mit ihrem Bruder zusammen haben. Asmund kam gerne ihrem Wunsche nach, und sie trug ihre Edelsteine und Kostbarkeiten, die ihre Mutter ihr geschenkt hatte, dorthin und barg sie in den Eichbäumen.

Da mußte der Vater in den Krieg, und als er fort war, wurde die Königin krank und starb. Die Kinder gingen in den Wald hinaus und setzten sich in ihre Eichbäume, nachdem sie sich für ein ganzes Jahr Nahrungsmittel hinausgeschafft hatten.

In einem andern Lande herrschte ein König; dessen Sohn hieß Ring. Er hatte gehört, wie schön Signy sei, und wollte um sie freien. Er bekam von seinem Vater ein Schiff zur Fahrt dahin, und bei gutem Fahrwind kam er in das Land, wo Signy wohnte.

Auf dem Weg zur Königshalle traf er ein Weib, das war so schön, wie er nie vorher eines gesehen zu haben glaubte. Er fragte, wer sie sei. Und



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als sie sagte: »Signy, die Königstochter«, da fragte er sie, warum sie denn so allein hier wandere. Da sagte sie, sie tue es aus Kummer um den Tod ihrer Mutter und auch, weil ihr Vater nicht zu Hause sei. Der Königssohn erzählte ihr nun, daß er ihretwegen gekommen sei, er wolle um sie freien. Da nahm sie seine Werbung freundlich auf, bat ihn aber, zum Schiff zu gehen, da sie noch weit in den Wald hineingehen wollte.

Sie ging nun dahin, wo die beiden Eichen standen, riß sie mit den Wurzeln aus, nahm eine auf den Rücken, die andere über die Brust, trug sie so zur See und watete hinaus mit ihnen bis zum Schiffe. Dann nahm sie ihre schöne Gestalt wieder an, die sie vorher gehabt hatte, und erzählte dem Königssohn, ihr Gut sei nun an Bord gekommen, anderes habe sie nicht.

Daraufhin segelte der Königssohn wieder heimwärts, wo ihn seine Eltern und seine Schwester voll Freuden empfingen. Er gab Signy eine schöne Wohnung und ließ die beiden Eichbäume vor ihren Fenstern in die Erde graben.

Nach einem halben Monat kam der Königssohn zu Signy mit der Kunde, daß er in vierzehn Tagen mit ihr Hochzeit feiern wolle. Dann gab er ihr kostbare Stoffe, damit sie bis dahin für sich und für ihn die Brautkleider machen solle.

Kaum war der Königssohn fort, als sie voll Wut den Kleiderstoff auf den Boden schleuderte, zornig einherfuhr und eine andere Gestalt annahm und sich in das schlimmste Riesenweib verwandelte.

Sie sagte, sie wisse doch nicht, was sie mit solchem Putz da anfangen solle, sie habe sich doch nie auf etwas anderes verstanden als Menschenfleisch zu essen und Pferdeknochen zu zerbrechen. Sie stöhnte, schlug Lärm und schrie vor Hunger, weil ihr Bruder Eisenschädel nicht käme, wie er's doch versprochen habe.

Da öffneten sich drei Bretter im Fußboden ihres Zimmers, und ein Riese kam heraus mit einer riesengroßen Kiste im Arm. Sie erbrachen die Kiste, sie war voll von Menschenleibern. Sie fraßen beide mit großer Gefräßigkeit, und dann verschwand der Riese genauso wie er gekommen war, und man konnte keine Spur von ihm mehr entdecken. Als das Weib sich aber gesetzt hatte, zerrte sie an dem Stoffe und wollte ihn zerreißen.

Die Königskinder, die in den Eichen drin saßen, konnten von dort aus alles sehen, was da in der Wohnung der Königstochter vorging. Da bat



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Asmund seine Schwester Signy, sie möge herausgehen und den Kleiderstoff wegnehmen, damit sie nicht Tag und Nacht sich dies furchtbare Gebaren mit ansehen müßten.

Signy tat das; sie machte die Kleider in sechs Tagen, so gut sie eben konnte, ging dann wieder aus ihrem Eichbaum heraus und warf sie zur großen Freude des Riesenweibes auf den Tisch. Als dann der Königssohn kam und die Kleider holte, bewunderte er sie, wie geschickt sie sie gemacht habe, und sie freuten sich in großer Herzlichkeit.

Nun benahm sie sich wieder so wie vorher, bis Eisenschädel kam. Als Asmund wiederum dies wilde Gebaren bemerkte, ging er zum Königssohn und bat ihn, mitzukommen und sich etwas anzusehen, was sich in der Wohnung der Königstochter, die hergekommen sei, abspiele. Der Königssohn hörte voll Staunen die Erzählung über seine Braut. Er ging mit Asmund dahin und versteckte sich hinter dem Getäfel, denn von dort konnten sie durch eine kleine Öffnung ins Zimmer der Braut sehen. Sie raste genau wie vorher und sagte zu Eisenschädel:

»Wenn ich mit dem Königssohn verheiratet bin, dann wird es mir wohl besser gehen als jetzt, dann will ich die ganze Gesellschaft drinnen in der Halle erschlagen und mit meinesgleichen herkommen; dann werden sich wohl die Riesen freuen über mich und meinen Mann.«

Als der Königssohn das hörte, wurde er so zornig, daß er Feuer an die Wohnung legte und sie samt allem, was darinnen war, verbrannte. Asmund erzählte ihm nun von den Eichbäumen. Der Königssohn war erstaunt über die Schönheit der Signy wie über alles, was sich in den Bäumen befand. Er freite dann um die rechte Signy. Asmund aber freite um Rings Schwester, und bald wurde eine Doppelhochzeit gefeiert. Asmund zog dann heim zu seinem Vater. Später erbten Asmund und Ring die Reiche ihrer Väter und herrschten dort bis in ihr hohes Alter. Und damit ist das Märchen aus.


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