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Isländische Märchen


Illustrationen von Angelika Winkler

Märchen europäischer Völker


Johanna

Es lebte einmal ein König mit seiner Königin in seinem Reiche. Sie hatten nur eine einzige Tochter namens Johanna. Die war so schön und gut, daß nirgends ihresgleichen gefunden wurde. Nicht weit davon wohnte ein armer Häusler in seiner Hütte mit seiner Frau und seinen zwei Söhnen. Dieser Häusler hieß Hörd. Die Königstochter spielte, solange sie klein war oft mit den Knaben. Der ältere hieß Lettfeti und war genauso alt wie die Königstochter, der jüngere hieß Snarfari und war nur ein Jahr jünger. Der ältere der Brüder glich durchaus seinem Vater, war wie dieser groß und häßlich und von so böser Gemütsart, daß die meisten Leute nicht gern etwas mit ihm zu schaffen hatten. Aber der jüngere war schön und freundlich, gerade wie seine Mutter, die einst wegen ihrer Schönheit weit und breit berühmt gewesen war. Als Johanna zwölf Jahre alt und eine schöne blühende Jungfrau geworden war, wurde der König sehr schwer krank. Frau und Tochter



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saßen Tag und Nacht an seinem Bette, aber seine Krankheit wurde nur immer noch schlimmer. Da schickte die Königin ihre Tochter zu Hörd, ob er nicht noch eine Hilfe wisse. Als nun Johanna zu der Hütte kam, ward sie unfreundlich empfangen. Aber schließlich bestellte er sie auf den andern Morgen wieder und versprach, sich bis dahin nach einem Mittel umzutun.

Als das Mädchen nun am andern Tage wiederkam, schickte der Häusler es an den See, der an der einen Seite der Königshalle sich entlang zog. Hier sollte sie sich in ein Boot setzen, das am Ufer lag, und es loslösen. Es würde dann von selbst mit ihr zu einer Insel fahren, wo ein heilkundiger Zwerg wohne. Wenn dieser verspräche, ihren Vater zu retten, sei alles gewonnen.

Johanna machte nun alles, wie es ihr der Alte gewiesen hatte. Sie ging zu dem See, machte das Boot los, und sogleich fuhr es mit ihr bis zu der Insel. Wie sie nun zu dem Zwerge kam, ward sie auch von diesem sehr unfreundlich empfangen. Er sagte, ihr Vater hätte ihn dereinst aus seiner Wohnung unter den waldbewachsenen Felsen verjagt und seitdem müsse er auf dieser einsamen Insel wohnen. Jetzt habe er gewiß keine Lust, dem König auch noch das Leben zu retten. Damit ging er davon.

Da blieb denn Johanna ratlos und verlassen stehen, setzte sich schließlich an einen Bach und weinte bitterlich. Es dauerte nicht lange, so kam ein kleines Mädchen, um Wasser zu holen, und auch sie war in Tränen. Johanna fragte sie mitleidig, was ihr denn fehle. Da erzählte die Kleine, sie habe ein Messer und einen Gürtel verloren, die sie von ihrer Mutter geliehen bekommen hätte. Da schenkte ihr Johanna sogleich ihr eigenes Messer und ihren eigenen Gürtel, und das waren beide große Kostbarkeiten. Da war das Mädchen überaus erfreut und lief mit den Dingen davon.

Nach einer kleinen Weile kam eine Frau zu Johanna und dankte ihr für die Gaben, die sie ihrem Kinde geschenkt habe. Sie selbst könne ihr zwar nichts zum Entgelt dafür geben, aber wenn der Zwerg, ihr Mann, heimkäme, so sollte sie schon ihren Lohn empfangen. Johanna ging nun mit der Frau in ihr Haus. Die Frau gab ihr Speise, so gut sie nur konnte, und Johanna schlief in der Nacht mit der Tochter in der gleichen Stube. Aber sie konnte erst gegen Morgen in Schlaf kommen. Da war es ihr im Traum, als ob ein furchtbarer Unhold versuchte, sich neben sie zu legen. Sie wehrte sich mit allen Kräften gegen ihn, und wie



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er sie nicht besiegen konnte, ward er wütend und verfluchte sie. Am Tage sollte sie zum scheußlichsten Ungeheuer werden und in jeder Nacht solle ein riesiger zottiger Hund bei ihr schlafen und ihr keine Ruhe lassen.

Als Johanna endlich erwachte, war der Zwerg inzwischen heimgekommen und gab ihr ein Mittel, das ihren Vater vom Tode erretten konnte. Zugleich sagte er ihr aber auch, daß er den Fluch nicht aufzuheben vermöge, den im Traume der Unhold über sie ausgesprochen habe. Der einzige, der ihr vielleicht helfen könne, sei Hörd. Der Zwerg gab ihr Geld und sagte, dies solle sie dem Hörd von ihm bringen, dann würde er wohl williger werden, denn er sei ja sein Pflegesohn. Wenn sie aber einmal in großer Not sei, so solle sie seinen Namen rufen, dann würde er ihr zu Hilfe kommen.

Johanna dankte dem Zwerg für seine Wohltaten und eilte nach Hause. Sie gaben nun dem König das Heilmittel, und er wurde wieder frisch und gesund. Aber über den Fluch, der ihre Tochter betroffen hatte, waren der König und die Königin todunglücklich, und Johanna ging selbst zu Hörd, um ihn um Rettung zu bitten. Der Alte versprach auch zu tun, was er könne. Aber er sagte, daß er nur wenig Hoffnung habe, denn der Riese, der sie verzaubert habe, sei der schlimmste Unhold weit und breit.

Nun verging einige Zeit. Die Königstochter war verschwunden, und an ihrer Stelle lebte ein fürchterliches Ungeheuer im Schlosse. Da ließ der König im ganzen Lande bekanntmachen, daß derjenige, der seine Tochter vom Zauber erlösen könne, sie heiraten solle. Als Hörd das hörte, sagte er zu seinen Söhnen: »Nun ist es an der Zeit, seine Manneskraft zu zeigen!«

Da erklärte der jüngere Sohn Snarfari sogleich, daß er sich aufmachen wolle, um das Mädchen zu befreien. Der Alte wollte lieber den älteren Sohn hinziehen lassen, schließlich aber willigte er ein unter der Bedingung, daß er nach drei Tagen den Lettfeti senden würde, wenn Snarfari bis dahin nicht zurückgekehrt sei. Hörd schickte nun seinen Sohn zuerst zu seinem Bruder Halfdan, der draußen tief im Wald wohnte. Als Wahrzeichen gab er ihm einen Ring mit und ließ ihn bitten, dem Snarfan mit allen Kräften beizustehen. Halfdan nahm den Neffen freundlich auf, riet ihm aber auch dringend von dem Vorhaben ab. Aber der Jüngling ließ sich nicht zurückhalten, und so schickte ihn Halfdan zu dem dritten Bruder Ulf, der wieder um eine Tagereise weiter draußen



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im Walde wohnte. Dieser Oheim gab sich wiederum zuerst alle Mühe, den Neffen von dem Wagestück zurückzuhalten, aber als das vergebens war, entließ er ihn am andern Morgen mit genauen Anweisungen, wie er sich zu verhalten habe. Es seien im ganzen sieben Riesen, ein altes Weib mit vier Töchtern und zwei Söhnen, mit denen er zu kämpfen haben werde. Der älteste Sohn habe sich der Königstochter bemächtigen wollen, um sie zu heiraten. Aber er habe sich nicht ins Haus des Zwerges hineinwagen können und darum habe er aus Rache den schweren Fluch auf Johanna gelegt.

Snarfari machte sich nun auf den Weg nach den Weisungen Ulfs und kam zu der Höhle, als die Riesen gerade fort waren, um sich am Bache zu waschen. Er versteckte sich in ein Erdhaus, das sich unter dem Bette der Alten befand. Hier ward er auch nicht von ihr gefunden, obwohl sie bei der Rückkehr sogleich roch, daß ein Mensch da sein müsse. Endlich gegen Sonnenaufgang schliefen die Riesen ein, da zündete Snarfari vor der Höhle einen großen Scheiterhaufen an, um sie drinnen zu ersticken.

Aber durch Ungeschicklichkeit machte er Lärm, die Riesen erwachten alle, und die Alte stürzte sich sogleich auf ihn, während die übrigen das Feuer löschten. Snarfari ward in eine schwere Eisenkiste gesteckt und sollte beim nächsten Festmahl verspeist werden.

Als nach drei Tagen Snarfari nicht heimgekehrt war, sandte Hörd den Lettfeti aus. Auch dieser kam zu den Oheimen Halfdan und Ulf, ward von ihnen freundlich aufgenommen und erhielt die genauen Anweisungen nebst dem Versprechen, daß sie ihm zu Hilfe kommen würden, sowie er ihren Namen riefe. Als Lettfeti zur Höhle kam, waren die Riesen wieder am Bache, um sich zu waschen. Er befreite seinen Bruder und legte fünf Haarkämme, die Ulf ihm gegeben hatte, in die fünf äußersten Betten, in denen die vier Töchter und der jüngste Sohn zu schlafen pflegten. Dann versteckte er sich mit Snarfari im Erdhaus. Als die Riesen heimkamen, roch die Alte sogleich, daß ein Mensch da sein müsse. Sie eilte mit ihrem ältesten Sohne ins Erdhaus, und während die Brüder mit ihnen kämpften, riefen sie gegen die andern Unholde ihre Oheime zu Hilfe. Halfdan und Ulf kamen. Ulf hatte ein Zauberschwert, das noch von Hartschädel dem Feueralten herstammte. Mit diesem Schwerte konnte der älteste Sohn der Riesin getötet werden. An der Alten aber glitten alle Schwerter ab, so daß dem Lettfeti nichts anderes übrigblieb, als ihren Kopf an dem Felsen zu zerschmettern. Dann



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verbrannten sie die Leichen der erschlagenen Riesen und nahmen alle Schätze aus der Höhle mit sich.

Eine von den Töchtern aber war während des Kampfes entflohen und eilte zur Königshalle, um sich an Johanna zu rächen. Von Johanna aber war gerade mit dem Tode der Alten der schreckliche Fluch gewichen, und es herrschte große Freude in der Königshalle. Da kam die furchtbare Unholdin herein und ging schnurstracks auf Johanna los. Johanna rief in ihrer Angst den Zwerg, und sogleich stand er vor ihr. Er warf der Riesin ein Sandpulver in die Augen, so daß sie heulend aus der Halle entfloh und sich in den See stürzte. Nun kamen auch die Brüder herbei, es ward ein großes Freudenfest gefeiert, und Lettfeti erhielt zum Lohne die Königstochter.


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