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Isländische Märchen


Illustrationen von Angelika Winkler

Märchen europäischer Völker


Hwekk

Es lebte einmal ein Bauer mit seiner Frau in seiner Hütte und sie hatten drei Söhne. Die beiden älteren galten viel bei ihrem Vater, aber Thorstein, der jüngste, ward allgemein als ein Dümmling angesehen. Nun kam dem Bauern dreimal hintereinander jährlich im Herbste eine Menge Schafe abhanden. Im ersten Jahre hatte sich der älteste Sohn, im nächsten Jahre der zweite Sohn auf die Suche begeben. Aber weder die Schafe noch die Jünglinge waren jemals wiedergekommen.

Im dritten Jahre wollte nun Thorstein die vermißten Schafe suchen. Als er lange, lange gewandert war, kam er in einem tiefen Tale zu einer kleinen Bauernhütte. Er klopfte an die Türe, und ein alter Mann kam heraus, der sah sehr böse und häßlich aus. Thorstein fragte ihn nach seinem Namen, und da nannte sich jener Karlinn illi (der böse Alte) und Thorstein selber nannte sich Hwekk (Schalk).

Nun bat Hwekk den bösen Alten um ein Winterquartier, und der böse Alte wollte ihn auch nehmen, nur sollte er folgende drei Bedingungen erfüllen:

Erstens sollte er den Winter hindurch das Vieh hüten, und zwar sollte er dazu ebenso früh aufstehen wie der Hund und abends nicht eher heimkommen, als bis es dem Hunde gefiel.

Zweitens sollte er mit dem Hunde aus ein und demselben Topfe essen. Und drittens sollte er sich sofort auf die Suche machen, sobald er das Miauen der Katze höre. Derjenige, der eingesteht, daß er mit dem andern unzufrieden ist, darf von dem andern getötet werden.

Hwekk willigte in diese Bedingungen ein und ward nun in die Stube geführt; darinnen waren die Frau und die Tochter des Alten. Am Abend ward für Hwekk und den Hund ein Trog auf den Boden gesetzt. Aber eben wie er im besten Essen war, hörte er das Miauen der Katze, und nun mußte er gehen, um sie zu suchen. Er suchte wohl allenthalben, aber er fand sie nicht. Und als er wieder ins Zimmer zurückkam, hatte der Hund inzwischen den ganzen Trog leer gefressen.

In der Nacht, als die Alten schliefen, kam das junge Mädchen an sein Bett. Sie brachte ihm etwas zu essen und sprach ihm ihr Bedauern aus, daß er ihrem Vater in die Hände gefallen sei. Auch seine beiden Brüder seien hierher gekommen, und der Alte hätte sie zu Tode gehungert. Nun würde er es mit ihm wohl gleichfalls so weit bringen. Das Miauen, das ihn stets beim Essen stören würde, käme nicht von einer Katze,



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sondern von den alten Eltern des Bauern, die dieser absichtlich zu Tode hungere.

Da ließ sich Hwekk von dem Mädchen ein Licht geben und zum Zimmer der Alten führen. Er fand sie vor Alter und Hunger in einem so elenden und entkräfteten Zustand, daß er nicht viel Mühe hatte, um sie zu ersticken. Dann legte er sich ruhig schlafen. Am folgenden Morgen weckte ihn der Bauer schon sehr früh, denn der Hund sei schon aufgestanden. Nun wurde wieder für Hwekk und den Hund ein Trog auf den Boden gesetzt, und sie machten sich beide darüber her. Wie aber nun das Miauen der Katze nicht mehr ertönte, da zog der böse Alte ein seltsames Gesicht, sagte aber nichts.

Nun hütete Thorstein das Vieh und darunter befanden sich auch alle die Schafe, die seine Eltern vermißten. Als er am Abend heimkehrte, stand der böse Alte schon unter der Tür und fragte den Hwekk, ob er seine Eltern getötet habe. »Freilich«, sagte Hwekk, »oder hast du vielleicht etwas dagegen?«

Allmählich ward es dem Burschen langweilig, immer so spät mit dem Hunde abends heimkehren zu müssen. Er band dem Hunde einen Schuhsenkel um den Hals, zuerst fest und dann allmählich immer fester und fester. Dem Hund war das unbehaglich, und er kehrte zunächst abends früher heim als gewöhnlich, dann verlor er die Lust zum Fressen und schließlich starb er. Als am Abend der Knecht nach Hause kam, stand der Alte schon unter der Tür und fragte: »Hast du meinen Hund getötet, Hwekk?« —»Freilich«, sagte Hwekk, »oder hast du vielleicht etwas dagegen?«

Nun konnte Thorstein seine Mahlzeit immer allein verzehren und brauchte auch nicht länger, als es ihm gerade gefiel, mit dem Vieh täglich draußen zu bleiben. Als das Frühjahr kam, bemerkte der Bauer, daß seine Tochter augenscheinlich guter Hoffnung war. Und als Hwekk abends heimkam, stand der Alte schon unter der Tür und fragte, ob er daran schuld sei. »Freilich«, sagte Hwekk, »oder hast du vielleicht etwas dagegen?«

Der Alte sagte wohlweislich, er sei keineswegs unzufrieden mit ihm, nur müsse infolgedessen bald die Hochzeit gefeiert werden. Thorstein war einverstanden damit und baute auf Wunsch des Alten einen großen Festsaal, in dem die Hochzeitsgäste empfangen werden sollten. Als nun der Bauer fortgegangen war, um seine Freunde zur Hochzeit zu bitten, sammelte Thorstein eine Menge Brennholz und legte es sich zum



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Gebrauche zurecht. Nun kamen von allen Seiten die Gäste angeritten, und sie sahen alle ebenso ungeschlacht und scheußlich aus wie der Bauer selber. Der böse Alte forderte nun seinen Schwiegersohn auf, freundliche Augen auf die Gäste zuwerfen. Darauf ging Hwekk zu den Pferden der Fremden und stach diesen allen ein Auge aus. Er ging mit den Augen zum Hochzeitsmahle zurück und warf auf jeden der Gäste eins dieser Augen. Der böse Alte ward rot vor Zorn, sprang auf und fragte ihn, woher er diese Augen genommen habe. Da sagte Hwekk: »Ich stach sie natürlich aus den Augen der Pferde, die unsern Gästen gehören. Anderswoher konnte ich für sie nicht genügend Augen bekommen. Oder hast du vielleicht etwas dagegen?«

»Allerdings habe ich etwas dagegen«, schrie darauf der Alte, und seine Wut war über die Maßen groß. »Zuerst hast du meine Eltern getötet, dann meinen Hund, dann hast du meiner Tochter ein Kind gemacht, jetzt stichst du den Pferden meiner Gäste die Augen aus und zu guter Letzt wirst du mich selbst noch töten.« Da stürzte sich Thorstein auf den Alten und rang mit ihm, bis er ihm das Rückgrat gebrochen hatte. Dann eilte er aus dem Festsaal heraus, verschloß die Türe und verbrannte alle Hochzeitsgäste darinnen, ausgenommen die Frau und die Tochter des Bauern, die auf seinen Wink schon vorher den Saal verlassen hatten. Dann nahm er alle Schätze und alles Vieh und kehrte mit den beiden Frauen zu seinen Eltern zurück. Und hier feierte er seine Hochzeit mit der Tochter des bösen Alten.


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