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Isländische Märchen


Illustrationen von Angelika Winkler

Märchen europäischer Völker


Gilitrutt

Es wohnte einmal ein junger Bauer ostwärts unterhalb der Inselfelsen. Er war ein fleißiger Mann. Es waren auch gute Weideplätze dort, wo er war, und der Bauer hatte viele Schafe. Zu der Zeit, als diese Geschichte spielt, war er jung verheiratet; seine Frau war jung, aber faul und untüchtig. Um die Wirtschaft kümmerte sie sich nur wenig. Dem Manne gefiel das zwar nicht besonders, aber er konnte es auch nicht ändern.

Einmal übergab er ihr im Herbst ein großes Quantum Wolle; daraus sollte sie im Winter Stoff weben. Sie war nicht gerade besonders erbaut darüber und die Zeit verging, ohne daß die Frau die Wolle anrührte, obwohl ihr Mann sie gar oft daran erinnerte. Da kam eines Tages ein ziemlich ungeschlachtes altes Weib zu der Frau und bettelte um ein kleines Almosen. »Kannst du zum Entgelt etwas für mich arbeiten?« fragte die Frau. »Das schon«, sagte das Weib, »was soll es denn sein?« —»Wolle zu Stoff weben«, sagte die Frau. »Nun, so gib sie her«, sagte das alte Weib. Da holte die Frau einen ungeheuer großen Sack mit Wolle hervor und gab ihn ihr. Die Alte nahm den Sack, warf ihn sich über den Rücken und sagte: »Ich werde mit dem Stoff am ersten Sommertag wiederkommen.« — »Was für einen Arbeitslohn willst du denn haben?«fragte die Frau. »Ich will nicht viel«, sagte die Alte, »du sollst mir nur meinen Namen beim drittenmal Raten nennen, dann sind wir quitt.« Das versprach die Frau, und die Alte ging fort.

Nun verging der Winter und der Bauer fragte oft seine Frau, wo denn die Wolle sei. Sie sagte, das ginge ihn gar nichts an, er würde es schon am ersten Sommertage erfahren. Da sprach denn der Mann nicht weiter davon, und so kam der letzte Wintermonat heran. Da begann die Frau, über den Namen der Alten nachzudenken, aber sie fand keine Möglichkeit, wie sie ihn hätte erfahren können. Sie wurde darüber sehr betrübt und schwermütig. Der Bauer bemerkte, daß sie ganz verändert war, und bat sie, ihm zu sagen, was ihr fehle. Da erzählte sie ihm die ganze Geschichte. Der Bauer erschrak und sagte, sie habe übel gehandelt; denn das könne nur ein Trollweib gewesen sein, das sie holen wolle. Einmal war der Bauer hinauf in die Felsen gegangen und kam da zu einem großen Sandhügel. Er war ganz in Gedanken versunken über seine Sorgen, als er ein paar Schläge unten im Hügel hörte. Er ging dem Geräusch nach und kam an einen Spalt. Er blickte hinein und sah ein



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riesengroßes Weib am Webstuhl sitzen. Sie hatte das Gewebe zwischen den Beinen und schlug es eifrig. Dabei sagte sie vor sich hin: »Hä, hä und ho, ho! Die Hausfrau weiß nicht, wie ich heiße. Hä, hä und ho, ho! Gilitrutt heiß ich ho, ho. Gilitrutt heiß ich hä, hä und ho ho!« So sagte sie vor sich hin immerzu und schlug eifrig das Gewebe.

Der Bauer war darüber sehr froh, denn er sagte sich, daß dies das Weib sei, das seine Frau im Herbst besucht hatte. Er ging heim und schrieb sich den Namen Gilitrutt auf einen Zettel. Seiner Frau aber sagte er nichts davon, und so kam der letzte Wintertag heran. Da war die Hausfrau sehr betrübt und zog sich diesen Tag gar nicht an.

Der Bauer ging zu ihr und fragte sie, ob sie nun den Namen ihrer Arbeiterin wisse. Sie verneinte es und sagte, ihr würde nun ganz sterbensbange zumute. Aber der Bauer sagte, dazu läge kein Grund vor, gab ihr den Zettel mit dem Namen und erzählte ihr alles. Sie nahm den Zettel, aber sie zitterte dabei vor Furcht, denn sie hatte Angst, der Name könne vielleicht nicht richtig sein. Sie bat ihren Mann, doch bei ihr zu bleiben, wenn das Weib komme. Er aber sagte: »Nein! Du hast mich nicht dabei gehabt, wie du ihr die Wolle gegeben hast. Nun bin ich am besten auch nicht dabei, wenn du den Lohn gibst.«Und so ging er. Nun kam der erste Sommertag. Die Frau lag allein in ihrem Bett und sonst war kein Mensch auf dem Hofe. Auf einmal hörte sie ein starkes Getöse und dröhnende Schritte unter der Erde. Die Alte war da, aber freundlich sah sie nicht aus. Sie warf einen großen Ballen Stoff auf den Boden und sprach: »Wie heiß ich also? Wie heiß ich also?« Die Frau war vor Angst mehr tot als lebendig und sagte:

»Signy?«

»So heiß ich also? So heiß ich also? Nun rate noch einmal, Hausfrau!« sagte das Weib.

»Asa?« sagte die Frau.

»So heiß ich also?« sagte die Alte, »so heiß ich also? Nun rate noch einmal, Hausfrau!«

»Du heißest doch nicht etwa - Gilitrutt?«fragte die Frau.

Da erschrak die Alte so gewaltig, daß sie mit einem gewaltigen Gepolter stracks auf den Boden fiel. Dann stand sie wieder auf, ging fort und ward nie wiedergesehen. Die Frau war nun über die Maßen froh, daß sie von diesem Ungeheuer so leichten Kaufes losgekommen war und ward fortab ein ganz anderer Mensch. Sie wurde wirtschaftlich und fleißig und webte fortan ihre Wolle immer selbst.


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