Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

Isländische Märchen


Illustrationen von Angelika Winkler

Märchen europäischer Völker


Die Elbenkönigin Hild

Es war einmal ein Bauer auf seinem Hof. Eine Frau hatte er nicht, aber eine Haushälterin, namens Hild, die sehr tüchtig war, aber von deren Herkunft man nichts wußte. Da sie rührig und fleißig war, hatten sie alle gern, der Bauer und das Gesinde.

Es verlief alles gut in der Wirtschaft, aber es war für den Bauer eine große Sorge, einen Schafhirten zu bekommen, denn immer am Morgen nach der Weihnachtsnacht lag er tot im Bette, ohne daß man den Grund dazu kannte.

Zu jener Zeit pflegte man überall im Lande am Heiligen Abend Gottesdienst zu halten und man hielt es für ebenso festlich an diesem Abend dahinzufahren wie am ersten Feiertag selbst. Aber auf den Höfen, die im Gebirge drin lagen und von denen man weit zur Kirche zu gehen



Bd-06-187_Maerchen von Island Flip arpa

hatte, war es für die Leute, die nicht eher vom Hause fort konnten, als bis der Stern zwischen Morgen und Mittag stand, recht beschwerlich zum Gottesdienst zu kommen, und gewöhnlich kamen dort auch die Hirten nicht früher heim. Sie brauchten dort auf dem Hofe des Bauern freilich nicht den Hof zu hüten, wie es sonst Sitte war, daß einer oder der andere es in der Weihnachts- und Silvesternacht tun mußte, während das übrige Gesinde in der Kirche war; denn seit Hild beim Bauern war, hatte sie sich selbst dazu angeboten, während sie in der Zeit alles zum Fest in Ordnung brachte und fertigmachte: Essen kochen und anderes, was nötig war, und sie war bis spät in der Nacht noch wach, so daß die, die in der Kirche gewesen waren, oft schon lange schliefen, ehe sie selbst sich zu Bett legte. Als es eine Reihe von Jahren so gegangen war, daß die Hirten des Bauern alle plötzlich in der Weihnachtszeit starben, sprach man überall davon, und der Bauer fand nur schwer jemand, der Hirte sein wollte, und es fiel ihm auch selbst immer schwerer aufs Herz, je mehr starben. Eine Schuld konnte ihn nicht treffen und das Gesinde nicht, denn eine Wunde war an der Leiche niemals zu entdecken. Schließlich sagte der Bauer, nun könne er keinen Schafhirten mehr nehmen, da ihn der sichere Tod erwarte in seinem Dienst, und nun möge es mit seinem Vieh und seinem Hab und Gut so kommen, wie es das Schicksal wolle.

Als der Bauer diesen Entschluß gefaßt hatte und niemand mehr in Dienst nehmen wollte als Hirt, da kam einmal ein munterer und kräftiger Mann zu ihm und wollte gern in seinen Dienst treten. Der Bauer sagte: »So nötig brauche ich dich nicht, daß ich dich nehmen muß.« Aber der Fremde fragte ihn: »Hast du schon einen Hirten für diesen Winter?«Da sagte der Bauer: »Nein«, und sagte ihm, er wolle durchaus niemand mehr nehmen, »du hast wohl gehört, wie schlimm es all meinen Hirten ergangen ist.« — »Gehört hab' ich's«, sagte der Fremde, »aber das schreckt mich nicht ab.« Da hörte der Bauer auf ihn, weil er so sehr wollte, und nahm ihn in Dienst. So verging nun eine Zeit, und der Bauer und der Hirt waren einig miteinander, und den Hirten hatte jeder gern, denn er war ein freundlicher, munterer und tüchtiger Kerl. Bis zum Weihnachtsabend geschah nichts Besonderes. Am Heiligen Abend nun ging der Bauer mit seinem Gesinde zur Kirche, die Haushälterin blieb im Hause, und der Hirt blieb bei seinen Schafen. Es wurde Abend wie immer, ehe der Hirte heimkam, dann aß er seine Grütze und ging zu Bett. Da dachte er, es sei wohl besser zu wachen



Bd-06-188_Maerchen von Island Flip arpa

als zu schlafen, falls etwas geschehen sollte; Furcht hatte er keine, blieb aber zur Vorsicht wach liegen. Spät in der Nacht hörte er die Leute heimkommen, sie aßen einen Bissen und gingen schlafen. Noch merkte er nichts, als aber schon alle schliefen, da fühlte er, daß er müde wurde, was ihn weiter nicht wunderte nach des Tages Last und Mühen.

Weil er aber dachte, es ginge ihm schlecht, wenn er nun doch einschliefe, bot er all seine Kraft auf, um bloß nicht einzuschlafen. Es dauerte auch gar nicht lange, da hörte er jemand an sein Bett kommen und ihm war so, als sei es Hild, die da ihr Wesen trieb. Er stellte sich schlafend und merkte, daß sie ihm etwas in den Mund steckte. Er fühlte, daß es ein Zaum war für den Mahrtenritt und ließ sich ruhig aufzäumen. Sie legte ihm also das Zaumzeug an, befestigte die Zügel, wie es ihr bequem war, setzte sich rittlings auf ihn und ritt in fliegender Eile davon, bis sie, so schien es ihm, an einen Graben oder einen Erdspalt kam. Da sprang sie ab auf einen Stein, ließ die Zügel hängen und verschwand im Erdspalt.

Dem Hirten kam das schlimm und rätselhaft vor, daß Hild so verschwunden war, ohne daß er wußte, wohin sie sei; er merkte auch bald, daß er, solange er den Zaum angelegt hatte, nicht weit kam, weil er dadurch verzaubert war. Deshalb rieb er sich an jenen Stein, bis er das Zaumzeug abgescheuert hatte, ließ es liegen und warf sich danach in dieselbe Spalte, in der Hild verschwunden war.

Ihm schien, er sei noch nicht weit in die Spalte hinuntergekommen, da erblickte er auch schon Hild, wie sie über schöne Wiesen schritt und schon bald ihren Weg beendet hatte. Nach alledem dachte er sich wohl, daß es da nicht mit rechten Dingen zuginge und sie pfiffiger war, als man ahnen konnte, wenn man sie oben unter den Menschen weilen sah. Da er sich auch sagte, sie könne ihn erblicken, wenn er auf der Wiese hinter ihr hergehe, nahm er einen Stein aus seiner Tasche, der ihn unsichtbar machte, verbarg ihn in der linken Hand und lief, so schnell er nur konnte, hinter ihr her.

Als er weiter auf die Wiese hinausgekommen war, sah er eine schöne große Halle, und Hild ging auf sie zu. Aus der Halle kam ihr eine große Menschenmenge entgegen, vorweg, prächtig gekleidet, ein Mann, und es schien, als begrüße er Hild als seine Frau und heiße sie willkommen; die andern aber im Gefolge begrüßten sie freudig als ihre Königin. Mit dem Häuptling kamen Hild zwei halberwachsene Kinder entgegen und begrüßten ihre Mutter voll seliger Freude.



Bd-06-189_Maerchen von Island Flip arpa

Als sie alle der Königin ihre Huldigung dargebracht hatten, führten sie sie und den König in die Halle. Dort bereitete man ihr einen ehrenvollen Empfang, kleidete sie in königliche Gewänder und streifte auf ihre Arme schöne goldene Ringe.

Der Hirte folgte auch, blieb aber dort, wo am wenigsten Leute waren, doch so, daß er alles genau beobachten konnte. Tische wurden geholt und gedeckt, und er staunte über all die Herrlichkeit.

Kurz danach sah er Hild, prächtig gekleidet, in die Halle schreiten. Jedem ward sein Platz angewiesen, Hild nahm den Ehrensitz neben dem König ein, das ganze Gefolge nahm seine Plätze zu beiden Seiten und nun ward getafelt.

Dann räumten sie die Tische ab, und die Männer und Frauen tanzten oder gingen andern Belustigungen nach, das Königspaar aber saß Hand in Hand da und wechselte Worte, die sowohl freudig wie wehmutsvoll klangen.

Während sie so miteinander redeten, kamen noch drei jüngere Kinder zu ihnen und umarmten voll Freude und Glück ihre Mutter. Königin Hild küßte sie voll Liebe, nahm das Kleinste auf den Schoß und liebkoste es, aber da es unruhig wurde, gab die Mutter ihm einen goldenen Arm ring, den sie vom Arme abgestreift hatte. Das Kind war nun auch ganz ruhig und spielte eine Weile mit dem Ring. Schließlich fiel der Ring auf den Boden, und der Hirte griff ganz schnell danach und verbarg ihn gut; alle fanden es sehr merkwürdig, daß sie den Ring nirgends finden konnten, wo er doch nur auf den Boden gefallen war.

Als die Nacht fast verflossen war, machte sich Königin Hild zum Fortgehen fertig, so sehr man sie auch bat, länger zu bleiben und so traurig auch alle über ihren Abschied waren.

Der Hirte hatte auch gemerkt, daß in der Halle ein altes ganz häßliches Weib saß, und sie hatte sich gar nicht gefreut, als Königin Hild kam und war auch nicht traurig, als sie wieder gehen mußte. Als der König sah, wie es sein Weib trieb fortzugehen und sie durch keine Bitten sich zum Dableiben bestimmen ließ, ging er zu dem alten Weibe und sagte: »Bitte, nimm deinen Fluch weg von meinem lieben Weibe, Mutter, und laß uns nicht mehr auseinandergehen«, aber das alte Weib sagte voll Zorn: »Mein Fluch wird weiterbestehen, und ich will ihn nie zurücknehmen.« Da wurde der König ganz still, ging tieftraurig zu seiner Frau, legte seinen Arm um sie, küßte sie und bat sie noch einmal flehentlich dazubleiben. Aber die Königin sagte, der Fluch seiner Mutter



Bd-06-190_Maerchen von Island Flip arpa

triebe sie fort und es sei wohl wenig zu hoffen, daß sie sich öfters sehen könnten, denn die Todesfälle, die ihretwegen stattfänden und die nun schon so zahlreich seien, könnten nicht länger ein Geheimnis bleiben und sie werde wohl dafür gestraft werden, obwohl es ihre Schuld gewiß nicht sei.

Als sie so jämmerlich klagte, ging der Hirte schnell fort aus der Halle, über die Wiese nach dem Spalt und wieder hinauf. Er versteckte den Zauberstein, zäumte sich wieder auf und wartete auf Hild. Sie kam auch bald tieftraurig, setzte sich auf seinen Rücken und ritt zum Gehöft. Dort legte sie ihn wieder in sein Bett, zäumte ihn ab, ging selbst zu Bett und schlief. Obwohl der Hirte ganz wach war, stellte er sich schlafend, damit Hild nichts merken sollte. Als sie aber schlafengegangen war, da gab er seine Vorsicht auf und schlief fest und tief bis zum selben Morgen.

Der Bauer war schon früh aufgestanden, denn es ließ ihm keine Ruhe zu erfahren, ob denn der Schafhirte noch am Leben sei. Als der Bauer sich anzog, wachten auch die andern auf und zogen sich an. Der Bauer ging also zum Schafhirten ans Bett und rührte ihn an. Da sah er, daß erlebte und dankte Gott für diese Gnade. Da erwachte auch der Schafhirte frisch und fröhlich und stand auf. Der Bauer fragte ihn, ob denn in der Nacht etwas losgewesen sei. Der Schafhirte sagte: »Nein, aber ich habe merkwürdig geträumt.« — »Was hast du denn da geträumt?« fragte der Bauer. Und da fing nun der Hirte an zu erzählen, daß Hild ihn aufgezäumt habe in seinem Bett, und berichtete alles so genau, wie er nur konnte.

Als er fertig erzählt hatte, saßen alle stumm da, nur Hild sagte zu ihm: »Es ist eine Lüge, was du da sagst, wenn du nicht durch ein deutliches Zeichen beweisen kannst, daß es so war, wie du erzählt hast.«Der Hirt ließ sich dadurch nicht einschüchtern, sondern holte den Ring, den er in der Nacht vom Boden aufgehoben hatte, und sagte: »Wenn ich auch nicht gezwungen werden kann, einen Traum durch deutliche Zeichen zu beweisen, so ist es doch gut, daß ich's beweisen kann, daß ich diese Nacht bei den Huldren war. Ist dies dein Armring, Königin Hild, oder ist er es nicht?«

Da sagte die Königin: »Er ist's, und Gottes Segen über dich, daß du mich vom Fluche meiner Schwiegermutter befreit hast, nur widerwillig beging ich all die Fluchwürdigkeiten, die sie mir auferlegt hatte.« Und dann fing Königin Hild an zu erzählen:



Bd-06-191_Maerchen von Island Flip arpa

»Ich war ein Elbenmädchen von geringer Herkunft, aber der König von Elbenheim liebte mich und nahm mich wider den Willen seiner Mutter zur Frau. Da wurde die Mutter so böse, daß sie ihrem Sohn nur kurze Freude an mir versprach und wir uns nur ganz selten sehen sollten. Ich sollte Dienstmagd unter den Menschen werden und jedesmal zur Weihnachtszeit den Tod eines Menschen verursachen, dadurch daß ich ihn aufzäumen mußte, während er schlief, und auf ihm den Weg reiten mußte, den ich auch diese Nacht auf dem Hirten geritten bin, um meinen Gatten zu besuchen; und dies sollte so lange dauern, bis meine Bosheit ans Licht käme und ich dafür getötet würde, es müßte denn sein, ich fände einen solch mutigen Mann, der es wagte, mit nach dem Elbenheim zu kommen und der dann den Beweis erbringen könnte, daß er dorthin gekommen wäre und gesehen hätte, wie es dort zuging. Ihr seht also alle, daß sämtliche Hirten um meinetwillen getötet wurden, seitdem ich hier war, aber ich hoffe, man wird mir nicht als Schuld anrechnen, was widerwillig zu tun mir aufgezwungen war; denn niemand hat den unterirdischen Weg gefunden und ist aus Neugierde mit in die Behausung der Huldren hineingekommen. Nur dieser mutige Mann war es gewesen, der mich aus meinem Magddienst und von dem schlimmen Fluch erlöst hat, und ich will ihn auch später dafür belohnen. Ich darf nun nicht länger bleiben, habt Dank für all eure Güte, die Sehnsucht treibt mich heimwärts.«

So sprach sie und verschwand, und man hat sie nie wieder gesehen unter Menschen.

Der Schafhirt aber heiratete im Frühjahr und gründete einen Hausstand, und das konnte er auch; denn der Bauer zeigte sich ihm gegenüber, als er seinen Dienst aufgab, sehr freigebig, und dann war er auch selbst nicht ohne Mittel. Alle Leute in seinem Bezirk fragten ihn um Rat und baten ihn um Beistand. Er war so sehr beliebt trotz seines Glückes, daß die Leute selbst nicht recht begreifen konnten, wie das zuging. Sie glaubten, bei ihm habe jedes Tier zwei Köpfe.

Er aber wußte sehr wohl, daß er der Königin Hild dafür zu danken hatte.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt