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Isländische Märchen


Illustrationen von Angelika Winkler

Märchen europäischer Völker


Sigurd und das Gespenst

Einst lebte ein Bauer auf einem Hofe; er hatte einen Sohn, welcher Sigurd hieß. Die Leute hielten ihn alle für einen wunderlichen Gesellen, und er war wenig beliebt. Es war auch wirklich nicht gut mit ihm auszukommen.

Nun kam einmal ein Mann zu diesem Gehöft, der auch Sigurd hieß. Er bat den Bauern um Winterquartier, und dies wurde ihm auch bewilligt. Er verstand weiter nichts als die Harfe zu spielen. Aber zwischen den beiden Namensvettern entstand eine so innige Freundschaft, daß es dem Bauernsohn bald nirgend mehr gefiel außer bei dem Fremden.

Der Winter verging, und zum Frühjahr zog der Wintergast wieder von dannen. Als er fort war, grämte sich der Bauernsohn so, daß es ihn nirgends mehr litt, und im Herbst zog er fort, um den Wintergast Sigurd zu suchen. Er zog von Hof zu Hof, von Kirchspiel zu Kirchspiel und von Bezirk zu Bezirk und erkundigte sich überall nach seinem Namensvetter Sigurd. Schließlich kam er zu einem Pfarrhof und fragte dort gleichfalls nach ihm. Es wußte niemand etwas von ihm, aber das erfuhr er doch, daß neulich ein Mann mit Namen Sigurd dagewesen sei. Der sei aber vor kurzem gestorben. Sigurd fragte, wo er liege. Da sagten sie, er liege draußen in der Kirche und sei soeben erst in den Sarg gelegt. Er bat, daß man ihn dorthin lassen möge, und nachdem ihm das auch erlaubt worden war, blieb er die ganze Nacht hindurch an dem Sarge sitzen. In der Nacht stieg Sigurd aus dem Sarge, ging hinaus und blieb lange fort. Aber der Bauernsohn Sigurd blieb unterdessen am Sarge sitzen.

Nun hatte es sich aber so getroffen, daß die Frau des Pfarrers soeben ein Kind geboren hatte. Gegen Morgen kam das Gespenst Sigurd zurück und wollte wieder in den Sarg. Der Bauernsohn aber sagte, das dürfe er nicht, wenn er ihm nicht vorher erzähle, was er so lange getrieben habe. »Ich habe nur mit meinem Gelde gespielt«, sagte das



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Gespenst, »und jetzt will ich wieder in meinen Sarg.« — »Nicht eher, als bis du mir sagst, wo das Geld liegt«, erwiderte Sigurd. »Das wirst du nicht erfahren!« sagte das Gespenst. »Dann kommst du auch nicht in den Sarg«, erwiderte Sigurd. Da sagte das Gespenst, daß das Geld unter einer Ecke der Badestube liege. »Wieviel ist es denn?« fragte Sigurd. »Eine Vierteltonnc«, sagte das Gespenst. »Hast du denn weiter nichts gemacht in der Nacht?« fragte Sigurd. »Nein«, sagte das Gespenst. »Du hast sicher noch mehr angestellt«, sagte Sigurd, »und ich lasse dich nicht eher in deinen Sarg, bis du es mir gesagt hast.« — »Ich habe die Pfarrersfrau getötet«, sagte das Gespenst. »Warum hast du das getan?«fragte Sigurd. »Ich wollte ihre Zuneigung gewinnen, als sie noch lebte«, erwiderte das Gespenst, »aber sie hat mich abgewiesen.« — »Wie hast du sie denn umgebracht?«fragte Sigurd. »Ich habe alles Leben aus ihr heraus in ihren kleinen Finger hineingestrichen«, sagte das Gespenst. »Kann man sie nun nicht wieder lebendig machen?« fragte Sigurd. »Ja«, sagte das Gespenst, »wenn man den Faden, den ich ihr um den kleinen Finger gebunden habe, so vorsichtig löst, daß kein Tropfen Blut fließt. Nun aber will ich endlich in meinen Sarg!« —»Nicht eher, als bis du mir versprichst, nie wieder aus deinem Sarge herauszukommen«, sagte Sigurd. Und schließlich versprach das Gespenst auch, nie wieder aus dem Sarge herauskommen zu wollen. Da ließ Sigurd es hinein in den Sarg, und dieser schloß sich nun wieder.

Am Morgen ging Sigurd in den Pfarrhof, und da waren die Leute alle in großer Trauer. Sigurd fragte, was denn geschehen sei, und da erzählten sie ihm, die Pfarrersfrau sei in der Nacht gestorben. Er bat um die Erlaubnis, sie sehen zu dürfen, und man führte ihn auch dorthin, wo sie lag. Er löste nun den Faden von ihrem kleinen Finger und strich ihren ganzen Leib, und davon begann sie allmählich wieder aufzuleben. Dann erzählte er dem Pfarrer seine ganze Unterhandlung mit dem Gespenst und zeigte ihm auch das Geld zum Beweise der Wahrheit. Dadurch kam er nun bei dem Pfarrer in große Gunst, und der Pfarrer nahm ihn in seinen Dienst. Es wird auch erzählt, daß der Pfarrer einen sehr tüchtigen Mann aus ihm gemacht haben soll und Sigurd habe sich seitdem immer sehr gut gehalten.


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