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Isländische Märchen


Illustrationen von Angelika Winkler

Märchen europäischer Völker


Jon und die Trollsriesin

Im Nordland wohnte ein Bauer, der fuhr im Herbst und im Winter nach den Westmännerinseln zum Fischen. Er hatte einen erwachsenen Sohn. Der hieß Jon und war vielversprechend.

Einmal nahm der Bauer seinen Sohn mit auf seinen Fischfang nach den Inseln. Sie zogen geradeswegs; und es ist von der Fahrt nicht viel zu berichten.

Im nächsten Herbst zog Jon allein südwärts nach dem Fischplatz, denn sein Vater war alt und schwach geworden. Aber ehe er hinausruderte, bat ihn der Bauer, nur ja nicht unter den hohen Felsen am Bergabhang zu verweilen. Jon mußte ihm das ernstlich versprechen, das unter gar keinen Umständen zu tun.

Dann zog Jon fort; er hatte zwei Packpferde und ein Reitpferd mit. Die Pferde wollte er während des Winters auf den Landinseln einstellen, wie sein Vater das auch getan hatte. Seine Fahrt verlief nach Wunsch, er kam an den Bergabhang und zog eine Zeitlang an ihm hin. Der Tag war fast vorüber, und Jon versuchte am Abhang vorbeizukommen, wie er's seinem Vater versprochen hatte. Aber kaum war er in der Nähe der Felsen, von denen sein Vater gesprochen hatte, da überfiel ihn ein furchtbares Unwetter mit Sturm und Regen. Er war an hohe Felsen gekommen und kam zu einem Halteplatz, so schön, wie er ihn sich nur wünschen konnte, auf einer Anhöhe unter den Felsen. Er war reich mit Gras bewachsen und bot Schutz gegen den Regen. Es gefiel ihm gut,



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und er konnte nicht begreifen, was denn Schlimmes dabei sei, hier zu rasten, und so blieb er denn da. Er zäumte die Pferde ab und band sie fest. Er erblickte eine Höhle in dem Felsen. Dorthin trug er sein Gepäck, legte es an die eine Seite der Höhle nicht weit von der Türe; dann machte er es sich in seinen Sachen bequem und begann zu essen.

Es war dunkel in der Höhle. Als er eben im besten Essen war, hörte er ein langgezogenes Geheule in der Höhle; er erschrak etwas darüber, faßte aber bald wieder Mut. Er nahm einen riesigen Fisch aus seinem Proviant heraus, riß die Haut so herunter, daß sie ganz blieb, bestrich den ganzen Fisch dick mit Butter und legte die Haut wieder darüber. Dann schleuderte er den Fisch möglichst tief in die Höhle hinein und sagte, daß die da drinnen sich vor dem in acht nehmen sollten, der ihnen dies sende, daß sie's aber behalten könnten, wenn sie wollten. Da hörte Jon nun, daß bald darauf das Geheul verstummte und jemand begann den Fisch zu zerreißen. Als er fertig gegessen hatte, wollte er sich schlafen legen, aber da hörte er ein Geräusch im Geröll und daß jemand schweren Schrittes auf den Eingang zukam. Gleich darauf sah er eine große und mächtige Riesin kommen, und es war so, als leuchte ihre ganze Gestalt draußen im Dunkeln, da wurde es Jon bang. Als sie in die Türe der Höhle kam, sagte sie: »Menschengeruch ist in meiner Höhle.«Dann ging sie weit ausschreitend hinein und legte ihre Bürde auf den Estrich. Es entstand ein so großes Getöse, daß die Höhle erdröhnte. Da hörte Jon die Alte mit jemand sprechen und verstand auch, wie sie sagte: »Besser getan als nicht getan, und es wäre schlimm, wenn es nicht belohnt würde.«

Und dann sah er, wie die Riesin mit einem Licht in der Hand auf ihn zukam. Sie begrüßte Jon mit Namen, dankte ihm für ihre Kinder und bat ihn, mit in die Höhle zu kommen. Er bedankte sich, und die Alte steckte ihre beiden kleinen Finger in die Ösen seines Gepäcks, das mit Stricken festgebunden war, und nahm es mit hinein. Als sie hineinkamen, sah Jon zwei Betten, in dem einen lagen die beiden Kinder; es waren die, deren Geheule er gehört hatte und die den Fisch gegessen hatten. Auf dem Estrich lag eine Menge Forellen, die die Alte am Abend geangelt und auf dem Rücken heimgebracht hatte, und davon hatte ihre ganze Gestalt im Dunkeln so geleuchtet.

Die Alte frug nun Jon, ob er lieber in ihrem Bett oder in dem der Kinder schlafen wolle, und da er das der Kinder vorzog, bettete sie die Kinder auf den Estrich, bezog sein Bett neu und sorgte für seine Schlafstätte.



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Dann fing Jon an zu schlafen und wachte wieder auf, als die alte Riesin ihm gekochte Forellen zu essen brachte. Er dankte ihr dafür, und während er aß, saß die alte Riesin bei ihm, erzählte und war sehr vergnügt. Sie fragte ihn, wohin er rudern wolle, und er sagte es ihr. Da fragte sie ihn, ob er sich schon einen Platz bei jemand gesichert habe, er aber sagte nein. Da sagte sie ihm, daß alle Bootsplätze auf der Insel besetzt seien und keines mehr jemanden aufnähme, und daß er keine Wohnung finden werde außer bei einem alten Fischer, der kaum eine Gräte aus dem Wasser mehr angeln könne und der nur ein fast unbrauchbares Boot habe und auch nur untaugliche Burschen, weil er keine ordentlichen Leute mehr kriegen könne. »Ich rate dir«, sagte sie, »dir einen Platz bei ihm zu sichern; er wird sich zwar weigern, dich zu nehmen, aber du sollst nicht ruhen, bis er nachgibt. Ich kann dir jetzt nicht so belohnen, was du an meinen Kindern getan hast, wie ich gern wollte«, sagte die alte Riesin, »aber hier sind zwei Angelhaken, die ich dir schenken will. Den einen sollst du nehmen und der Alte den andern. Ihr sollt immer allein sein beim Angeln, ich hoffe, die Haken werden sich brauchbar zeigen. Immer sollt ihr als die letzten von allen ausrudern und als erste am Abend heimkommen. Ihr sollt auch nicht weiter rudern als bis an den Felsen, der gerade vor dem Landungsplatz steht. Wenn du nach Landinselsand kommst, werden die letzten Inselboote fahrtbereit sein. Fahre mit ihnen nach den Inseln, binde deine Pferde am Strand zusammen, bitte keinen, für sie zu sorgen, und kümmere dich auch nicht weiter um sie. Ich werde mich im Winter etwas um sie kümmern. Und wenn es wirklich so kommen sollte, daß du im Winter Glück hast beim Fischen, da wäre es mir lieb, wenn ich deinen Pferden mein Pferd könnte folgen lassen, um mir ein paar Fische zu holen, denn Dörrfisch schmeckt mir herrlich.«Jon sagte ihr das zu und versprach ihr, in allen Dingen ihrem Rat zu folgen.

Am Morgen ging Jon aus der Höhle und trennte sich in Freundschaft von der Alten. Erzählt wird nichts von der Reise Jons, bis er nach Landinselsand kam. Dort lagen die letzten Inselboote fahrtbereit. Jon schirrte seine Pferde ab und band sie am Strand zusammen, ohne jemand zu bitten, für sie zu sorgen. Die andern machten sich lustig über Jon deshalb und sagten, die Pferde würden wohl gut imstande sein am Ende der Fischzeit. Jon aber kümmerte sich nicht um ihren Spott, tat vielmehr, als höre er nichts, und zog mit ihnen nach den Inseln. Als er dahin kam, suchte er sich einen Bootsplatz, fand aber keinen, denn



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überall war alles vollbesetzt. Schließlich kam er zu dem alten Fischer, zu dem die Alte ihn geschickt hatte. Er bat ihn, ihn aufzunehmen. Aber der alte Mann wollte nicht und sagte, er wolle solch tüchtigem Manne keinen Schaden antun. »Ich angle nie auch nur eine Gräte aus dem Wasser«, sagte der alte Fischer, »und ich habe nur untaugliche Burschen für mein elendes Boot. Ich kann nur bei bestem und ruhigstem Wetter rudern«, sagte er, »und es ist nicht angesehen für einen tüchtigen Mann, sich an meine Untüchtigkeit zu binden.«Jon sagte, das müßte ja sein eigener Schade sein, und bat den Alten so lange, bis er ihn nahm. Jon zog nun beim Alten ein, und die Männer fanden nicht, daß er dabei gut beraten gewesen sei, und verspotteten ihn.

Nun kam die Fischzeit. Eines Morgens wachten Jon und die Seinen davon auf, daß alle Fischer auf den Inseln bei schönstem und ruhigstem Wetter hinausruderten. Da sagte der Alte: »Ich weiß nicht, ob ich auch hinausrudern soll. Ich glaube, es wird nicht viel dabei herauskommen.« j on sagte, es sei keine Gefahr dabei, es auch zu versuchen. Dann zogen sie sich ihre Lederanzüge an und fuhren hinaus. Als sie aber gerade gegenüber der eigentlichen Landungsstelle waren, glaubte Jon den Felsen zu erkennen, den die Riesin gemeint hatte. Er sagte, er wolle nur spaßeshalber hier an dieser Stelle seine Schnur auswerfen, und kaum hatte er's getan, als er schon einen Fisch heraufzog. Da gab er dem Alten den andern Angelhaken, der Riesin Geschenk. An diesem Tage hatten sie dreimal das Boot voll an dieser Stelle, fuhren heim, lange ehe die andern kamen, und dann waren sie bald mit der Zubereitung fertig. Alle waren verwundert über den Fischfang des Alten. Sie fragten ihn, wo es soviel gäbe, und er sagte es ihnen. Sie ruderten am andern Tage auch dahin, sahen aber an dieser Stelle nichts Lebendiges und ruderten darum weiter hinaus. Jon und der Alte fuhren erst nachher hinaus, und es ging genauso wie am Tage zuvor. Und so ruderten sie den ganzen Winter nach dem Felsen, und jeder fing zwölfhundert Fische, und sie waren die Glücklichsten beim Fischfang. Am vorletzten Tage ruderten sie zum letztenmal hinaus, und da waren, als sie die Leinen aufzogen, beide Angelhaken verschwunden, und es schien, als seien sie losgemacht worden, aber es bekümmerte sie nicht, und sie fuhren heim. Nun zog Jon mit dem Fisch nach dem Festland und wurde auf demselben Boot übergesetzt, mit dem er im Herbst hinübergefahren war. Unterwegs spotteten die Leute darüber, daß seine wohlgenährten Pferde nun gewiß den Dörrfisch nach dem Nordland tragen könnten.



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Als sie an den Strand kamen, sahen sie seine Pferde noch genauso festgebunden, wie er sie verlassen hatte. Und als sie sich die Pferde näher ansahen, fanden sie sie zu ihrer Überraschung, als seien sie im Winter gemästet worden. Aber außer seinen Pferden stand noch ein Pferd da mit einem Saumsattel, braun und stark gebaut. Die Genossen bekamen nun beinahe Angst vor ihm und hielten ihn für einen großen Zauberer wegen des guten Fischfangs und wegen seiner Pferde, die in so gutem Stande waren, als habe eines für sie gesorgt. Jon band den Dörrfisch auf die Pferde und lud ebenso viele auf das braune Pferd allein wie auf seine zwei. Dann ritt er nordwärts.

Die Riesin empfing ihn freundlich, und er blieb ein paar Tage bei ihr und gab ihr alle Fische, die der Braune getragen hatte. Sie erzählte ihm viel und auch, daß ihre Kinder im Winter gestorben seien und sie sie unter dem Felsen neben ihrem Manne begraben habe; sie habe auch die Haken von den Angelschnüren genommen und die Pferde an den Strand gebracht. Als sie ihn fragte, ob er von Hause etwas gehört habe, und er dies verneinte, da erzählte sie ihm, sein Vater sei im Winter gestorben, und als einziges Kind müsse er nun die Wirtschaft übernehmen. Er selbst würde auf den Hof ziehen, sich im Sommer eine Frau nehmen und sehr glücklich werden.

Und dann bat sie ihn noch um die Erfüllung einer Bitte. Sie sagte, sie habe nun nicht mehr viel Zeit, und wenn er von ihr träume, dann möge er möglichst bald herkommen und sie neben ihrem Manne und ihren Kindern begraben. Sie zeigte ihm die Stelle, wo diese begraben waren. Dann öffnete sie eine Seitenhöhle, wo zwei Truhen standen mit Gold und allerlei Schätzen gefüllt. Diese Truhen solle er dann erben und ebenso das braune Pferd, sagte sie. Sie würde die Truhen schon zusammenbinden und hinaussetzen, bevor sie sterbe, und sie würde auch schon etwas darunterstellen, so daß er nur das Pferd dazwischenführen und die Ösen am Sattel festzubinden brauche. Der Braune könne auf seinem Saumsattel bequem die Truhen tragen, ohne daß er selber es nötig habe, sich darum zu kümmern, bis er nach dem Norden käme. Dann trennten sie sich in großer Herzlichkeit, Jon und die Riesin. Die Reise ging gut vonstatten bis ins Nordland. Dort fand er alles so, wie die Riesin gesagt hatte, und alles kam auch so. Jon wurde seines Vaters Erbe und heiratete eine Bauerntochter aus der Umgegend. Nun ging es auf die Zeit des Mähens, da träumte Jon eines Nachts von der Riesin. Sofort dachte er an ihre Bitte und stand sogleich auf. Draußen stürmte



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es und regnete. Jon ließ den Reitknecht beide Reitpferde holen. Der Knecht gehorchte, und Jon beeilte sich mit seinem Ritt. Seiner Frau wollte er nichts darüber sagen, bat sie a'ber, unbesorgt zu sein, auch wenn er ein paar Tage fortbleibe. Dann ritt er, so schnell er konnte, kam an die Höhle, und die Riesin, die draußen stand, konnte nur noch kurz mit ihm sprechen. Er blieb bei ihr, bis sie gestorben war, und begrub sie dann an der von ihr selbst gewählten Stelle. Dann nahm er das braune Pferd mit dem Saumsattel. Vor der Höhle standen zwei Truhen mit Ösen daran. Er stellte das Pferd dazwischen, band die Ösen am Sattel fest und zog mit allem fort. Er ritt glücklich heim, blieb auf seinem Hof und wurde ein sehr reicher Mann. Er wohnte lange und zufrieden auf seinem vom Vater ererbten Hof, hatte in allem Glück und war angesehen bei allen Leuten.


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