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Isländische Märchen


Illustrationen von Angelika Winkler

Märchen europäischer Völker


Die Schuhe aus Menschenhaut

Es war einmal ein Bauer auf seinem Hofe; man redete über ihn allerlei. Man sprach schlecht von ihm, weil er sein Gesinde übel behandelte, und die Knechte erzählten Schlimmes über ihn, sei es wegen des schlechten Essens oder der schlechten Behandlung, oder aber deshalb, weil er zuviel von ihnen verlangte. Jedenfalls kam es schließlich so, daß keiner mehr als Knecht zum Bauern gehen wollte, und beinahe wäre es noch so weit gekommen, daß er alle Knechtsarbeit allein verrichten mußte. Da geschah es, daß ein Mann aus der Gegend, der, obgleich er ein tüchtiger Kerl war, arbeitslos herumlief, zum Bauer kam. Der Bauer empfing ihn mit offenen Armen; er führte ihn in die Stube und sprach mit ihm über dies und jenes. Da kamen sie auch auf Gesindewirtschaft und Knechtssachen zu sprechen, und dabei forderte ihn der Bauer auf, fürs nächste Jahr als Knecht bei ihm zu bleiben. Der Mann verstand sich nur ungern dazu wegen des Geredes, das über den Bauer umging. Aber der Bauer bat ihn, bei ihm zu bleiben, und wenn es auch nicht länger sei, als bis er ein Paar Schuhe abgelaufen habe. Der Mann dachte bei sich, daß Schuhe vergänglich seien und sich nach einer gewissen Zeit ablaufen müssen, und es also nur eine kurze Weile sein würde, die er beim Bauern zubringe, und keine Ewigkeit. So schloß denn seine Überlegung damit, daß er dem Bauern zusagte. Zur Kreuzmesse kam dann der Mann, und der Bauer gab ihm ein Paar neue, nicht sehr derbe Schuhe und sagte ihm, wenn die Schuhe abgelaufen seien, dann solle seine Dienstzeit aus sein, wenn er's so wolle. Das aber bestimmte der Bauer, daß er zum Kirchgang andere Schuhe anziehen solle, und darauf ging der Knecht auch willig ein.

Nun verstrich eine geraume Zeit, und man sah nach Verlauf dieses Jahres nicht mehr Abnutzung an den Schuhen, als wenn er sie am Tag vorher angezogen hätte. Da wurde er traurig über sein gegebenes Wort, und dennoch kam es ihm schändlich vor, fortzugehen, obwohl ihm das Leben beim Bauern leid und verhaßt war. So blieb er noch das nächste Jahr, und man sah immer noch keine Abnutzung an den Schuhen, obwohl er die beiden Jahre niemals andere Schuhe angehabt hatte, außer wenn er zur Kirche ging. Der Mann wunderte sich sehr darüber und glaubte nun zu wissen, daß das nicht mit rechten Dingen zuging, wußte aber nicht, welcher Zauberei er zum Opfer gefallen war.

Eines Sonntags, als er eben das dritte Jahr angefangen hatte, war er zu



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Hause geblieben und nicht zur Kirche gegangen; deshalb bekam er auch keine Kirchenschuhe, wie dies gewöhnlich geschah, wenn er ins Gotteshaus gehen wollte.

Als der Bauer und all sein Gesinde zur Kirche gegangen waren, dachte der Mann über seine schlimme Lage nach und darüber, wie lange wohl noch dies sein Elend beim Bauern dauern solle. Als er noch darüber nachsann, kam ein Mann herein. Der Fremde merkte, daß der Knecht bekümmert war, fragte ihn, weshalb und warum er denn nicht zur Kirche gegangen sei heute mit all dem andern Gesinde. Der Knecht sagte, er habe keine Lust gehabt, er überdenke sein Mißgeschick. Der Fremde sagte, das sei keine Entschuldigung dafür, daß er nicht zur Kirche gegangen sei, wenn er auch an sein Unglück denken wolle, denn alle Menschen hätten ihr Kreuz zu tragen, und sein Unglück würde dadurch keineswegs geringer, daß er vom Kirchgang wegbleibe. Er solle nur gleich zur Kirche gehen, denn noch sei die Zeit nicht soweit vorgerückt, daß er nicht zur Messe noch zurecht käme; auch sei etwas später angefangen worden, denn vor der Messe sei ein Begräbnis gewesen, und da habe man sich in der Zeit verspätet. Der Knecht sagte, er könne nicht gehen, da er keine Kirchenschuhe bekommen habe. Der Fremde sagte, er könne ruhig in den Schuhen gehen, die er anhabe, aber der Knecht sagte drauf: »Nein, ich habe es versprechen müssen, in ihnen nicht zum Gottesdienst zu gehen, wie lange ich auch in diesem herrlichen Dienstverhältnis bleibe, und ich habe dazu immer andere Schuhe bekommen; heute morgen aber wollte ich keine, weil ich nicht zur Kirche gehen wollte. «

Der Fremde fragte ihn, wie lange er denn schon in diesem Dienst sei. »Viel zu lange«, sagte der Knecht, »das dritte Jahr hat nun begonnen«, und er seufzte dazu. »Gefällt es dir nicht?«fragte der Fremde. »Weit gefehlt«, sagte der Knecht, »das ist mein größtes Unglück, daß ich solange hiergeblieben bin.« »Was bindet dich denn?«fragte der Fremde. »Mein Versprechen«, sagte der Knecht und erzählte ihm, wie alles gekommen war.

Als der Fremde dies gehört hatte, sagte er zu ihm, daß er nun gerade in ebendiesen Schuhen zur Kirche gehen solle, er solle nur vorher zum Grab gehen, das heute aufgeworfen sei, damit in die geweihte Erde fahren und abwarten, was geschehe, denn die Schuhe, die er nun bereits das dritte Jahr trage, seien aus den Rückenstreifen einer Altweiberhaut, und die würden halten in alle Ewigkeit, wenn es ihm bestimmt sei, so



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alt zu werden. Der Knecht dankte dem Fremdling für den guten Rat, sagte ihm »Auf Wiedersehen« und lief fort zur Kirche. Als er auf den Kirchhof kam, merkte er, daß die Schuhe an den Nähten aufsprangen, und als er in geweihter Erde stand, lösten sie sich von seinen Füßen, so daß nichts übrigblieb als Einfassung und Spannbänder. Und so ging er mit den Schuhfetzen an den Knöcheln in die Kirche hinein, wo der Pfarrer soeben die Kanzel bestiegen hatte. Als der Gottesdienst zu Ende war, ging der Knecht zum Bauern und zeigte ihm, wie's mit den Schuhen stand und daß nichts mehr von ihnen übrig war als nur die Einfassung, und kündigte ihm gleichzeitig den Dienst.

Der Bauer sagte weiter nichts als dies: »Umsonst bist du also heute morgen nicht vom Kirchgang weggeblieben.«


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