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Isländische Märchen


Illustrationen von Angelika Winkler

Märchen europäischer Völker


Pferd Goldmähne und Schwert Kampffeder

Es waren einmal ein König und eine Königin in ihrem Reiche. Sie hatten einen Sohn, der Sigurd hieß. Als er zehn Jahre alt war, wurde die Königin krank und starb. Der König ließ ihre Leiche nach alter Sitte in einem Grabhügel bestatten, auf dem er oftmals saß und um sie trauerte. Eines Tages saß er wieder dort, da erblickte er eine vornehm gekleidete Frau. Er fragte sie nach ihrem Namen. Sie nannte sich Ingibjörg und verwunderte sich, daß er so allein da sitze. Da erzählte ihr der König alles, und die Frau wiederum erzählte dem König, daß sie gestern gerade ihren Mann verloren habe, und fügte hinzu, am besten zögen sie beide wohl zusammen. Dem König gefiel sie, er lud sie an seinen Hof, und schon kurz danach fand die Hochzeit statt.

Der König war wieder fröhlich geworden und ritt oft auf die Jagd. Sigurd aber liebte seine Stiefmutter sehr und blieb immer bei ihr daheim. Eines Abends sagte sie zu ihm: »Morgen mußt du mit deinem Vater auf die Jagd!« Er sagte, er wolle lieber bei ihr bleiben, und als der König am Morgen davonritt, war Sigurd nicht zu bewegen, ihn zu



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begleiten. Da sagte die Stiefmutter, er würde seinen Ungehorsam schon noch bereuen und tue besser, ihr zu gehorchen. Sie steckte ihn unter ihr Bett und sagte, dort solle er bleiben, bis sie ihn rufe. Darauf geschah ein mächtiges Dröhnen, der Boden bebte, und ein Riesenweib, bis zu den Knöcheln in der Erde watend, kam ins Zimmer. Sie sagte: »Sei gegrüßt, Schwester Ingibjörg! Ist Königssohn Sigurd daheim?«

»Nein«, sagte Ingibjörg, »er ist mit seinem Vater in den Wald zur Jagd.«Sie deckte dann für ihre Schwester den Tisch und setzte ihr Speisen vor. Als sie beide gegessen hatten, sagte die Riesin: »Ich danke dir für den besten Leckerbissen, das beste Lamm, die beste Kanne Bier und den besten Trank. Ist der Königssohn Sigurd daheim?«

Ingibjörg verneinte das, da nahm die Riesin Abschied und ging fort. Ingibjörg rief den Königssohn hervor. Der König kam abends von der Jagd zurück und wußte von alledem nichts. Am andern Morgen bat sie Sigurd, er solle nun seinen Vater begleiten, allein er sagte, er wolle lieber bei seiner Stiefmutter bleiben. Der König ritt wieder allein auf die Jagd. Ingibjörg verbarg den Knaben unter dem Tisch und war sehr ungehalten über ihn. Der Boden erbebte, die Riesin kam, bis zu den Waden im Boden watend, ins Zimmer. »Sei gegrüßt, Schwester Ingibjörg, ist der Königssohn Sigurd daheim?« —»Nein, er ist mit seinem Vater davongeritten.«Wieder deckte sie für ihre Schwester den Tisch, und als sie sich satt gegessen hatten, erhob sich die Riesin und sagte: »Ich danke dir für den besten Leckerbissen, das beste Lamm, die beste Kanne Bier und den besten Trank. Ist der Königssohn Sigurd daheim?«

Ingibjörg verneinte dies, und darauf nahm sie Abschied. Sigurd kroch hervor. Ingibjörg sagte, es sei von größter Wichtigkeit, daß er morgen nicht zu Hause bleibe; aber Sigurd meinte, daß ihm dies wohl niemals Schaden bringen werde. Am nächsten Morgen bat sie ihn flehentlich, den Vater zu begleiten. Aber Sigurd wollte durchaus nicht.

Als der König fort war, verbarg sie ihn zwischen Getäfel und Wand. Alles ging wie bisher, und Ingibjörg sagte, der Königssohn sei draußen mit seinem Vater im Wald. »Das ist gelogen«, schrie die Riesin, und sie zankten sich, bis Ingibjörg sich hoch und teuer verschwor, er sei nicht zu Hause. Dann speisten sie, und alles verlief wie bisher, aber als Ingibjörg wieder gesagt hatte, der Knabe sei mit dem Vater in den Wald, da schrie die Riesin mit Donnerstimme:

»Ist er so nahe, daß er meine Worte hört, so lege ich den Fluch auf ihn,



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daß er halb verdorrt und halb verbrannt werde und nicht früher zu Rast oder Ruhe komme, bevor er mich findet.« Dann ging sie fort, und als Ingibjörg den Knaben hervorholte, war er schon halb verbrannt und halb verdorrt. »Da siehst du's nun«, sagte sie, »aber jetzt heißt es schnell machen, ehe der Vater kommt.«

Sie nahm ein Knäuel und drei goldene Ringe aus einer Kiste und sagte zu ihm: »Wenn du diesen Knäuel fallen läßt, so rollt er bis zu ein paar Felsen. Aus denen kommt eine Riesin heraus; das ist meine erste Schwester. Sie wird zu dir herunterrufen und sagen: >Das ist herrlich, da kommt der Königssohn Sigurd, der soll heut abend in meinen Topf!< Aber du mußt deshalb keine Angst haben. Sie wird dich sodann mit einem Bootshaken zu sich hinaufziehen. Grüße sie von mir und gib ihr den kleinsten von den goldenen Ringen. Sie wird seelenvergnügt sein, wenn sie das Gold sieht, und dich zu einem Ringkampf auffordern. Wenn du dann ermattet bist, so wird sie dir anbieten, aus einem Horne zu trinken, bis du so stark wirst, daß du sie überwindest. Dann wird sie dich bis zum nächsten Morgen bei sich behalten. Ebenso werden's auch meine beiden andern Schwestern mit dir machen. Besonders aber mußt du dir merken: Wenn mein Hund zu dir kommt und legt seine Pfoten auf dich und es laufen ihm Tränen über seine Schnauze, so beeile dich heimzukommen, denn dann ist mein Leben in Gefahr; dann vergiß deine Stiefmutter nicht!«

Dann ließ Ingibjörg den Knäuel zur Erde fallen, und Sigurd nahm rührenden Abschied von ihr. Am Abend blieb der Knäuel bei dem ersten Felsen liegen, und Sigurd sah, wie eine Riesin hervorkam. Als sie ihn erblickte, rief sie: »Das ist herrlich, da ist der Königssohn Sigurd gekommen, der soll heute abend in meinen Topf! Herauf mit dir, Kamerad! Komm und ringe mit mir!«Dabei zog sie ihn mit dem Bootshaken zu sich hinauf. Sigurd grüßte sie von der Schwester und gab ihr den kleinsten der Goldringe. Da wurde sie seelenvergnügt und forderte ihn zum Ringkampf auf. Als sie merkte, daß er ermattete, ließ sie ihn aus dem Horn trinken, bis er die richtige Stärke erhielt. —Am nächsten Tage warf er wieder den Knäuel auf die Erde, der lief, bis er am Abend wieder vor einigen Felsen liegenblieb. Eine noch größere Riesin kam heraus, alles verlief wie beim erstenmal. Wie Sigurd aus dem Horn trank, wurde er so stark, daß er die Riesin mit einer Hand zu Boden werfen konnte. — Am dritten Tage verlief mit der dritten Riesin das gleiche. Als Sigurd aus dem Horn getrunken hatte, brachte er sie dahin, daß sie



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auf die Knie fiel. Da sagte die Riesin zu ihm: »Nicht weit von hier ist ein See; geh dorthin; du wirst dort ein kleines Mädchen sehen, das mit einem Kahne spielt. Mit diesem Mädchen freunde dich an. Hier hast du einen kleinen goldenen Ring. Den gib ihr, das wird dir nützlich sein. Du hast ja deine Kräfte wiedergewonnen, und nun wird dir alles gut gelingen.«

Dann trennten sie sich; Sigurd ging, bis er zu dem See kam, traf dort das Mädchen und fragte es nach ihrem Namen. Sie sagte, sie heiße Helga, und ihre Eltern wohnten nicht weit von hier. Er schenkte ihr den Ring, und sie spielten nun dort den Rest des Tages zusammen. Als Helga abends heimging, wollte er gern mit ihr gehen. Aber sie sagte, kein Fremder könne in das Haus kommen, ohne daß ihr Vater es merke. Doch nahm sie ihn mit, aber ehe sie zur Türe hineinging, hielt sie ihren Handschuh über ihn und verwandelte ihn sogleich in ein Büschel Wolle, trug es hinein und warf es in ihr Bett hinauf. Da stürmte auch schon ihr Vater herein, roch und suchte in allen Winkeln und schrie: »Es riecht hier nach Mensch! Was hast du da auf das Bett geworfen, meine Tochter?« —»Es war nur ein Wollbüschel«, sagte sie. »Vielleicht war es dann das«, sagte der Alte.

Am Morgen, als Helga zum Spielen fortging, nahm sie das Wollbüschel mit. Am See hielt sie ihren Handschuh darüber, und Sigurd bekam wieder seine frühere Gestalt. Sie unterhielten sich nun zusammen den ganzen Tag über. Am Abend sagte Helga zu Sigurd, ehe sie ihn wieder in ein Wollbüschel verwandelte: »Morgen werden wir mehr Freiheit zum Spielen haben, denn mein Vater geht in die Kirche, und wir können daheim bleiben.« —Am nächsten Morgen ging der Vater zur Kirche, und als Sigurd wieder in seine natürliche Gestalt verwandelt war, zeigte ihm Helga alle Zimmer, denn der Vater hatte ihr alle Schlüssel übergeben. Aber Sigurd bemerkte, daß sie einen von den Schlüsseln nicht gebrauchte, und fragte, für welches Zimmer dieser Schlüssel sei. Sie sagte, damit habe es seine besondere Bewandtnis. Da fiel sein Blick auf eine eiserne Tür, und er bat sie dringend, ihm auch dieses Zimmer zu zeigen. Helga sagte, das sei verboten, und schließlich wollte sie sie ein ganz klein wenig öffnen. Sigurd sagte, dies würde auch genügen, und stieß sie dann ganz auf. Da sah er ein prächtig gesatteltes Pferd in dem Zimmer und ein goldverziertes Schwert, und auf dessen Griff waren folgende Worte eingeritzt: »Wer auf diesem Rosse sitzt und sich mit diesem Schwerte umgürtet, dem wird das Glück folgen.«



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Sigurd bat Helga, auf diesem Roß und mit diesem Schwert einmal um das Haus herumreiten zu dürfen. Helga sagte, das sei unmöglich; aber endlich gab sie seinen schmeichelnden Bitten nach. Sie sagte ihm nun auch, daß das Pferd Goldmähne und das Schwert Kampffeder hieße, und fügte hinzu: »Hier sind ein Zweig, ein Stein und ein Stock, die noch dazugehören. Wenn man auf dem Pferde sitzt und verfolgt wird, braucht man nur den Zweig hinter sich zu werfen, so verwandelt er sich in einen großen Wald. Und wenn der Verfolger trotzdem näher kommt, braucht man nur mit dem Stock auf die weiße Seite des Steines zu klopfen, dann kommt ein so großes Hagelwetter, daß der Verfolger darin umkommt.«

Sie erlaubte ihm auf sein dringendes Bitten, mit all den Dingen nur ein einziges Mal um das Haus herumzureiten. Als aber Sigurd einmal herumgeritten war, sprengte er davon.

Bald darauf kam Helgas Vater heim und sah, daß seine Tochter weinte. Er fragte sie nach dem Grunde, und sie erzählte alles. Da begann er sogleich aus allen Kräften dem Jüngling nachzulaufen. Wie Sigurd sich umsah, sah er den Riesen hinter sich. Da warf er den Zweig hinter sich, und sogleich schoß ein ungeheurer und dichter Wald zwischen ihm und dem Riesen empor. Da mußte dieser um eine Axt heim laufen, um sich durch den dichten Wald durchzuhauen.

Als Sigurd sich zum zweitenmal umsah, war der Riese schon wieder so dicht hinter ihm, daß er fast schon den Schwanz des Pferdes berührte. Da wandte er sich um und stieß mit dem Stock auf die weiße Seite des Steines, und ein so heftiges Hagelwetter brach los, daß der Riese darin umkam. Hätte Sigurd sich aber nicht umgewandt, so wäre es ihm ins Gesicht gekommen und hätte ihn selber getötet.

Als Sigurd nun weiterritt, kam die Hündin seiner Stiefmutter auf ihn zu, und es rannen ihr die Tränen über die Schnauze. Da ritt er aus allen Kräften heim und fand seine Stiefmutter von neun Knechten an einem Holzpflock festgebunden, daran sie sie verbrennen wollten. Mit dem Schwert Kampffeder tötete er die Knechte alle, befreite seine Stiefmutter und ritt mit ihr zum Vater. Der lag vor Kummer krank und ohne essen zu wollen im Bett; wie er aber den Sohn erblickte, war er ganz außer sich vor Freude. Sigurd erzählte ihm alles, aber der König hatte geglaubt, die Stiefmutter habe ihn umgebracht.

Dann ritt Sigurd fort, um Helga zu holen, und später ist er König und sie seine Königin geworden.



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Sie lebten lange und glücklich, Hatten Kinder und Kindeskinder, Gruben Wurzeln und Kräuter, Und nun weiß ich die Geschichte nicht mehr weiter.


Copyright: arpa, 2015.

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