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Isländische Märchen


Illustrationen von Angelika Winkler

Märchen europäischer Völker


Der Ritter und die Waldfrau

In Deutschland war ein Ritter, dem sein Vater ein Erbe hinterlassen hatte. Er war unverheiratet, aber reich. Er war nicht sehr vorsichtig, und in kurzer Zeit war alles vertan. Zwar wußte er nicht, wie er sich helfen solle, aber seine verschwenderische Lebensweise aufgeben, das wollte er auch nicht. Da beschloß er, seine Verwandten und Freunde um Unterstützung zu bitten. Diese willfahrten auch seiner Bitte, und eine Zeitlang konnte er nun wieder seine gewohnte Lebensweise fortsetzen, aber nicht lange, so war wiederum alles vertan. Da machte er



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sich von neuem auf, seine Verwandten zu besuchen und sie um Unterstützung zu bitten.

Er ritt einsam, bis er zu einem Walde kam, ritt dann den Heerweg, bis er zu einem schmalen Pfade gelangte, und auf diesem Pfade ritt er entlang, bis er zu einer Lichtung kam. Dort erblickte er einen lieblichen Bach, und eine schöne geschmückte Frau saß an dem Bache. Sie grüßte ihn und fragte, wohin er fahre. Er grüßte sie wieder, aber eine Antwort auf ihre Frage gab er ihr nicht. Da sagte sie: »Ich weiß schon, daß du deine Verwandten besuchen und sie um Unterstützung bitten willst; das wird aber keinen Erfolg haben, denn es wird ihnen wie den meisten andern gehen, daß sie sich vorsehen, ihr Geld wegzugeben ohne jede Gegenleistung. Es wäre viel ratsamer für dich, um eine Frau zu werben und auf diese Weise zu Gelde zu kommen.« Er sagte: »Ich weiß nicht, wo eine solche Frau ist, daß ich es daraufhin wagen könnte.«

Sie sagte: »Willst du mich haben, wenn ich dir genug Geld mitbringe?«

»Ich weiß nicht, ob es ratsam ist«, sagte er.

»Mach, wie dir's gefällt«, sagte sie.

»Ja«, sagte er, »zuerst will ich meine Verwandten besuchen und sehen, was sie sagen.«

Sie bat ihn zu tun, wie er wolle, meinte aber, er werde wenig Nutzen davon haben. »Wo kann ich auf dich warten«, sagte er, »falls ich deinen Antrag annehme?«

»Hier an dieser Stelle, wenn du heimreitest, und bringe ein lediges Pferd mit, damit ich mit dir nach Hause reiten kann.«

Dann trennten sie sich, und er ritt zu seinen Verwandten. Es ging, wie die Frau vermutet hatte, und er empfing keine Unterstützung von ihnen. Da erzählte er ihnen von der Frau, die er getroffen hatte, und was sie ihm angetragen, und sagte noch dazu, er habe einen bestimmten Argwohn, wer die Frau sei. Sie sprachen: »Was für eine Frau es auch sein mag, es scheint uns nichts anderes ratsam, als den Antrag anzunehmen.« Damit fuhr er heim, bis er wieder zu der Lichtung kam, wo er die Frau am Bache sitzen sah. Sie grüßte ihn und fragte, wie es gegangen sei. »Genau wie du vermutest hast«, sagte er.

»Das war zu erwarten«, sagte die Frau, »was wirst du nun tun?«

Er antwortete: »Ich weiß nicht recht, wozu ich mich entschließen soll.«

Da sagte sie: »Du mußt eine Frau mit Geld heiraten. Es steht nun bereit, was ich dir angeboten habe: wenn du mich nimmst, so soll es dir



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niemals an Geld fehlen, sooft du welches von mir verlangst. Was sagten denn deine Verwandten dazu, als du ihnen meinen Antrag mitteiltest?«

»Sie haben mir nicht widerraten, Geld zu erlangen, woher es auch sei.«

»Das war vernünftig gesprochen«, sagte sie, »denn jedermann wird nach seinem Vermögen gemessen. Ist das Pferd fertig, daß ich darauf reiten kann?«

»Hier steht es«, sagte er.

»Dann mußt du dich nun entscheiden«, sagte sie, »ich würde sogleich mit dir heimreiten und die Verbindung unter uns eingehen.«

»Das wird nun so werden«, sagte er.

Dann nahm er die Pferde und hob die Frau auf das eine. Und als sie näher nach Hause kamen, sagte die Frau: »Wir müssen unser Verbbungsbier trinken, sobald wir heimgekommen sind.«

»Ich weiß nicht, ob die Mittel dazu da sind«, sagte er.

»Ich werde mich schon darum kümmern«, sagte sie, »daß nichts fehlt«, nahm einen großen Geldbeutel unter dem Mantel hervor und gab-ihn ihm. »Nimm zunächst dies«, sagte sie, »und wenn es zu Ende ist, so sage es mir, dann gebe ich dir mehr.«

Er nahm das Geld, und als sie heimkamen, richtete er sogleich das Verlobungsbier aus, und wenig später heiratete er sie. Sie waren nun viele Jahre zusammen und hatten vier Kinder, zwei Söhne und zwei Töchter. Sie war eine freundliche und freigebige Frau und sehr beliebt bei den andern Leuten schon wegen des Geldes. Auch hielt sie, was sie dem Hausherrn versprochen hatte; wenn er kein Geld hatte, um etwas zu kaufen, wonach ihn gelüstete, gab sie ihm gleich, soviel er wollte. So ging nun die Zeit hin, in der sie zusammen waren, und er war mit seinen Verhältnissen recht zufrieden. Die Frau war freundlich und wohlgefällig und ging auch zur Kirche wie andere Leute und wohnte auch den Gebeten bei außer der Messe: sie wußte immer irgendeinen Vorwand zu finden, die Messe zu verlassen; wenn das Evangelium verlesen oder der stille Gesang erhoben oder die Hostie hoch gehoben wurde, dann war sie gerade niemals in der Kirche. Darüber wunderten sich die Leute und redeten viel davon. So sagte es ihr Mann auch seinem Bruder, der Diakon dort in der Nähe war und schon alles erfahren hatte. Er beeilte sich, seinen Bruder zu besuchen, brach mit seinen Knechten auf und kam zum Gehöft, als die Frau nur allein daheim, der Hausherr aber abwesend war.



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Sie nahm ihn und seine Leute mit größter Freundlichkeit auf, richtete ihnen Quartier und gab ihnen zu trinken, bewirtete sie am Abend köstlich und setzte sich selbst zu ihm. Der Diakon unterhielt sich ausgezeichnet mit ihr und schlief dort die Nacht. Am Morgen früh las er seine Gebete und ließ sich dann auch eine Messe lesen in seinem Quartier, aber vorher ließ er die Frau zu sich rufen und lud sie ein, erst an der Messe teilzunehmen und dann mit ihm zu speisen. Sie war einverstanden, und es wurde die Messe verlesen bis zum Evangelium. Sie standen beide zusammen, als das Evangelium begann. Da schickte sie sich an wegzugehen, und er fragte sie, was sie denn vorhabe. Sie sagte, sie habe eine Besorgung zu machen. Er bat sie ruhig dazubleiben, und sie war einverstanden. Sie blieb nun bei der Messe bis zum stillen Gesang, aber ehe der noch begann, wollte sie weggehen. Er hieß sie ruhig dableiben, als aber das Sanktus beendet war, wurde sie unruhig und wollte durchaus fort. Da nahm er sie und ließ sie nicht fort von der Messe, nahm eine Stola, die er bei sich hatte, und warf sie ihr über die Schultern. Oben darüber befand sich ein Schornstein, aus dem der Rauch aus der Stube abziehen sollte. Im selben Augenblick wurde die Hostie emporgehoben. Da legte sie ihre Hände auf ihre beiden Töchter, und man sah sie da aus dem Schornstein hinausfliegen und ihre beiden Töchter mit ihr. Sie wurde seitdem nicht wieder gesehen, und keiner wußte, was aus ihr geworden war. Ihre beiden Söhne waren zurückgeblieben und wurden brave, christliche Männer, reich und angesehen. Ihr Vater nahm sich später eine andere Frau. Es wird nicht erwähnt, daß ihm irgendein Unheil zugestoßen sei.


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