Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

Isländische Märchen


Illustrationen von Angelika Winkler

Märchen europäischer Völker


Der rote Stier

Als Herr Thomas Skulason auf Grenjadarstad war, hielt er zwei Hofknechte; der eine hieß Bjarni, der andere Martin. Sie schliefen beide miteinander in einer Kammer auf dem Gehöft. Bjarni war früher verheiratet gewesen, hatte sich aber von seiner Frau getrennt, und weil er nun ein Mädchen aus der Nachbarschaft liebhatte, wollte er vor allen Dingen seine Frau los werden. Er kam deshalb auf den Gedanken, einen Mann aus dem Nordland zu bestimmen, ihn zu unterrichten, wie man könne Gespenster -aufwecken. Die wollte er dann zu seiner Frau schicken, sie umzubringen.

Bjarni machte sich daran, das Gespenst aufzuwecken, und leckte ihm den Totengeifer vom Gesicht, wie es die Vorschrift verlangt. Aber als er das getan hatte, machte sich das Gespenst über ihn selber her, und es kam so, daß Bjarni dem Gespenst unterlegen war und nur mit knapper Not mit dem Leben davonkam. Weiterhin ging es so, daß das



Bd-06-128_Maerchen von Island Flip arpa

Gespenst dem Bjarni gar nichts nütze war zu dem, was er gewollt hatte, sondern es suchte ihn heim im Wachen und Schlafen, so daß er darüber beinahe von Sinnen gekommen wäre; deshalb konnten Martin und Bjarni oft nicht schlafen in ihrer Kammer, weil das Gespenst unermüdlich daran klopfte und sie wach hielt, bis Bjarni aufstand und für längere oder kürzere Zeit in der Nacht draußen blieb. Die Leute wußten nichts von dem, was sich draußen abspielte, außer was er selbst davon erzählte, wenn er wieder zu Martin hereinkam.

Als dies eine Weile so weiterging und Bjarni fast um seinen Verstand gekommen war, bat er in seinem Unglück einen zauberkundigen Mann um Rat, wie er sich vor den Verfolgungen dieses Wiedergängers retten könne. Der Mann gab ihm ein Blatt mit einigen Schriftzeichen darauf und sagte ihm, er solle eines Nachts in die Kirche von Grenjadarstad gehen, sich alle Meßgewänder umhängen und so geschmückt hinter den Schranken vor dem Altar stehenbleiben; er solle sich ja nicht vom Fleck rühren, was sich auch zutragen möge oder was ihn auch anzusprechen scheine, denn man wolle ihn nur von den Schranken fortlocken, und dann sei es aus mit ihm. Er sagte, ein ungeheuer großer Stier würde kommen und der lange mit der Zunge zwischen ihn und den Altar und dabei gehe es um sein Leben, so geschickt zu sein, daß er den Zettel ihm auf die Zunge legen könne, und wenn ihm das glücke, dann brauche ihm nicht mehr bange zu sein vor den Heimsuchungen der Gespenster. Daraufhin ging Bjarni eines Nachts in die Kirche und machte alles so, wie es ihm gesagt worden war. Da kam eine große Menschenmenge nach der andern um die Schranken herum; er kannte nur wenige von ihnen. Sie umwarben ihn in verschiedener Weise und baten ihn freundlich und streng vom Altar weg und zu ihnen herzugehen. Einer von denen, die Bjarni zu erkennen glaubte, war Herr Halgrim Scheving, der Großvater Doktor Schevings, und er zerrte an Bjarni, um ihn aus den Schranken herauszubekommen. Aber eine Schar nach der andern verschwand wieder, da es ihnen auf keine Weise gelang, den Bjarni vom Altar wegzubringen. Schließlich kam ein roter Stier zu Bjarni, der streckte die Zunge über die Schranken weg und wollte sie zwischen Bjarni und dem Altar hin und her bewegen so, als habe er im Sinn, ihn von dort herauszuschleudern. Da gelang es Bjarni, ihm den Zettel auf die Zunge zulegen. Daraufhin verschwand der Stier, und Bjarni merkte nichts mehr in der Kirche, und er wurde auch von dem Gespenst nicht mehr heimgesucht.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt