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Isländische Märchen


Illustrationen von Angelika Winkler

Märchen europäischer Völker


Tritil, Litil und die Vögel

Es waren einmal ein König und eine Königin in ihrem Reich und ein alter Häusler und sein Weib in ihrer Hütte. Der König hatte eine einzige Tochter, die er zärtlich liebte. Aber es widerfuhr ihm der Schmerz, daß die Tochter verschwand und nirgends gefunden wurde, so sehr



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man auch nach ihr suchte. Da gelobte der König, daß derjenige sie heiraten sollte, der sie ihm wiederbringe. Viele wollten wohl die gute Heirat machen, aber keiner fand sie, und alle kamen unverrichteter Dinge zurück.

Von dem alten Mann ist zu sagen, daß er drei Söhne hatte, von denen er die zwei älteren zärtlich liebte, aber der jüngere wurde von Eltern und Brüdern allenthalben zurückgesetzt. Als die Häuslerssöhne herangewachsen waren, sagte der älteste Bruder, er wolle nun hinaus in die weite Welt und sich Reichtum und Ehre erwerben. Die Eltern waren es zufrieden, er erhielt Proviant und neue Schuhe und wanderte lange, lange, bis er zu einem Hügel kam. Hier machte er Rast, um zu essen. Wie er nun so aß, trat ein winzig kleines Männlein zu ihm und bat ihn um einen Bissen. Aber der Häuslerssohn gönnte ihm nichts und jagte ihn weg. Dann wanderte er wieder lange, lange, bis er zu einem zweiten Hügel kam. Hier machte er Rast, um wieder zu essen. Da kam ein noch kleineres und sonderbareres Männchen herangetrippelt, das ihn wieder um einen Bissen bat. Aber der Häuslerssohn verweigerte es ihm wieder und jagte ihn fort. Und als er nun wieder lange, lange gewandert war, kam er zu einer Lichtung im Wald und machte Rast, um zu essen. Und wie er eben dabei war, kam eine Vogelschar und rückte ganz dicht an ihn heran. Er aber wurde zornig über die Vögel und verjagte auch diese.

Schließlich kam der Häuslerssohn an eine große Höhle. Er ging hinein, konnte aber nichts Lebendes drin erblicken. Da wollte er warten, bis der Höhlenbewohner zurückkäme. Und am Abend kam eine ungeheuer große Riesin in die Höhle. Er bat sie um die Erlaubnis, dableiben zu dürfen, sie verlangte aber, daß er dafür andern Tages die Arbeit verrichte, die sie ihm aufgeben werde. Das gefiel ihm und nun blieb er die Nacht da; aber am Morgen befahl ihm die Riesin, den Mist aus der Höhle zu schaffen -bis zum Abend, sonst brächte sie ihn um. Darauf ging sie fort. Wie nun der Sohn des Häuslers den Spaten nahm und einstieß, blieb er im Boden der Höhle stecken und war nicht mehr herauszubringen. Und am Abend, als die Riesin heimkam, war die Höhle natürlich nicht gereinigt, wie man sich leicht denken kann. Da fackelte sie nicht lange, nahm den Häuslerssohn und erschlug ihn, und er kommt in der Geschichte nicht weiter vor.

Nun wendet sich die Geschichte zu dem alten Häusler und seinem Weib zurück. Auch der zweite Sohn wollte jetzt fortziehen, um sich



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Reichtum und Ehre zu erwerben. Er sagte, es gefiele ihm nicht mehr daheim, seit sein älterer Bruder sicherlich ein großer Herr bei irgendeinem König geworden sei. Die Eltern waren es zufrieden und gaben ihm Proviant und neue Schuhe. Es ist nichts anderes über ihn zu berichten, als daß es mit ihm genauso ging wie mit dem ältesten Bruder.

Nun war also noch der jüngste der Häuslerssöhne übrig, und er hatte es nicht eben besser bei den Alten gehabt, obschon er jetzt ganz allein war. Der bat nun die Eltern ebenfalls, ihn ziehen zu lassen. »Reichtum und Ehre will ich mir gar nicht suchen«, sagte er, »ich will nur versuchen, mich irgendwie durchzuschlagen, damit ich euch nicht länger zur Last liege wie bisher.« Die Alten waren's zufrieden und gaben ihm Proviant und Schuhe, wenn es auch etwas bescheidener ausfiel als bei den Brüdern. So brach er auf und fuhr zufällig denselben Weg wie seine Brüder. Als er zum ersten Hügel kam, sagte er: »Hier haben meine Brüder gerastet; ich will das gleichfalls tun!« Er setzte sich hin und fing an zu essen. Da kam das kleine Männchen und bat um einen Bissen. Der Häuslerssohn begrüßte es freundlich, hieß es sich bei ihm niederzusetzen und mit ihm zu essen, soviel es wolle. Als sie fertig waren, sagte das Männlein: »Ruf mich, wenn du mal in Not bist! Ich heiße Tritil.« Dann trippelte es davon und verschwand.

Der Häuslerssohn ging weiter, bis er zu dem andern Hügel kam, da sagte er: »Hier haben meine Brüder gerastet; hier will ich das gleichfalls tun.« Er fing nun an zu essen, und wie er gerade dabei war, kam der winzig kleine Knirps zu ihm und bat ihn um einen Bissen. Der Häuslerssohn begrüßte ihn freundlich, hieß ihn, sich bei ihm niederzusetzen und mit ihm zu essen, soviel er wolle. Als sie fertig waren, sagte das Männlein: »Ruf mich, wenn du mal in Not bist! Ich heiße Litil.« Dann ging es davon und verschwand.

Nun setzte der Häuslerssohn seine Reise fort und kam auf die Waldlichtung. Da sagte er: »Hier haben meine Brüder gerastet; hier will ich das gleichfalls tun.« Er setzte sich nieder und fing an zu essen. Da kam eine überaus große Vogelschar zu ihm und gebärdete sich sehr hungrig. Er zerrieb etwas Brot mit der Hand und warf die Krümel unter die Vögel. Die pickten sie auf und aßen sie. Als sie damit fertig waren, sagte einer von den Vögeln: »Ruf du uns, wenn du einmal in Not bist, und nenne uns deine Vögel!« Dann flogen sie fort und verschwanden.

Der Häuslerssohn ging weiter, bis er endlich zu der Höhle kam, wie seine Brüder vorher. Er ging hinein, sah aber nichts Lebendes darin;



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wohl aber sah er die Leichen seiner Brüder, die hingen von der Decke herab, dicht am Eingang. Der Anblick dünkte ihm nicht gut, doch beschloß er, auf den Höhlenbewohner zu warten. Es dauerte nicht lange, bis die große Riesin kam, der die Höhle gehörte. Der Häuslerssohn bat sie, da bleiben zu dürfen. Sie sagte, das solle geschehen, wenn er das täte, was sie ihm sage. Er willigte ein und blieb die Nacht in der Höhle. Am Morgen befahl ihm die Riesin, die Höhle auszumisten und wenn er damit bis zum Abend, wo sie heimkäme, nicht fertig sei, so werde sie ihn töten. Dann ging sie fort.

Der Häuslerssohn nahm nun die Schaufel, um die Höhle auszumisten, aber als er sie einstieß, stak sie im Boden fest, daß er sie nicht mehr bewegen konnte. Da erkannte der Häuslerssohn sein böses Geschick und rief voller Angst: »Lieber Tritil, komm her!« Im selben Augenblick kam Tritil und fragte ihn, was er wolle. Er sagte ihm, wie es mit ihm stünde. Da sagte Tritil: »Hacke du Hacke und grabe du Spaten!« Da hackte die Hacke und grub der Spaten und in kurzer Zeit war die Höhle ausgemistet und blitzeblank. Dann ging Tritil fort. Als die Riesin am Abend heimkam und sah, wie es stand, sagte sie zu dem Häuslerssohn: »Du bist nicht allein im Spiele, Bursche, Bursche! Aber ich will's hingehen lassen!«

Dann schliefen sie in der Nacht, aber am Morgen befahl ihm die Riesin, ihr Bettzeug zu sommern, alle Federn aus den Kissen zu nehmen, sie zu sonnen und wieder hineinzutun. Aber wenn am Abend auch nur eine einzige Feder fehlte, so wolle sie ihn töten. Dann ging sie fort. Der Häuslerssohn breitete nun das Bettzeug aus. Es waren drei Kissen im Bette der Riesin, und da es windstill war und die Sonne schien, trennte er die Kissen auf und breitete die Federn aus. Aber auf einmal, als er es am wenigsten erwartete, erhob sich ein Wirbelwind, so groß, daß die Federn alle in der Luft herumwirbelten und auch nicht eine einzige zurückblieb. Da erkannte der Häuslerssohn sein Mißgeschick und in der Verzweiflung rief er laut: »Lieber Tritil, lieber Litil und ihr alle meine Vögel, kommt her!« Sogleich kamen Tritil und Litil und die ganze Vogelschar mitsamt allen Federn. Tritil und Litil halfen dem Häuslerssohn, die Federn in die Kissen zu füllen und sie wieder zuzunähen. Sie nahmen je eine Feder aus jedem Kissen, knüpften sie zusammen und sagten zu dem Häuslerssohn, wenn die Riesin diese vermißte, dann sollte er sie ihr in die Nase stecken. Dann machten sie sich davon: Tritil, Litil und die Vögel.



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Sogleich als die Riesin abends heimkam, warf sie sich auf ihr Bett, daß die ganze Höhle erbebte. Dann fuhr sie mit den Händen um die Kissen herum und sagte zu dem Häuslerssohn, sie würde ihn nun töten, denn es fehle eine Feder in jedem Kissen. Da zog er die Federn aus seiner Tasche, steckte sie ihr in die Nase und sagte, da habe sie ihre Federn. Die Riesin war's zufrieden und sagte: »Du bist nicht allein im Spiele, Bursche, Bursche! Aber ich will's hingehen lassen!«

Es verging nun auch diese Nacht, und der Häuslerssohn war bei der Riesin in der Höhle. Am Morgen sagte sie zu ihm, daß er heute einen ihrer Ochsen zu schlachten habe, sein Eingeweide zu kochen, die Haut zu scheren, aus den Hörnern Löffel zu schnitzen und mit dem allen bis zum Abend fertig zu sein. Sie habe fünfzig Ochsen, sagte sie; einen von diesen wolle sie schlachten lassen, aber er müsse selber erraten, welchen sie meine. »Wenn du bis zum Abend fertig wirst«, sagte sie, »dann kannst du morgen fahren, wohin du willst, und dir außerdem drei Dinge aus meinem Besitz zur Belohnung aussuchen, welche du willst. Wenn du aber nicht fertig wirst, oder den falschen Ochsen schlachtest, dann töte ich dich!«Dann ging die Riesin fort, wie sie es gewöhnt war.

Nun stand der Häuslerssohn verlegen und ratlos da, dann rief er: »Lieber Tritil, lieber Litil, kommt nun alle beide!« Schon sieht er sie auch beide kommen und einen ungeheuer großen Ochsen mit sich führen. Den schlachten sie nun sogleich. Dann kocht der Häuslerssohn die Eingeweide, Tritil saß nieder und schor die Haut, aber Litil schnitzte Löffel aus den Hörnern. Es ging alles flott vorwärts und war fertig zur rechten Zeit. Der Häuslerssohn erzählte den beiden Alten, was ihm die Riesin versprochen hatte, wenn er mit der Arbeit bis zum Abend fertig werde. Da rieten sie ihm, er solle sich das wählen, was sich über dem Bette der Riesin befinde, sodann das Kistchen, das neben ihrem Bette stehe, und schließlich das, was unter den Höhlenwänden wäre. Der Häuslerssohn versprach das auch. Die beiden Alten gingen weg, und er grüßte sie freundlich.

Am Abend kam die Riesin heim, sah, daß er alles fertig hatte und sagte: »Du bist nicht allein im Spiele, Bursche, Bursche! Aber ich will es hingehen lassen!« Dann schliefen sie in der Nacht.

Am Morgen hieß sie ihn, sich nun den Lohn zu wählen, den sie ihm versprochen hatte; und es stehe ihm nun frei, zu fahren, wohin er wolle. »Dann wähle ich, was über deinem Bette ist«, sagte er, »ferner das Kistchen neben deinem Bette und schließlich das, was unter den Höhlen-



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wänden ist.« —»Du bist nicht allein im Spiele, Bursche, Bursche!« sagte die Alte, »aber ich will es hingehen lassen!« Dann gab sie ihm seinen Lohn. Aber was über dem Bette war, das war die verschwundene Königstochter; das Kistchen am Bett war eine ungeheuer große Kiste voll von Gold und Kleinodien, und das, was unter den Höhlenwänden war, war ein seetüchtiges Schiff mit Rahen und Segeln, und das fuhr von selbst, wohin man wollte. Als ihm die Riesin seinen Lohn gegeben hatte, verabschiedete sie sich von ihm und sagte, er werde der allerglücklichste Mann werden. Dann ging sie fort, wie sie es gewöhnt war. Der Häuslerssohn brachte die Kiste aufs Schiff und stieg selbst mit der Königstochter hinein. Dann zog er die Segel auf und segelte heim in das Reich des Königs, des Vaters der Jungfrau. Er brachte ihm seine Tochter und erzählte ihm alles, wie es gegangen war. Der König wunderte sich sehr über die Abenteuer des Häuslerssohnes und freute sich natürlich auch, daß er seine Tochter wiederhatte. Er ließ für sie und ihren Befreier ein großes Freudenmahl bereiten, und dies endete mit der Hochzeit der Königstochter und des Häuslerssohnes. Der Häuslerssohn wurde zuerst der Landbeschützer und Minister des Königs, und nach dem Tode seines Schwiegervaters erbte er das ganze Königreich und regierte darinnen lang und gut bis an sein Lebensende.


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