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Isländische Märchen


Illustrationen von Angelika Winkler

Märchen europäischer Völker


Der Erntekenecht

Einmal zog ein junger Mann von den Südlanden nach dem Nordland, um bei der Erntearbeit zu helfen. Plötzlich überfiel ihn dichter Nebel und er verirrte sich. Große Kälte trat ein, und es fing an zu schneien, so daß der Mann nicht weiter konnte und sich ein Zelt aufschlug. Als er eben von seinem Reisevorrat zu essen begann, kam ein verwahrloster, verhungerter, roter Hund in sein Zelt. Der Südländer war erstaunt, plötzlich so unerwartet einen Hund zu sehen an einem Ort, wo er gar nicht erwartet hatte, ein Tier zu Gesicht zu bekommen.

Der Hund war so häßlich und merkwürdig, daß ihm etwas bange wurde, aber trotzdem gab er ihm soviel zu fressen, wie er wollte. Der Hund fraß gierig und lief dann hinaus in Nacht und Nebel. Als der Südländer gegessen hatte, legte er sich schlafen.

Er träumte, eine Frau komme zu ihm ins Zelt und sagte, sie danke ihm



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ihrer Tochter wegen und belohne ihn für seine Freundlichkeit und Freigebigkeit mit einer alten Sense, die gleich gut schneide, wohin sie auch immer treffe; aber er dürfe sie nie im Feuer glühen, sondern nur an einem Stein wetzen.

Als er aufwachte, stand die Sonne hoch am Himmel und der Nebel war verschwunden. Er packte nun alles zusammen, aber als er seinen Sattel aufhob, auf dem er geschlafen hatte, fand er darunter eine halb abgenutzte Sense mit Rostflecken. Da besann er sich auf seinen Traum, verwahrte die Sense gut und zog weiter. Alles ging gut, er fand den Weg bald und ging nun bewohnten Gegenden zu.

Als er aber nach dem Nordland kam, da hatten schon alle ihre Ernteleute gedungen.

Da hörte er von einer Frau, die noch keinen Ernteknecht angenommen hatte. Sie war reich und nahm gewöhnlich keine Ernteleute. Sie begann in der Regel ihr Heu ein oder zwei Wochen nach den andern zu mähen und war doch meist ebenso schnell fertig wie die übrigen mit ihrem Heimacker. Wenn sie aber wirklich mal einen Knecht in Dienst genommen hatte, dann behielt sie ihn nie länger als eine Woche und gab ihm keinen Lohn.

Man erzählte ihm von der Frau, wie sie war, und weil er nirgends anderswo Arbeit finden konnte, ging er hin und bot sich an, ihr das Heu zu mähen. Sie war freundlich zu ihm und sagte, er möge für eine Woche dableiben. »Aber Lohn gebe ich dir nicht«, sagte sie, »es müßte denn sein, du hast soviel Heu gemäht, daß ich's am Sonnabend nicht alle zusammenharken kann.«Das erschien ihm eine ganz gute Vereinbarung, und er machte sich an die Arbeit.

Er nahm nun die Sense, die ihm die Huldrenfrau geschenkt hatte, und fand, sie schnitt gut. Er brauchte sie nie zu schärfen, und so mähte er ununterbrochen fünf Tage lang. Es gefiel ihm, und die Frau war gut zu ihm. Einmal kam er in die Schmiede und sah dort eine ungezählte Menge Sensenschäfte, Harken und Sensen. Er wunderte sich und fand, die Frau habe nicht gerade Mangel an Erntegerät.

Als er sich am Freitag zu Bett gelegt hatte, träumte ihm, die Huldrenfrau komme wieder zu ihm und sage: »Viel Heu hast du schon gemäht, aber deine Herrin wird nicht viel Zeit brauchen, um es zusammenzuharken, und dann jagt sie dich fort, wenn sie dich morgen überholt. Darum geh in die Schmiede, wenn du denkst, daß das Heu, was du gemäht hast, nicht ausreicht, und nimm soviele Sensenschäfte, wie du für



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gut hältst, befestige Sensen daran, trage sie aufs Feld und sieh zu, wie es dann geht.«

Dann ging die Huldrenfrau fort, der Ernteknecht wachte auf und fing an zu mähen. Am Morgen kam die Herrin hinaus mit fünf Harken. Sie sagte: »Viel Heu hast du gemäht, viel mehr, als ich geglaubt hätte.«

Dann legte sie die Harken hier und dort auf die Wiese und fing selbst an zu barken. Da sah der Ernteknecht, daß sie viel Heu zusammenharken konnte, und die andern Harken brachten nicht weniger zusammen, obwohl er keinen Menschen bei ihnen sah.

Als die Mittagszeit näher rückte und er sah, daß das gern ähte Heu nicht ausreichen würde, ging er in die Schmiede, holte einige Sensenschäfte und befestigte Sensen daran. Dann ging er wieder hinaus und verteilte diese Sensen auf der ungemähten Wiese. Sie alle fingen an zu mähen, und augenblicklich wurde der Fleck größer. Das ging nun den ganzen Tag so und das gemähte Heu reichte aus. Am Abend aber ging die Frau nach Hause und nahm ihre Harken mit. Sie bat den Ernteknecht, er möge mitkommen, und sagte, sie sei zufrieden mit ihm und er könne nun bei ihr bleiben, solange er wolle.

Erblich und sie kamen gut miteinander aus. Sie ernteten viel Heu, und nach der Ernte gab sie ihm einen sehr großen Lohn. Damit zog er nach dem Südlande. Im nächsten Sommer, und immer zur Erntezeit, nahm er Dienst bei ihr. Dann übernahm er selbst einen Hof auf dem Südlande und war ein tüchtiger Mann, geschickt zu allem, und ein flinker Seemann dazu. Sein Heu mähte er immer allein und nahm dazu nie eine andere Sense als die, welche ihm die Huldrenfrau geschenkt hatte, und trotzdem wurde er mit seinem Heimacker geradeso schnell fertig wie andere Leute.

An einem Sommertag ruderte er zum Fischen hinaus, da kam sein Nachbar zu seiner Frau wegen einer Sense, denn seine Sense hätte er zerbrochen und wisse sich nun nicht zu helfen. Da suchte die Frau nach und fand keine andere als nur die gute alte Sense. Die gab sie dem Bauern, sagte aber, er dürfe sie nicht im Feuer glühen. Das versprach er auch und ging heim.

Er konnte aber keinen einzigen Strohhalm schneiden mit der Sense. Da wurde er böse und fing an, sie zu wetzen, und als auch das nichts half, ging er in die Schmiede. Dort fing er an, sie zu hämmern, und wollte sie auch im Feuer glühen.

Aber sowie sie ins Feuer kam, schmolz sie wie Wachs und wurde zu



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lauter Eisenschlacke. Da ging er zur Frau und erzählte ihr das. Nun geriet sie in Angst vor ihrem Mann, weil sie wußte, daß er sehr zornig sein würde. Und das war er auch, aber man hörte nicht, daß er sich sehr lange darüber geärgert hätte. Er gab seiner Frau eine Tracht Prügel und das war das erste und letzte Mal, daß sie welche bekam.


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