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Isländische Märchen


Illustrationen von Angelika Winkler

Märchen europäischer Völker


Der Bräutigam und der Wiedergänger

Auf dem Kirchhofe zu Reykholar waren einmal vier Männer dabei, für eine Leiche ein Grab zu graben, lauter lustige Gesellen, namentlich einer war besonders übermütig und jung. Wie sie tiefer kamen, stießen sie auf Menschenknochen, besonders ein ungeheuer großes Oberschenkelbein kam zum Vorschein. Der Übermütige nahm ihn auf, besah ihn sich von allen Seiten, stellte ihn neben sich zum Vergleiche, wobei ihm der Knochen von unten bis zur Hüfte gereicht haben soll, obwohl er auch nicht gerade klein war, und sagte zum Spaß: »Das muß ein verdammt kräftiger Bursche im Ringen gewesen sein, den möcht ich zum Jux zu meiner eigenen Hochzeit einladen!« Die andern stimmten zu, verhielten sich aber stiller, und der Knochen kam wieder zu den übrigen.

Fünf Jahre später nahm der junge Mann eine Braut, und schon hatte das zweite Aufgebot stattgefunden. Da träumte der Braut drei Nächte hintereinander, wie ein ungeheuer großer Mann an ihr Bett käme und



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sie fragte, ob ihr Bräutigam wohl daran gedenke, was er ihm vor einigen Jahren im Übermut zugesagt hätte, und in der dritten Nacht fügte er hinzu, er würde ganz sicherlich bei der Hochzeit als Tischgast erscheinen. Das Mädchen entsetzte sich darüber, sagte ihrem Bräutigam aber erst nach dem drittenmal etwas davon, indem sie fragte: »Wen hast du denn eigentlich vor, zu unserer Hochzeit einzuladen, Lieber?« — »Ich weiß es noch gar nicht, Liebe«, sagte er, »ich wollte noch erst das dritte Aufgebot abwarten.« —»Du hast also noch gar niemanden eingeladen?« fragte sie. Es kam ihm sonderbar vor, daß sie ihn so eindringlich fragte. Er begann nachzudenken, und schließlich sagte er: er müsse zugeben, daß er vor einigen Jahren zu dem Schenkeiknochen eines Toten gesagt habe, er möchte einen so großen Mann zum Jux zur eigenen Hochzeit einladen. Aber das könne man doch eigentlich keine Einladung nennen. Der Braut wurde ziemlich ernst zumute dabei, und sie sagte, mit Totengebeinen treibe man keinen Spaß. »Und das kann ich dir nun sagen, daß der Mann, den du so geneckt hast, ernstlich daran denkt, zu unserer Hochzeit zu kommen.«Sie erzählte ihm nun ihre Träume. Der Bräutigam erschrak nicht wenig darüber und meinte auch, der Spaß wäre wohl besser unterblieben.

Als er abends wie gewöhnlich schlafen ging, erschien ihm in der Nacht ein ungeheurer Mann, groß wie ein Riese, bösen Angesichts, und fragte ihn, ob er's nun wahr haben wolle, daß er bei der Hochzeit sein Tischgast sei.

Der Bräutigam erschrak und sagte, dabei müsse es nun wohl bleiben. Jener erwiderte, daß es in der Tat unabänderlich sei, wie es ihm auch behage; er habe es gar nicht nötig gehabt, sich mit seinen Knochen zu befassen und nun möge er merken, was es mit solchen Dingen auf sich habe. Dann verschwand der Wiedergänger, und der Bräutigam erzählte am Morgen den Traum seiner Braut. Sie sagte, er möge sich Bauholz und Zimmerleute nehmen und möge schnellstens ein Haus bauen lassen, groß genug für den Mann zum Aufrechtstehen. Jede Wand sollte genauso lang wie hoch sein. Teppiche möge er darin aufhängen lassen wie gewöhnlich in einem Hochzeitssaal. Den Tisch dieses Geistes solle er mit einem weißen Tuch decken, eine Schüssel mit geweihter Erde und eine Flasche mit Wasser darauf setzen, denn andere Speisen würde jener nicht nehmen; neben dem Tisch müsse ein Stuhl stehen, und auch ein Bett müsse da sein, damit er ruhen könne, wenn er wolle; drei Kerzen müßten auf dem Tische stehen. Er selbst müsse den Gast zu dem



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Hause begleiten, dürfe aber nicht vor ihm hergehen oder mit ihm unter dasselbe Dach kommen. Auch solle er keinerlei Einladung von ihm annehmen und möglichst wenig mit ihm reden. Das Haus müsse er verschließen und fortgehen, sobald er ihm angeboten habe, was auf dem Tisch stehe. —Und der Bräutigam tat in allem genau, wie die Braut ihm geraten hatte.

Als der Hochzeitstag kam, wurde die Trauung auf die übliche Weise vollzogen. Dann setzte man sich zu Tische, und als es dunkel geworden war, stand man wieder vom Tische auf, ohne daß etwas Besonderes geschehen wäre. Die einen Gäste gingen im Hochzeitssaal auf und ab, die andern saßen beim Trunk und unterhielten einander. Das Brautpaar war nach der Sitte noch ruhig sitzengeblieben. Da pochten starke Schläge an die Tür. Keiner hatte besondere Eile aufzumachen; die Braut stieß den Bräutigam leise an, der aber war leichenblaß geworden. Als so eine kleine Weile vergangen war, wurde noch heftiger gepocht. Da nahm die Braut den jungen Ehemann bei der Hand, führte den Widerstrebenden zur Tür und öffnete. Da stand ein ungeheuer großer Mann vor ihnen und sagte, er sei jetzt als Hochzeitsgast gekommen. Da schob die Braut ihren Bräutigam aus dem Hause hinaus, damit er den Gast empfinge, schloß die Türe hinter ihm und bat Gott, ihn zu stärken.

Nun begab sich der Bräutigam mit dem Manne zu jenem Hause und wies ihn hinein. Jener wollte, er solle vorangehen; aber er weigerte sich. Schließlich ging der Fremde voran, sagte aber dabei, der Bräutigam möge sich von nun ab hüten, sich jemals wieder mit den Knochen eines Toten einzulassen. Der Bräutigam tat, als höre er das nicht, und bat ihn, sich an den aufgetischten Speisen gütlich zu tun und zu entschuldigen, daß er nicht bei ihm bleiben könne. Der Fremde bat den Bräutigam, doch einen Augenblick hereinzukommen; aber das verweigerte dieser wieder. Da sagte der Wiedergänger: »Da du nun diesmal nicht bei mir bleiben oder zu mir hereinkommen kannst, so hoffe ich, du wirst mir dafür den Gefallen erweisen, einer Einladung zu mir Folge zu leisten.«

Aber der Bräutigam lehnte auch dies auf das entschiedenste ab und warf die Tür ins Schloß. Dann ging er zum Hochzeitsmahl zurück, wo es ganz still und den Gästen sehr bange geworden war. Nur die Braut saß heiter da. Dann verabschiedeten sich die Gäste allmählich, und das Ehepaar ging zu Bett und schlief bis zum Morgen.

Am Morgen wollte der Mann nach dem späten Gast sehen, aber die



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junge Frau ließ ihn keinen Schritt dorthin alleine tun. Sie ging vielmehr voran und schloß auf; da war der Gast verschwunden, das Wasser war ausgetrunken, die Erde von der Schüssel aber über den ganzen Boden verstreut. »Das habe ich geahnt«, sagte die junge Frau, »wärest du vor mir hineingegangen und hättest auch nur mit einem Fuße auf diese Erde getreten, so wärest du dadurch in die Gewalt des Wiedergängers geraten und hättest nie mehr zu den Menschen zurückkehren können. Mir aber schadet es nichts, wenn ich hineingehe; ich will nun das Haus auskehren und reinigen.«

Andere wieder erzählen, daß der Wiedergänger, als er sich davon gemacht habe, am Hochzeitshaus oder an der Schlafkammer gesprochen habe:

»Meinen Dank verdient ihr nicht
Für das Hochzeitsfestgericht:
Erde nur und Wasser blank,
Dafür gibt es keinen Dank.«


***
Seitdem ist der Wiedergänger nicht mehr erschienen; und die Eheleute lebten in Glück und Liebe beisammen.

Copyright: arpa, 2015.

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