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Isländische Märchen


Illustrationen von Angelika Winkler

Märchen europäischer Völker


Der Königssohn Ring und der Hund Snati-Snati

Es war einmal ein König und eine Königin, die hatten eine Tochter mit Namen Ingeborg und einen Sohn, der hieß Ring; er war weniger mutig, als es sonst bei großen Herren üblich war, auch hatte er kein Verständnis für tüchtige Künste und Geschicklichkeiten. Als er zwölf Jahre alt war, ritt er mit seinen Leuten an einem schönen Tage in den Wald, um sich zu vergnügen. Sie waren schon lange unterwegs, als sie eine Hindin erblickten mit einem Goldring um das Geweih. Der Königssohn wollte sie haben, wenn es irgendwie möglich wäre. Sie jagten und ritten so



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lange hinter ihr her, bis alle ihre Pferde totgeritten waren und zum Schluß auch das Pferd des Königssohns zusammenbrach.

Da kam ein dichter Nebel und sie konnten die Hindin nicht mehr sehen. Sie waren weit abgekommen von jeder menschlichen Behausung und wollten nun zusehen, daß sie wieder heimkamen -aber sie hatten sich verirrt. Sie gingen zunächst alle miteinander, bis sie uneins wurden und ein jeder den Weg ging, den er für richtig befand. Sie trennten sich und jeder zog seine Straße fürbaß.

Als nun der Königssohn da und dort herumirrte und nicht aus noch ein wußte, kam er nicht weit vom Meer zu einem freien Platz im Walde. Da sah er eine Frau auf einem Stuhle sitzen mit einem großen Faß vor sich. Der Königssohn begrüßte die Frau höflich, ging auf sie zu und auch sie erwiderte seinen Gruß freundlich. Da sah er in das Faß und erblickte auf dem Boden des Fasses einen überaus schönen Goldring, ihn überkam eine heftige Lust, den zu besitzen. Das sah die Frau und sagte, sie merke wohl, daß sein Sinn nach dem Ringe stehe. Er sagte, so sei es auch. Er könne ihn bekommen, sagte sie, wenn er ihn aus dem Fasse heraushole. Er dankte und sagte, das Herausholen sei das wenigste; er beugte sich auch gleich über das Faß, das ihm gar nicht tief vorkam. Er wollte den Ring schnell fassen, aber das Faß wurde immer tiefer, je mehr er sich ausstreckte. Als er halb überm Rande des Fasses hing, stand die Frau auf, stieß ihn kopfüber in das Faß hinein und sagte, hier drinnen möge er nun als Gast weilen. Dann verschloß sie das Faß und wälzte es ins Meer hinaus.

Dem Königssohn kam das wenig behaglich vor. Er merkte wohl, daß das Faß vom Land wegkam und von den Wogen getrieben wurde; er wußte nicht, wie viele Tage lang das dauerte, bis er endlich merkte, daß es gegen einen Felsen stieß. Der Königssohn war voller Freude darüber, denn er war der festen Hoffnung, daß er nun an Land und nicht auf eine Klippe gestoßen sei. Er kam auf den guten Gedanken, den Versuch zu machen, ob er nicht den Boden des Fasses austreten könne, denn er verstand sich aufs Schwimmen. Er entschloß sich auch dazu, obwohl er befürchten mußte, auf diesem Wege nicht an Land zu kommen; da aber flache und niedrige Felsen ins Meer hingen, so ging es doch, und es glückte ihm auch, hinüberzukommen. Hier waren nun hohe Berge, und wollte er etwas ins Land hineinkommen, so kam ihm das schwierig vor; trotzdem ging er eine Weile am Fuße der Berge dahin und begann dann hinaufzuklettern, was ihm auch gelang. Als er oben



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war, schaute er sich um und sah, daß er auf eine Insel geraten war. Sie war mit Wald bewachsen und fruchtbar. Er sah da gute Äpfel zum Essen wachsen; und es kam ihm da vergnüglich vor, wohin er gekommen war.

Als er einige Tage dort gewesen war, hörte er auf einmal ein starkes Dröhnen im Walde; er erschrak so furchtbar, daß er in den Wald lief und sich verstecken wollte. Da sah er einen Riesen auf großem Schlitten daherkommen und auf ihn zusteuern. Da wußte er sich keinen andern Rat, als sich dort niederzuwerfen, wo er gerade stand. Als der Riese ihn fand, blieb er eine Weile stillstehen und sah ihn an, dann nahm er ihn in seine Arme, trug ihn zu sich heim und war ungewöhnlich gut zu ihm; dann gab er ihn seiner Frau, die krank und bettlägerig war.

Er sagte, er habe dieses Kind hier im Walde gefunden, sie dürfe es nun eine ganze Woche lang um sich haben. Der Frau kam dies vor wie ein schöner erfüllter Wunsch, sie streichelte den Königssohn und sprach freundlich mit ihm. Er blieb bei ihnen, war willig und fügsam in allem, was sie von ihm verlangten, und darum waren sie von Tag zu Tag lieber zu ihm.

Eines Tages zeigte ihm der Riese alle seine Räume, nur nicht den Wohn- und Küchenraum; da wurde der Königssohn neugierig, auch in diesen Raum zu sehen, weil er dachte, dort seien große Kostbarkeiten verborgen. Als einmal der Riese im Walde war, versuchte er in den Raum zu kommen, bekam aber die Türe nur halb auf; er sah, daß etwas Lebendiges sich schüttelte, im Zimmer hin und her lief und etwas sagte; der Königssohn jagte rückwärts zur Tür hinaus, schlug sie zu, und vor Angst wurden seine Hosen naß. Als dann die Angst von ihm gewichen war, unternahm er's noch einmal, denn er wollte doch gerne hören, was es sagte, aber es kam wieder so wie beim erstenmal. Nun war er ärgerlich auf sich selbst und wollte sich zusammennehmen, so gut er konnte. Er versuchte es zum drittenmal, schloß das Zimmer auf und brachte es fertig, stehenzubleiben; da sah er, daß es ein zottiger Hund war, der zu ihm gesprochen hatte, und sagte: »Wähle du mich, Königssohn Ring!« Er machte sich schnell wieder davon, war ganz erschreckt und dachte bei sich: »Das ist kein kostbares Kleinod«, aber die Worte, die er in dem Raume gehört hatte, blieben ihm trotzdem im Gedächtnis.

Es wird nicht erzählt, wie lange er noch beim Riesen war, aber einmal kam der Riese zu ihm und sagte, er wolle ihn von der Insel aufs Land bringen, denn er werde dort nicht mehr lange zu leben haben; er dankte



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dem Königssohn auch für seine guten Dienste und sagte, er möge sich etwas von seinem Eigentum auswählen und solle sofort bekommen, was er gern haben möchte. Ring dankte ihm herzlich und sagte, sein Dienst sei keines Lohnes wert, aber wenn er ihm unbedingt etwas geben wolle, so wähle er für sich das, was im Wohn- und Küchenraum sei. Da war der Riese traurig und sagte: »Da wählst du die rechte Hand meiner alten Frau, aber ich mag dennoch mein Wort nicht brechen.«

Dann ging er und holte den Hund. Als der Hund mit großer Freude und gewaltigen Sprüngen herzukam, bekam der Königssohn einen solchen Schreck, daß er kaum wieder Mut fassen und sich davon erholen konnte. Dann ging der Riese mit ihm zum Meer hinab; da sah er ein Steinboot, das kaum so groß war, um sie beide samt dem Hunde aufzunehmen. Als sie ans Land kamen, sprach der Riese freundlich mit Ring und sagte, es solle ihm alles gehören, was auf der Insel sei, als Erbe, und er solle sich's im Verlauf eines halben Monats holen, denn da seien sie beide, er und seine Frau, tot. Der Königssohn dankte ihm herzlich für dies und alles andere. Der Riese fuhr nun wieder heim, und der Königssohn ging landeinwärts. Er wußte nicht, was das für ein Land war, und wagte es auch nicht, den Hund anzureden.

Als sie eine Weile schweigend dahingegangen waren, sprach der Hund zu ihm und sagte: »Du scheinst nicht neugierig zu sein, da du mich nicht nach meinem Namen fragst.« Der Königssohn sagte: »Wie heißt du denn?« Der Hund sagte: »Am besten nennst du mich Snati-Snati. Und nun kommen wir in ein Königreich und den König dort sollst du bitten, daß er dich den Winter über da bleiben läßt und dir ein kleines Zimmer gebe für uns beide.«

Dem Königssohn schwand nun die Angst vor dem Hund ein wenig. Er kam in das Königreich, bat den König, bei ihm bleiben zu dürfen den Winter über, und der König erlaubte es ihm gern. Als die Leute des Königs den Hund sahen, fingen sie an zu lachen und den Hund zu hänseln. Als der Königssohn das sah, sagte er: »Ich rate euch, meinen Hund nicht zu reizen, sonst könnte es euch schlecht bekommen.« Sie machten sich über die beiden lustig. Ring blieb nun beim König, und sein Rat wurde beachtet. Als er schon einige Zeit dort war, schien es dem König zu gefallen, daß er gekommen sei, und er zeichnete ihn vor den andern aus.

Ein Ratgeber des Königs hieß Raud. Als er sah, daß der König den Ring andern vorzog, packte ihn der Neid.



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Eines Tages sprach Raud mit dem König und sagte, er verstehe nicht, was die Freundlichkeit bedeuten solle, die er jenem Manne, dem Fremdling, erweise, er habe sich doch durch keinerlei Kunst und Fertigkeit vor den andern hervorgetan. Der König meinte, er sei ja auch noch gar nicht lange da. Raud machte nun den Vorschlag, er solle sie beide am andern Morgen in den Wald schicken und Bäume fällen heißen und da werde es sich zeigen, wer von den beiden der Tüchtigere sei. Dies hörte Snati-Snati und erzählte es dem Ring; dann riet er ihm, den König um zwei Äxte zu bitten, damit er bei sich die andere habe für den Fall, daß die eine entzweigehe.

Am andern Morgen schickte der König Ring und Raud in den Wald zum Bäumefällen. Sie waren beide einverstanden. Ring bekam zwei Äxte, und dann ging jeder seines Wegs. Als Ring in den Wald gekommen war, nahm Snati eine Axt und fing an, mit dem Königssohn Bäume zufällen. Am Abend kam der König, um sich das Tagewerk der beiden anzusehen, wie Raud es auch vorgeschlagen hatte; da war Rings Holzhaufen mehr als halbmal so hoch. Der König sagte: »Es war mir doch so, als sei Ring nicht gerade ein Schwächung. Ich habe noch nie eine solche Leistung an einem Tage gesehen.«

Ring genoß nun noch immer höheres Ansehen beim König als zuvor, aber Raud konnte das nur widerwillig mit ansehen. Eines Tages ging er denn auch wieder zum König und sagte: »Da Ring ein solcher Held ist, so bitte ihn doch, die Opferstiere draußen im Walde zu töten, sie abzuziehen und dir am Abend Hörner und Haut zu bringen.« Der König sagte: »Dünkt dir das nicht ein gefährlicher Auftrag? Das bedeutet den Verlust dieses Mannes, denn noch keiner kam wieder, der es wagte, auf die Stiere loszugehen.« Raud aber sagte: er habe nur einmal sein Leben zu verlieren und es sei doch eine Lust und Genugtuung, eine Mannesprobe zu machen, und der König habe dann hinterher desto mehr Ursache, ihn zu ehren, wenn er auch diese Heldentat vollbracht habe. Da ließ der König sich nun doch beschwatzen von Rauds beharrlichem Gerede, obwohl er's nur sehr ungern tat, und eines Tages bat er den Ring, für ihn die Stiere zu erschlagen im Walde und ihm am Abend Hörner und Haut herzubringen.

Ring wußte nicht, wie wild die Stiere waren, und wollte gern dem König zu Willen sein; er ging auch gleich hinaus in den Wald: Raud war froh, denn nun durfte er Ring bereits zu den Toten zählen. Als nun Ring den Stieren zu Gesicht kam, stürzten sie brüllend auf ihn



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los; der eine war mächtig groß, der andere kleiner. Ring geriet in furchtbare Angst und Snati sagte: »Wie gefällt dir das jetzt?« — »Schlecht«,, sagte der Königssohn. Snati sagte: »Es bleibt uns beiden nichts anderes übrig, als auf sie loszugehen, wenn es gut ausgehen soll, also geh du auf den kleineren los, ich auf den andern.« Zur selben Zeit lief Snati schon auf den mächtigen Bullen los, und es dauerte nicht lange, da hatte er ihn überwältigt. Der Königssohn ging schlotternd auf den kleineren Stier los, und als Snati kam, hatte der Stier auch schon den Ring zu Boden geworfen; da war er nun nicht faul und half seinem Herrn. Dann machten sie sich fix über ihre Stiere her, und als Snati schon fertig war mit dem großen Stier, hatte Ring dem kleinen Stier erst zur Hälfte die Haut abgezogen. Am Abend, als sie dann fertig waren, traute sich Ring nicht zu, alle die Hörner und beide Häute zu tragen. Snati sagte, er solle sie nur auf seinen Rücken werfen, er werde sie schon heimwärts bis zum Burgtor tragen. Der Königssohn nahm dies Anerbieten gerne an und überließ alles dem Hunde bis auf die Haut vom kleinen Stier; mit ihr schleppte er sich selber. Vor dem Burgtor ließ er alles zurück, ging zum König, bat ihn, mit ihm vors Tor zu gehen, und gab ihm Hörner und Häute von beiden Stieren.

Der König bewunderte aufs höchste seinen Heldenmut, sagte, es gebe nicht seinesgleichen und dankte ihm aufs innigste für seine Heldentat. Daraufhin ließ er ihn an seiner Seite sitzen. Es ehrten ihn alle sehr und hielten ihn alle für den größten Helden. Selbst Raud konnte nichts dagegen sagen, wälzte aber noch immer den Gedanken, ihn beiseite zu schaffen.

Und so kam ihm auch eines Tages ein guter Gedanke. Er ging zum König und sagte, er habe mit ihm etwas zu besprechen. Der König fragte, was das denn sei; da sagte er, der gute Goldmantel, das gute goldene Brettspiel und das gute leuchtende Gold seien ihm wieder eingefallen, die dem König doch vor Jahresfrist fortgekommen seien. Der König bat ihn, doch daran nicht zu erinnern, aber Raud fragte, ob ihm denn nicht derselbe Gedanke schon gekommen sei wie ihm. Der König fragte, was das denn für ein Gedanke sein solle. Raud sagte, man sehe, daß Ring ein ganz besonders großer Held sei, und er glaube, daß Ring alles fertigbringe; da sei ihm nun der Gedanke gekommen, dem König zu raten, er solle doch Ring bitten, ihm diese Kostbarkeiten zu suchen und sie ihm noch vor Weihnachten zu bringen; er solle ihm dafür auch seine Tochter versprechen. Der König aber sagte, es komme ihm recht



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unpassend vor, an Ring eine solche Bitte zu richten, da er ihm auch nicht einmal andeuten könne, wo die Dinge etwa sein könnten. Raud aber tat, als höre er alle Ausreden des Königs gar nicht, und beschwatzte ihn so lange, bis der König auf sein Gerede hörte.

Ein Monat vor Weihnachten war's gerade, da kam einmal der König mit Ring ins Gespräch und sagte, er habe eine gar große Bitte an ihn. Ring fragte, was es denn sei. Der König sagte: »Dies ist die Bitte, daß du den guten goldenen Mantel, das gute goldene Brettspiel und das gute leuchtende Gold wiederfinden möchtest, das mir vor Jahresfrist gestohlen worden ist, und wenn du mir das alles vor Weihnachten wiederbringst, will ich dir meine Tochter zur Frau geben.« Ring sagte: »Wo könnte ich am besten nach diesen Dingen suchen?« Der König sagte: »Das mußt du dir alleine sagen, denn ich weiß das nicht.«

Ring ging nun fort vom König und war schweigsam, denn es kam ihm vor, als sei er auf Schwierigkeiten gestoßen, und doch wäre es ihm herrlich vorgekommen, wenn er die Königstochter hätte gewinnen können. Snati sah, daß sein Herr ratlos war und sagte, er solle sich nicht grämen um die Bitte, die der König an ihn gerichtet habe, er möge nur auf ihn hören, sonst gehe es ihm ganz schlimm. Der Königssohn hörte darauf und fing an, sich zur Abfahrt zu rüsten. Dann ging er hinein zum König und sprach mit ihm. Als Ring sich vom König verabschiedet hatte, sagte Snati zu ihm: »Nun sollst du zunächst in der Umgegend herumfahren und soviel Salz holen, wie du bekommen kannst.« Der Königssohn tat dies auch und bekam soviel Salz, daß er's gar nicht tragen konnte. Snati sagte, er solle es nur ihm auf seinen Rücken laden. Das tat Ring auch. Nun war's nahe an Weihnachten. Der Hund rannte so lange immer vor dem Königssohne her, bis sie zu einem Berge kamen. »Hier geht's hinauf«, sagte Snati. »Das wird nicht leicht sein«, sagte der Königssohn. »Halte du dich an meinem Schwanze fest«, sagte Snati. Dann sprang Snati mit Ring am Schwanze auf die niedrigste Stelle, da wurde Ring schwindlig. Dann sprang Snati mit ihm auf eine höhere Stelle, da war Ring nahe daran, bewußtlos zu werden. Beim drittenmal sprang er mit ihm ganz hinauf auf den Berg; da war Ring völlig bewußtlos. Als er nach einer Weile wieder zu sich gekommen war, gingen sie eine Zeitlang auf ebenen Wegen, bis sie zu einer Höhle kamen. Es war dies am Weihnachtsabend. Sie gingen zur Höhle hinauf und fanden ein Fensterloch. Da hinein schauten sie und entdeckten vier Riesen, die am Feuer lagen und schliefen. Über dem Feuer hing ein großer Kessel mit



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Grütze. »Wirf nun alles Salz in den Grützetopf«, sagte Snati. Ring tat's und alsbald wachten die Riesen auf. Eine alte Riesin, die allerhäßlichste von ihnen, fing nun zuerst an, die Grütze zu kosten, und sagte: »Die Grütze ist ganz versalzen, wie kommt das nur? Ich zauberte gestern die Milch aus vier Königreichen herbei, damit wir Grütze zu schlecken hätten, und nun ist sie salzig.« Alle fingen an, sich hinter die Grütze zu machen, und sie schmeckte ihnen gut. Als sie fertig waren, bekam das Riesenweib einen solchen Durst, daß sie's nicht mehr aushalten konnte; sie bat ihre Tochter, ihr am Fluß Wasser zu holen, der ja nahe bei der Höhle vorbeifloß. »Ich gehe nicht«, sagte die Tochter, »wenn du mir nicht das schöne, glänzende Gold zum Spielen gibst.« — »Bevor ich umkomme, kriegst du's nicht.« — »Nun, dann komm eben um«, sagte das Riesenmädchen. »Da nimm's, du dummes Ding, und mach schnell mit dem Wasser.« Das Mädchen nahm das Gold und lief damit hinaus; da glänzte die ganze Ebene. Als sie zum Fluß kam, legte sie sich über das Wasser hin und fing an zu trinken. Da liefen Ring und Snati vom Fensterloch herab und stießen sie mit dem Kopf in den Fluß hinein. Der alten Riesin fing's nun an, unerträglich zu werden, daß das Mädchen mit dem Wasser zum Trinken solange nicht kam, und sie sagte: »Sicher hüpft sie mit dem Gold draußen herum.« Sie bat ihren Sohn um einen Schluck Wasser. »Ich hole keins«, sagte er, »wenn ich nicht den schönen Goldmantel kriege.« — »Bevor ich nicht umkomme, bekommst du ihn nicht.« — »Dann komm eben um«, gab er zur Antwort. »Dann nimm ihn, du häßlicher Sohn, geh und mach schnell mit dem Wasser«, sagte das alte Riesenweib. Er nahm nun den Mantel, und als er damit herauskam, leuchtete es so, daß er gut den Weg finden konnte. Er kam zum Fluß und fing an zu trinken, wie schon seine Schwester getan hatte. Da liefen Ring und Snati zu ihm hin, zogen ihm den Mantel aus und warfen ihn in den Fluß.

Das alte Riesenweib konnte es nun vor Durst nicht mehr aushalten und bat ihren Mann, ihr was zum Trinken zu holen; »sicher spielen die Kinder draußen, das ahnte ich gleich, als ich ihrem Betteln zum Unheil nachgab.« — »Ich gehe aber nicht«, sagte der alte Riese, »wenn du mir nicht das goldene Brettspiel gibst.« — »Eher sterb ich, als daß ich das tue«, sagte sie. »Nun, dann stirb, wenn du mir nicht diesen kleinen Wunsch erfüllen willst«, sagte der Riese. »Da nimm es, du Unmensch, du bist genauso einfältig wie die beiden Gören.«

Der Riese ging nun hinaus mit seinem Brettspiel, ging zum Fluß, wollte



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trinken, da kamen die beiden, nahmen ihm das Brettspiel weg und warfen ihn in den Fluß. Noch ehe sie wieder zur Höhle zurückgekommen waren, kam der tote Riese als Wiedergänger aus dem Wasser. Snati lief ihm sofort entgegen, Ring tat genauso, wenn auch der Mut ihm versagte, und nach schwerem Ringkampf besiegten sie ihn zum zweitenmal.

Als sie aber zum Fenster zurückkamen, sahen sie das alte Riesenweib gerade aus der Höhle herauskriechen. Da sagte Snati: »Nun bleibt uns nur übrig hineinzugehen und zu versuchen, mit ihr fertig zu werden; denn wenn sie erst draußen ist, dann können wir nicht Herr über sie werden. Sie ist das übelste Riesenweib, das es gibt, und kein Eisen beißt sie. Der eine von uns muß sie mit heißer Grütze aus dem Kessel begießen, der andere muß sie mit glühenden Eisen zwicken.«

Darauf gingen sie in die Höhle. Als das alte Weib Snati sah, sprach sie mit ihm und sagte: »Du bist hierhergekommen, Königssohn Ring, du hast wohl meinen Mann und meine Kinder gesehen.«

Snati merkte gleich, daß die Alte im Sinn hatte, einen Zauber auszusprechen, und ging mit glühendem Eisen auf sie los, Ring begoß sie dauernd mit der heißen Grütze und so brachten sie sie schließlich ums Leben. Dann verbrannten sie den Riesen und sie zu Asche, untersuchten die Höhle und fanden noch mancherlei Gold und Kostbares. Das Beste nahmen sie mit und gingen davon. Dann beeilten sie sich, mit den Kostbarkeiten zum König zu kommen.

Spät am Weihnachtsabend kam nun Ring in die Halle und gab dem König die drei Kostbarkeiten. Da war der König ganz außer sich vor Freude und höchst erstaunt, wie tüchtig Ring sich bei jeder Aufgabe erwies, wo es auf Stärke und Schlauheit ankam. Nun war er ihm nur noch freundlicher gesinnt als je zuvor, versprach ihm seine Tochter, und die Hochzeit sollte noch zur Festzeit gefeiert werden.

Ring dankte dem König in höfischer Weise für alles Gute, was er ihm erwiesen hatte, und nachdem er in der Halle gegessen und getrunken hatte, ging er in seine Stube, um sich schlafen zu legen. Da sagte Snati, er wolle ihn um die Erlaubnis bitten, heute nacht in seinem Bett schlafen zu dürfen, und er solle unten bleiben auf seinem Hundelager. Ring sagte, das tue er gern, und er dürfe wohl mehr von ihm verlangen als nur dies. Snati stieg nun ins Bett hinauf. Kurz danach kam er wieder herunter und sagte, der Königssohn möge nun hinaufsteigen, aber er solle daran denken, daß er sich im Bett nicht im geringsten bewegen



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dürfe. Nun erzählt das Märchen von Raud, daß er in die Halle kam und dem König seinen rechten Arm zeigte, an dem die Hand fehlte. Er sagte, der König solle nun selbst sehen, was sein Schwiegersohn für Gewohnheiten habe, dies habe er ihm angetan, und zwar ohne jeden triftigen Grund.

Da war der König sehr zornig und sagte, die Wahrheit müsse gleich herauskommen und wenn Ring ihm, ohne daß er etwas getan hätte, die Hand abgehauen habe, so solle er gehängt werden; wenn dem aber nicht so sei, dann müsse Raud sterben.

Der König rief Ring vor sich und fragte ihn, wie es komme, daß er dem Raud habe müssen die Hand abhauen, ob denn Raud nicht schuldlos gewesen sei. Snati hatte dem Ring erzählt, wer schuldig war, als es sich zutrug in der Nacht; er bat deshalb den König, mit ihm zu gehen und sagte, er wolle ihm ein Merkmal zeigen. Der König ging mit Ring in seine Schlafstube und sah da eine Männerhand im Bett liegen, die ein Schwert festhielt. Ring sagte, eben diese Hand sei zur Nacht durch die Wand gekommen und habe ihn im Bett ermorden wollen; da habe er sein Schwert gezogen und sich gewehrt. Der König sagte, ihn treffe keine Schuld, er habe sich nur seiner Haut gewehrt, aber Raud habe sich sein eigenes Grab gegraben und müsse sterben. Raud wurde gehängt, und Ring hielt Hochzeit mit der Königstochter.

In der ersten Nacht, als sie zusammen schliefen, bat Snati den Ring um die Erlaubnis, zu seinen Füßen liegen zu dürfen. Ring gewährte ihm gern diese Bitte. Nun ging das Brautpaar zu Bett, und Snati schlief zu ihren Füßen. In der Nacht hörte Ring ein furchtbares Geheul und Gelärme neben sich. Er machte schnell Licht und sah da eine ungewöhnlich häßliche Hundehaut auf der Diele liegen, aber im Bett lag ein schöner Königssohn. Er nahm die Haut und verbrannte sie. Den Königssohn, der bewußtlos dalag, brachte er mit Wasser zur Besinnung. Der Bräutigam fragte ihn dann, wie er heiße, und er sagte, er heiße Ring und sei ein Königssohn.

Er erzählte, er habe als kleines Kind seine Mutter verloren, und sein Vater habe eine Riesin geheiratet. Diese habe ihn verzaubert, daß er ein Hund werden und nie wieder von der Verzauberung loskommen solle, wenn nicht ein gleichnamiger Königssohn ihn in seiner Hochzeitsnacht zu seinen Füßen schlafen lasse.

Und so fuhr er fort: »Da sie wußte, daß ich an dir einen gleichnamigen Königssohn finden und durch dich erlöst werden könnte, wollte sie



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dich aus dem Wege schaffen. Sie war die Hindin, die du mit deinen Gefährten erjagen wolltest, sie war die Frau, die du an der Waldlichtung bei der Tonne sitzen sahst, und sie war auch das üble Riesenweib, das wir in der Höhle erschlagen haben.«

Als die Hochzeit vorüber war, fuhren die beiden Namensbrüder zum Berg und brachten alles Kostbare in die Königshalle. Dann fuhren sie auch zur Insel, wo Ring bei den guten Riesen geweilt hatte. Dort holten sie, was an Kostbarem vorhanden war.

Ring gab seinem Namensbruder, der nun von seinem Zauber erlöst war, seine Schwester Ingeborg zur Frau und sein Vatererbe als Regierungssitz. Er selbst blieb beim König, seinem Schwiegervater, und teilte sich mit ihm in das Königreich. Nach dem Tode des Königs regierte er allein.


Copyright: arpa, 2015.

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