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Isländische Märchen


Illustrationen von Angelika Winkler

Märchen europäischer Völker


Der Elbenkönig auf Selö

Eines Sommers konnten die Leute von Holmar, die zum Fischen auf Selö waren, nicht alle getrockneten Fische nach dem Festlande bringen, weil das Wetter zu schlecht wurde. Erst im Herbste wurde das Seewetter wieder gut, und sie holten den Rest. Dabei ging einer von ihnen, und zwar der Knecht des Pfarrers, nach der andern Seite der Insel, zu



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sehen, ob dort vielleicht etwas an den Strand gespült worden sei. Da schlug das Wetter wieder um, jene glaubten sehen zu müssen, daß sie heimkamen, und ließen den Mann zurück. Nasser Schnee fiel, der Mann ging zur Fischerhütte, hatte nichts zu essen, gab sein Leben verloren und kam aus der Hütte wieder heraus. Da sah er vor sich einen freundlichen Stern. Aber er sagte sich, ein Stern könne das bei diesem Schneewetter nicht sein, und er hielt es für ein erleuchtetes Fenster. Er lief hin und kam an ein Haus, so prächtig wie eine Königshalle. Da hörte er, wie drinnen jemand sagte: »Ja, denkt euch, ihr Mädchen, da ist jetzt der arme Kerl, den sie heute auf der Insel zurückgelassen haben, an unser Haus gekommen; geht, holt ihn herein!«

Da kam ein junges Mädchen heraus, führte ihn hinein und hieß ihn die Schneekleider ablegen. Sie gingen eine hohe Treppe hinauf in einen schönen gold- und edelsteingeschmückten Saal. Da saßen viele Frauen und eine war die schönste von allen. Er begrüßte sie höflich und sie antworteten freundlich. Dann führte ihn das schöne Mädchen in eine kleine prächtige Kammer, brachte ihm Wein und Speisen und ging wieder fort. Wo sein Schlaflager war, wird nicht erzählt. Am Morgen kam das Mädchen, sagte, sie könne ihm nicht selber Gesellschaft leisten, brachte ihm aber allerhand Dinge zum Zeitvertreib.

So verstrich der Winter bis Weihnachten. Am heiligen Abend kam das schöne Mädchen zu ihm und sagte, er möge ihr nun eine Bitte erfüllen, wenn er glaube, daß sie ihm je etwas Gutes erwiesen habe. Morgen werde Tanz sein, ihr Vater werde sie zum Zuschauen hinausrufen. Da dürfe er nicht neugierig sein und nicht zum Fenster hinaussehen, er würde drinnen Kurzweil genug haben. Das versprach er ihr auch. Und am Weihnachtsmorgen brachte sie ihm Speisen und Wein und allerhand Dinge zum Zeitvertreib und dann ging sie wieder.

Nun hörte er alsbald Gesang und Saitenspiel. Er dachte sich, das müsse ein großes Vergnügen sein, konnte nicht lange widerstehen, kletterte zum Fenster hinauf und sah hinaus. Eine große Menge Leute tanzten und spielten allerhand Saitenspiel. Mitten darin saß ein königlicher Mann mit einer Krone auf dem Kopf, rechts und links von ihm eine Frauengestalt. Er meinte, dies sei der König nebst Gemahlin und Tochter, und diese erkannte er gut. Dann verließ er das Fenster, der Tanz dauerte bis zur Nacht. Aber als das Mädchen am Abend zu ihm kam, war sie ungewöhnlich still, sagte, er habe sein Versprechen nicht gehalten, doch habe zum Glück ihr Vater nichts davon gemerkt.



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Nun ging es so bis Neujahr, und am Silvesterabend sagte sie ihm wieder, morgen gehe sie mit ihrem Vater zum Tanz und er sollte nun an sein Versprechen denken. Er versprach es ihr hoch und teuer, sie brachte ihm Wein und Speisen und allerhand Kurzweil und verließ ihn dann. Am Morgen begann ein noch größerer Festjubel als zu Weihnachten. Erst saß er lange Zeit ruhig da, aber dann konnte er nicht länger widerstehen und sah hinaus. Der Tanz war noch schöner und viele prächtige Ritter bewegten sich vor dem Königspaar. Dann verließ er das Fenster schnell und glaubte, es habe ihn niemand gesehen. Als die Königstochter aber am Abend kam, war sie sehr unwillig und machte ihm heftige Vorwürfe. Doch blieb sie so gut zu ihm wie zuvor.

So verstrich der Winter bis zum Osterfest. Am Ostersonnabend bat sie ihn freundlich, doch ja nicht neugierig zu sein, auch wenn die Freude draußen noch so groß wäre. Denn wenn ihr Vater merke, daß sie einen Mann bei sich habe, sei ihr Leben verloren. Am Ostermorgen brachte sie ihm wieder alles, was er sich nur wünschen konnte. Das Fest fing laut und fröhlich an wie früher. Schließlich wurde ihm die Einsamkeit langweilig und er ging in das nächste Zimmer. Wenn er dort hinausblickte, glaubte er, werde sie es nicht merken. Er sah schnell hinaus und sah dasselbe wie zu Neujahr. Dann hielt er sich in seiner Kammer, bis das Mädchen zu ihm kam. Sie aber war zornig und sagte, er hätte sie betrogen wie noch jedesmal. Wieviel ihr Vater wüßte, wisse sie nicht, aber schon sei er unfreundlicher gegen sie als sonst. »Ich dachte nicht, daß du so wenig treu sein könntest; aber du wirst es später in andern Dingen gewiß ebenfalls sein.«

Nun ging es auf den Sommer zu, und am letzten Winterabend kam sie zu ihm und sagte, morgen würden die Leute vom Festland kommen, um ihn zu holen, und deshalb solle er zu der Fischerhütte gehen. Und wenn er ihr ein wenig dankbar dafür sei, daß sie ihm das Leben im Winter gefristet habe, so wolle sie ihn nur um das eine bitten, daß er das Kind anerkenne, das sie jetzt von ihm unter dem Herzen trage. Sonst sei ihr Leben verloren und der König lasse sie töten, wenn sie dem Kinde keinen Vater geben könne; andernfalls würde er ihr das Leben schenken. Um nichts anderes und nur um dies eine bitte sie ihn, daß er doch hierin treu sein möge. Der Mann versprach es hoch und teuer, auch mache ihm dies ja nichts weiter aus.

Sie nahmen nun Abschied und er dankte ihr für alles und ging. Als er sich kurz danach umsah, war die Halle verschwunden. Nur steinige



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Hügel und Felsblöcke waren da und er ging nach der Fischerhütte. Es war gutes Wetter, und bald sah er ein Schiff kommen. Als die Leute gelandet waren, ging er ihnen entgegen. Sie fürchteten sich, wie sie ihn erblickten, denn er war dick und rund, und sie glaubten daher, daß es sein Gespenst sei, weil sie meinten, er sei im Winter gestorben. Sie wagten nicht mit ihm zu reden oder zu ihm zu gehen. Schließlich stieg der Vormann ans Land und fragte ihn, ob er ein lebendiger Mensch oder ein Wiedergänger sei oder ob er der Mann sei, den sie im Herbst auf der Insel zurückgelassen hätten. Er sagte, er sei der nämliche Mann. Ja, wieso er denn nicht verhungert sei? Nun, der Seetang von Selö sei auch nicht schlechter als die Wassergrütze von Holmar, sagte der Inselmann. Mehr wollte er nicht erzählen, ging an Bord, und sie ruderten heim. Alle verwunderten sich, daß er noch am Leben war, aber die Leute bekamen nichts aus ihm heraus.

Eines schönen Sonntags spät im Sommer waren viele Leute zur Kirche gekommen, und auch der Knecht war beim Gottesdienst. Aber wie sie alle in der Kirche beisammen waren, der Pfarrer mit der ganzen Gemeinde, stand plötzlich eine Kinderwiege vor dem Altar und eine goldgestickte Decke war über das Kind gebreitet. Kein Mensch war dabei zu sehen, nur eine schöne Frauenhand ruhte auf dem Wiegenrand. Darüber verwunderten sich alle und sahen einander an. Der Pfarrer aber ergriff das Wort und sagte, daß dies Kind getauft werden wolle, und es werde wohl irgend jemand hier in der Kirche sein, dem es zugehöre, und am ehesten würde wohl der Knecht das sein und ob man es ihm nicht von Selö jetzt hergeschickt habe? Der Knecht aber leugnete alles ab. Der Pfarrer wollte es trotzdem auf den Namen des Knechtes taufen, der aber wies das auf das entschiedenste von sich und sagte, er habe mit der Angelegenheit nichts zu tun. Der Pfarrer meinte, ohne irgendeine menschliche Hilfe könne er auf der Insel doch nicht überwintert haben. Der Knecht aber sagte, daß er das Kind nun und nimmer als das seinige anerkennen werde, und er verbot dem Pfarrer, es auf seinen Namen zu taufen.

Da verschwand die Wiege, ein lautes Weinen war vernehmbar, und man hörte, wie es sich aus der Kirche entfernte. Der Pfarrer und alle Leute gingen hinter dem Weinen her. Da hörten sie, wie es sich in der Richtung nach der See zu verlor. Die kostbare Decke aber lag auf dem Boden und war dann auf Holmar noch lange Zeit im Gebrauch.

Die Leute wunderten sich alle über den Vorfall, und am meisten war



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der Pfarrer davon bewegt. Der Knecht ist später in Schwermut verfallen. Und als ihn der Pfarrer nach der Ursache fragte, erzählte er ihm die ganze Geschichte, wie er den Winter über bei einem König und seiner Tochter geweilt und wie es ihn sein Leben lang gereuen würde, daß er das Kind nicht anerkannt habe. Der Knecht wurde niemals wieder derselbe wie früher und damit schließt die Geschichte vom Elbenkönig auf Selö.


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