Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

Isländische Märchen


Illustrationen von Angelika Winkler

Märchen europäischer Völker


Ingeborg und ihre gute Stiefmutter

Es war einmal ein König und eine Königin, die hatten keine Kinder und wünschten sich doch so sehr, Kinder zu haben. Da ging die Königin einmal spazieren, und es lag viel flockiger Schnee draußen. Sie blutete aus der Nase, und da wünschte sie sich ein Töchterlein, so rot wie Blut und so weiß wie Schnee. Beim König war ein Knecht mit Namen Surt. Er hörte, was die Königin gesagt hatte und legte ihrem Wunsch die Zauberworte bei: »und du sollst einen tödlichen Haß auf sie haben!« Die Zeit verstrich und es geschah nichts Besonderes. Bald aber merkte die Königin, daß sie mit einem Kinde ging. Als die Zeit der Geburt heranrückte, bat sie ihren Mann, ihr zu versprechen, das Kind zu beseitigen, sobald es geboren sei. »Deine Bitte soll dir nie erfüllt werden«, sagte der König. Die Königin gebar alsbald ein Kindlein, und es war ein bildschönes Mädchen und wurde Ingeborg genannt. Der König ließ ihr ein Frauenhaus bauen, gab ihr eine Pflegemutter, der er das Kind anvertraute. Das nun gefiel der Königin gar nicht. Das Mägdlein wuchs auf und ward so schön, daß die Leute nie etwas Schöneres gesehen hatten. Eines Tages wurde die Königin krank, und da sie an ihrem Aufkommen zweifelte, ließ sie ihre Tochter rufen und flüsterte ihr etwas ins Ohr, was keiner hören konnte. Danach starb die Königin, sie wurde im Hügel beigesetzt, und der König trauerte gar sehr um sie. Ingeborg aber ging in ihr Kämmerlein und weinte immerfort.

Nun erzählt das Märchen von einem Jan, der nicht weit von dem Königreich auf einer Insel wohnte. Er hatte eine Tochter, die hieß Hild. Der König warb um diese Jaristochter, bekam sie und feierte in seiner Halle ein schönes Hochzeitsfest, aber Ingeborg war nicht dabei. Sie saß in ihrem Kämmerlein und weinte.

Einmal ging die junge Königin zur Kammer Ingeborgs, klopfte an die Türe und bat sie aufzuschließen. Das tat diese auch. Die Königin bat sie, mit ihr hinaus in den Wald zu gehen. Ingeborg war nicht dafür, und erst nach langer Bedrängnis kam es so weit, daß sie beide in den Wald



Bd-06-074_Maerchen von Island Flip arpa

gingen. »Nun, bitte, sag' mir«, sagte die Königin, »was dir Kummer macht und dich so sehr bedrückt.« Ingeborg wollte es ihr durchaus nicht sagen, so oft auch die Königin danach fragte. Schließlich kamen sie zu einem großen Fluß, und da sagte die Königin: »Wenn du mir nicht sagst, warum du immerfort weinen mußt, dann werde ich dich in den Fluß stoßen.« Da war der Ingeborg doch ihr Leben lieber und sie erzählte, ihre Mutter habe sie dazu verflucht, daß sie im Hause ihres Vaters ein Kind bekommen, einen Mann töten und ihres Vaters Schloß verbrennen solle. »Das soll dir keinen Kummer mehr machen«, sagte die Königin, »ich werde dir aus dieser Not helfen. Sage dem Knecht Surt, du hättest eine schöne Pflanze auf der Meeresklippe gesehen und er möge sie dir holen. Wenn er so hoch auf die Klippe gekommen ist, daß er nicht weiter hinauf kann, dann laß das Seil los, so daß er ins Meer fällt.«

Ingeborg hörte auf den Rat und tötete so den Surt, dann ging sie heim. Als die Königin mit dem König ins Gespräch kam, sagte sie: »Du sitzest immer seelenruhig in deiner Burg, König, und gehst nie in den Wald spazieren, wie das andere Könige machen.« Der König sagte, er wolle gern in den Wald gehen, wenn sie das so wünsche, und ging auch mit all seinen Leuten eines Tages hinaus. Die Königin teilte dies der Ingeborg mit, ließ ihr helfen, alle Kostbarkeiten aus der Königshalle hinauszuschaffen und legte dann Feuer an die Burg. Dann gab sie der Ingeborg ein Knäuel. Das solle sie in den Wald hinausrollen lassen, es werde vor der Tür einer Hütte haltmachen. Wenn sie dahin komme, solle sie dafür sorgen, daß sie den Bewohner der Hütte eher sehe als er sie. »Aber wenn du von mir träumst, dann komme ganz schnell zu mir«, sagte die Königin. Nun ging Ingeborg in den Wald und kam schließlich zur Hütte, sie trat hinein und stellte sich hinter die Tür. Nach einer geraumen Weile kam ein großer Riese in die Hütte. Er trug einen Bären auf dem Rücken und warf ihn auf den Estrich. Da sah er Ingeborg, sie stand aber so, daß sie ihn zuerst gesehen hatte. Ingeborg bat den Riesen im Namen ihrer Stiefmutter, sie einige Nächte hierbleiben zu lassen. Er erlaubte es und sagte, sie solle nur weiter in die Hütte hereinkommen. Sie sah nun ein riesengroßes aufgedecktes Bett und ein kleines darunter, und dieses war kreisrund.

Der Riese fragte sie, ob sie lieber bei ihm oder bei seinem Hunde schlafen wolle. Sie wollte lieber beim Hunde schlafen und blieb nun dort einige Nächte in der Hütte. Eines Nachts wachte sie auf und hörte ein



Bd-06-075_Maerchen von Island Flip arpa



Bd-06-076_Maerchen von Island Flip arpa

heftiges Dröhnen, das war so schrecklich, daß man hätte denken können, die Erde springe auseinander. Dann sah sie ein großes Ungeheuer in Menschengestalt in die Hütte kommen; dieses hatte eine Haube aus Ochsenhaut, steckte in Hosen von Pferdehaut und hatte eine Weste an aus der Haut eines Eishaifisches. Sein Schädel war häßlich geformt, er hatte eine krumme und schiefe Nase, kohlpechrabenschwarzes Haar und ebensolche Haut. Der Rachen war ganz schief, und ein großer Zahn ragte daraus hervor. Ober dieses furchtbare Gesicht war Ingeborg so erschrocken, daß sie in das Bett des Riesen hineinsprang.

Dann träumte sie von der Königin und der Riese weckte sie; sie ging sofort aus der Hütte fort und eilte zur Königsburg hin. Als sie dahin kam, sah sie die Königin in einem seidenen Hemd auf einem Scheiterhaufen sitzen. Da sprang sie zum Scheiterhaufen hin, stieß einige Knechte auf den Scheiterhaufen zu, nahm die Königin bei der Hand und führte sie aufs Schloß. Sie schalt ihren Vater und sagte, er lohne es der Königin schlecht, da sie ihr in ihrer Not habe helfen wollen, sie von ihrem schicksalsschweren Zauber zu lösen. Da sagte der König, das habe er nicht gewußt, er habe im Gegenteil geglaubt, die Königin habe sie mit dem Schlosse verbrannt. Es verging nun einige Zeit.

Da kam eines Tages ein prächtig gekleideter Mann auf rotem Pferd zur Burg geritten, hielt um Ingeborg an und bekam sie auch. Dann wurde ein schönes Hochzeitsfest gefeiert.

Kurz darauf gebar sie ein Kindlein, und nun wußte sie, daß ihr Mann der Vater ihres Kindleins und der Riese in der Hütte war. Er war dort verzaubert gewesen und war der Bruder der Königin. Sie liebten einander bis in ihr hohes Alter und bekamen nach dem Tod des Königs das Reich und allen Reichtum.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt