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Isländische Märchen


Illustrationen von Angelika Winkler

Märchen europäischer Völker


Die Mühle, die alles mahlt

Es wohnte einmal ein reicher Mann auf einem großen Gehöft; er hatte eine Frau und zwei Söhne, die selber schon verheiratet waren zu dieser Zeit. Der eine war reich wie sein Vater und hatte vier Kinder; der andere war arm und lebte meist nur von dem, was er aus der väterlichen Wirtschaft empfing. Da starb der Vater und die Söhne teilten das Erbe. Der reiche nahm den Hof und fast alle andern Güter, denn er meinte, der Bruder habe das Seinige längst schon aufgegessen. Er wohnte nun auf dem Gehöft, und der arme Bruder kam dann und wann aus dem Vorwerk, um sich das Nötigste zu erbitten wie vorher bei den Eltern. Meist gab ihm der Bruder etwas, wenn auch eben nicht gern, und fristete ihm und seinem Weibe so das Leben.

Einmal hatte nun der reiche Bauer einen fetten Ochsen geschlachtet, und der arme freute sich schon, daß er etwas davon bekäme. Sein Weib lachte ihn aus und sagte, er würde nichts anderes als Schimpfworte erhalten. Er ging aber doch hin, der Ochse war schon zerlegt, der reiche Bruder lief auf und ab dabei. Da bat ihn der arme um etwas Suppenfleisch. Der reiche war sehr unwillig und wollte ihm von seinem Ochsen nichts abgeben. Als jener aber gar nicht aufhörte zu betteln, nahm er die eine Ochsenkeule und warf sie ihm zu mit den Worten: »Fahr du zum Teufel mit der Keule da!«Jener nimmt die Keule und geht heim; sein Weib wollte sie gleich in den Topf bringen. Aber der Mann sagte, er müsse damit zum Teufel gehen, erzählte, wie er sie erhalten habe, und erbat Proviant und neue Schuhe für die Reise. Die Frau schalt ihn



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einen Narren, aber schließlich mußte sie ihn ausrüsten, so gut sie konnte. Er wanderte lange, lange, ohne zu wissen wohin. Da kam ein Mann und fragte ihn, wohin er mit der Ochsen keule wolle, und als er es ihm sagte, fragte er ihn wieder, ob er denn wisse, wo der Teufel sei. Da er das nicht wußte, gab ihm der Fremde ein Knäuel, das solle er an dem einen Ende festhalten, dann werde es vor ihm her bis zu einem Hügel laufen. Er gab ihm auch eine Gerte, mit der solle er an den Hügel schlagen. Da werde sich der Hügel öffnen, er solle die Keule hineinwerfen, selber aber der Öffnung nicht zu nahe kommen. Aus der Öffnung würden zwei Handmühlen heraufkommen, die eine weiß, die andere schwarz; die weiße solle er nehmen, die andere aber nicht beachten. Dann solle er wieder den Knäuel vor sich herlaufen lassen und mit der weißen Mühle heimgehen.

Der arme Bruder dankte dem Fremden, wanderte weiter, und es ging nun alles so, wie es jener gesagt hatte. Er warf die Ochsenkeule in die Öffnung des Hügels und sagte dabei: »Hier hast du die Keule, Teufel; mein Bruder schickt sie dir!« Er ging mit der weißen Mühle von dannen, und der Knäuel führte ihn wieder zu dem Fremden. Der sagte ihm, nun müsse er ein schönes Mahlhaus um die Mühle bauen, dann werde sie von selber mahlen, er müsse nur sprechen:

»Mahle du weder Malz noch Salz,
und mahle im Namen des Herrn!«


***
Dann trennten sie sich; es war aber der fremde Mann ein Engel gewesen. —Der arme Bruder kam wieder nach Hause, zimmerte ein prächtiges Mahlhaus, und die Mühle mahlte nun alles, Speisen und was sie sonst zum Leben brauchten. Einmal aber kam der Mann auf den Gedanken, sich Gold mahlen zu lassen. Er sagte den Spruch, und die Mühle mahlte pures Gold. Da wurde er in kurzer Zeit ein reicher Mann, und nun wollte er sein Gold, obwohl sein Weib das für töricht und überflüssig hielt, mit einem Scheffelmaß messen. Da sie selbst keins hatten, ging er zu seinem Bruder, eins zu holen. Der gab es ihm auch, aber des Bruders Frau wollte wissen, was jene zu messen hätten, und hatte vorher Harz hineingeschmiert, und als sie es wieder zurück erhielt, sah sie, daß überall Goldsand hängen geblieben war. Sie sagte das ihrem Mann; dem war auch schon aufgefallen, daß der Bruder solange nicht betteln gekommen war, daß sie wohlgenährt aussähen und sich



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ihre Schafhürden auch schon vergrößert hatten. Er ging zu seinem Bruder, und der erzählte ihm nun alles der Wahrheit gemäß, wie er zu der Mühle gekommen sei.

Da setzten es sich der reiche Bauer und sein Weib in den Kopf, in den Besitz der Mühle zu gelangen. Sie wollten dem armen das ganze Gehöft dafür geben, alsdann sich ein Schiff kaufen und mit der Mühle außer Landes gehen. Schließlich ging der Mann seinem Bruder zuliebe auf den Handel ein und bezog das Gehöft. Jene aber fuhren mit der Mühle auf dem gekauften Schiff ab. Sobald sie ein Stück gefahren waren, wollten sie Speise mahlen lassen, und der Mann sagte den Spruch:

»Mahle du weder Malz noch Salz,
und mahle im Namen des Herrn.«


***
Aber die Mühle stand still, was er auch tat und sprach. Da ward er zornig über die Mühle und sprach voller Wut:
»Mahle du beides, Malz und Salz,
und mahle in des Teufels Namen!«


***
Da fing die Mühle an und mahlte beides, Malz und Salz, bis das Schiff zum Sinken überladen war. Sie ließ sich durch nichts zum Stillstehen bringen, und schließlich ist das Schiff untergegangen mit allem, was darauf war, und ward niemals wiedergesehen. Der Teufel war erfreut über die sechs Seelen, die ihm der Handel eingebracht hatte, aber der andere Bruder führte fortab mit seiner Frau ein frommes und Gott wohlgefälliges Leben.

Copyright: arpa, 2015.

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