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Isländische Märchen


Illustrationen von Angelika Winkler

Märchen europäischer Völker


Bjarni und Salwör

Ein Bauer im Skagafjord, namens Swein, hatte zwei Kinder, einen Sohn Bjarni und eine Tochter Salwör. Diese waren etwa zwanzig Jahre alt, als die Geschichte sich zutrug, und hingen mit der treuesten Liebe aneinander. Einmal wollten sie um Johanni beide mit den Leuten hinauf in die Berge, um Kräuter zu suchen. Aber in der Nacht zuvor träumte Swein, daß er zwei weiße Vögel besitze, an denen sein ganzes Herz hänge, da kam ihm das Weibchen abhanden, und er vermißte es gar sehr. Swein glaubte, der Traum bedeute den Verlust seiner Tochter und wollte sie nicht mit zum Kräutersammeln ziehen lassen. Sie aber bat so lange, bis der Vater nachgab. Nun sammelten sie im Gebirge den ersten Tag ihre Kräuter wie alle andern, dann aber wurde Salwör plötzlich krank, und Bjarni saß drei Tage bei ihr, am vierten aber überließ er die Hut einem andern, ging allein hinaus und setzte sich betrübt unter einen Stein. Nicht lange, da hörte er Hufschlag und zwei Reiter kamen auf ihn zu, der eine rotgekleidet auf einem Fuchs, der andere dunkel auf einem Braunen. Sie grüßten ihn bei seinem Namen, und der Rotrock fragte ihn nach dem Grund seiner Betrübnis und danach, ob er ihm nicht seine Schwester geben wolle. Und als Bjarni das nicht wollte, zog er eine kostbare Dose hervor und wollte um sie die Schwester kaufen. »Nein«, sagte Bjarni, »ich gebe sie dir nimmermehr, was du mir auch bietest.« Da gab ihm der Rotrock die Dose wenigstens zur Erinnerung, und darauf trennten sie sich.

Am folgenden Tage gingen die Skagafjordleute zurück und die Geschwister blieben allein im Gebirge. Bjarni fürchtete, die beiden Fremden könnten ihm die Schwester stehlen, und wagte es nicht mehr zu schlafen. Aber in der Nacht übermannte ihn die Müdigkeit, er schlief an ihrer Seite ein, indem er sie fest umarmt hielt -aber als er erwachte, war Salwör fort. Und alles Suchen von Bjarni und dann auch von den andern Leuten war und blieb vergebens.

Nach zehn Jahren, als Bjarni längst verheiratet und selbst Bauer geworden war, verschwand einmal im Herbste all sein Vieh. Schließlich ließ sich Bjarni von seiner Frau Proviant und Schuhe geben und machte



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sich selbst auf die Suche. Am Morgen des vierten Tages geriet er in dichten Nebel und verirrte sich gänzlich. Endlich traf er in einem Tale einen schönen großen Hof. Die Leute waren vor der Umhegung mit Mähen beschäftigt, aber ein junges schönes Mädchen, das dem Bjarni gar sehr seiner Schwester Salwör zu ähneln schien, führte ihn in den Hof. In einem großen schönen Zimmer trug sie ihm Wein und Speise auf, führte ihn sodann in ein kleines Haus, wo sein Bett schon bereit stand, zog ihm die Regenkleider ab und wünschte ihm gute Nacht. Am andern Morgen erwachte er durch die Hausandacht, die die Leute über seiner Schlafkammer abhielten, und in einer der singenden Stimmen glaubte er die seiner Schwester Salwör wiederzuerkennen. Dann schlief er wieder ein und erwachte erst wieder, als ihm das Mädchen vom Abend zuvor gute Kleider brachte, weil es heute doch Sonntag sei. Während er sich anzog, kam ein hübsch in grünes Tuch gekleideter Knabe herein, unterhielt sich zutunlich mit ihm und sagte, er müsse heute dableiben, »denn mein Vater gedenkt heut Kirche zu halten«. Der Knabe hieß Swein, aber das Mädchen wies ihn zurecht und brachte dem Bjarni sein Frühstück. Dann führte ihn der Knabe zur Kirche. Bjarni nahm Platz, und wie er sich seinen Nachbar beschaute, so war das der Rotrock. Und der Geistliche war der von dazumal in den dunklen Kleidern. Die Leute in der Kirche waren groß und von üblem Aussehen, meist in Kleidern aus schwarzer Schafwolle. Bjarni zog seine kostbare Dose und bot seinem Nachbarn eine Prise, die nahm dieser an. Vorn in der Kirche saß eine schön geschmückte Frau, und Bjarni meinte, daß das seine Schwester sei. Sie sahen einander an, und es schien ihm, daß sie abwechselnd bald weine, bald lache. Da wußte Bjarni, daß er hier bei seiner Schwester war. Der Gottesdienst ging schön vonstatten, und der Knabe führte den Bjarni wieder hinaus. Ein böser Alter saß vor der Tür und streckte ein Bein vor, so daß Bjarni stolperte. Da holte der Knabe den Rotrock herbei, und der prügelte den Alten tüchtig durch. Den Bjarni führte der Knabe heim.

Nach einiger Zeit kamen der Rotrock und der Schwarzrock und fragten ihn freundlich, ob er sie wiedererkenne. Er sagte ja, da kam auch die Frau herein, die er für die Schwester gehalten hatte, umarmte ihn und sagte: »Im Mutterleibe waren wir zusammen, und weinend wurde ich aus deinem Arme genommen; jetzt komme ich lachend dahin zurück, mein Bruder!« Da geschah nun eine freudige Begrüßung, und der Rotrock sprach: »Ich war es, der deine Schwester dir aus dem Arm



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nahm und sie diesem Schwarzrock gab. Er ist mein Sohn und unser Pfarrer hier im Tale; ich aber bin der Statthalter. Ich habe dein Vieh entführt und dich hierher gelockt, damit ihr Geschwister euch wiedersehen möchtet. Morgen gebe ich dir dein Vieh zurück und werde dich begleiten.«Am andern Morgen schieden die Geschwister voneinander; auch der Schwarzrock begleitete den Bjarni bis an das bewohnte Land. Sie versprachen, einander gute Freundschaft zu halten, und der Schwarzrock sagte, im Frühjahr werde er nach ihm senden, er möge sich um die Zugtage zur Reise rüsten, »denn du sollst hier bei uns im Tale wohnen!«

Bjarni hieß daheim seine Leute über alles schweigen, was er ihnen erzählte. Und wirklich, als im Frühjahr die Zugtage kamen, erschienen drei Männer mit Lastpferden bei Bjarni. Bei Nacht zog er mit seinem ganzen Hauswesen ab, mit Weib und Kind und Eltern. Sie erreichten glücklich das Tal und wurden freudig begrüßt. Lange lebte Bjarni hier. Aber als er alt wurde, kehrte er in den Skagafjord zurück und hat dort vor seinem Tode die ganze Geschichte erzählt.


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