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Isländische Märchen


Illustrationen von Angelika Winkler

Märchen europäischer Völker


Haha, die Bauerntochter

Einmal zogen eine Anzahl Leute aus dem Skagafjord, Männer und Frauen, zur Kräutersuche ins Gebirge und wohnten in Zelten südlich auf der Heide. Eins von den Mädchen hieß Halla. Sie war die Tochter eines Bauern aus dem Fjord, sehr hübsch und eben zwanzig Jahre alt. Nun wurde sie einmal sehr schläfrig bei der Arbeit, legte sich an einem Hügel nieder, die andern waren im großen Umkreis um sie, und bat ein anderes Mädchen, sie bald wieder zu wecken. Sie schlief schnell ein, aber ein starker Nebel fiel, und als sie wieder erwachte, sah sie niemanden. Sie erschrak und wollte zu den Kräutersuchern laufen, schlug aber eine falsche Richtung ein. Sie lief ziemlich lange, dann traf sie einen reitenden Mann, groß und kräftig. Er fragte sie, warum sie so allein sei. Sie erzählte ihm alles: »Hast du etwa meine Leute gesehen?« —»Ja«, sagte er, »eben erst; ich selbst bin auf der Pferdesuche im Gebirge. Soll ich dich zu deinen Leuten bringen?« — »Ja«, sagte sie. — »So setz dich hinter mir aufs Pferd!« Zuerst wollte sie nicht, aus Angst vor dem Mann, sondern lief lange nebenher; dann sagte er, wenn sie aufstiege, würde es flotter gehen. So stieg sie denn auf; nun ließ er sein Pferd laufen und ritt so schnell, wie es ging. Schließlich kommt ihr der Weg viel zu lang vor. Der Mann sagte, sie seien gleich da. Da fügte sie sich in alles, denn sie sah, sie war in seiner Gewalt. Endlich kamen sie in ein großes Tal mit vielen Gehöften, und vor dem größten hielten sie. Darin fanden sie viele Leute, darunter zwei junge, kampftüchtige Männer. Zu denen sprach ihr Entführer: »Nehmt nun das Mädchen und hütet sie nicht schlechter, als ich sie gewonnen habe.« Sie übergaben sie zwei jungen Mädchen, die waren heiter und fröhlich und suchten ihr alles zu Gefallen zu tun, aber sie war so unglücklich und wollte nicht schlafen



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noch essen. Aber sie gaben stark acht auf sie und nahmen sie beim Schlafen in ihre Mitte. Haha bemerkte noch eine alte Frau auf dem Hofe, die sich um nichts kümmerte, was vorging. Im Sommer fuhr Halla mit ins Heu, und eines schönen Tages, als alle mit dem Binden des Heues beschäftigt waren, machte sich die Alte an Haha heran und sprach: »Dir gefällt's hier nicht, Mädchen, begreiflicherweise. Aber ich werde dir helfen, davonzukommen. Du bist nämlich hier im Untatenfelslan'd, das hat sieben Täler. Dies ist das größte und volkreichste und liegt in der Mitte. Die drei Männer, die du gesehen hast, sind hier die höchsten, die wollen in wenigen Tagen mit dir und den beiden Mädchen, die dich im Sommer bewacht haben, Hochzeit halten.

Die Talbauern haben gewettet, daß kein Mädchen hier oben so schön sei wie du, und deshalb haben sie dich geraubt. Es ist aber natürlich, daß es dir hier bei den Achtern nicht gefällt; ich bin auch geraubt und weiß, was das heißt, sich von den Seinigen trennen zu müssen. Jetzt gefällt's mir ganz gut, und ich lebe ja auch nicht mehr lange. Dir aber will ich jetzt raten, wie du davonkommst. Geh heute abend vor allen andern zu Bett und stelle dich gleich schlafend. Dann steh auf, wenn sie schlafen, ich werde dir Proviant und Schuhe geben und den Weg zeigen!« Das gefiel der Halla wohl. Sie war den Tag über wohlgemut, ging am Abend früher heim als die andern, legte sich zu Bett und stellte sich schlafend, als die andern kamen. Die Leute dachten, sie wäre müde; die Mädchen legten sich neben sie und schliefen fest.

Da stand Haha wieder auf und zog sich an. Die Alte gab ihr Proviant und Schuhe und sagte: »Geh hier-ostwärts im Tal und auf den Berg dort zu, südlich an ihm vorbei. Da wirst du auf einen Fußpfad stoßen. Wenn du den gehst, kommst du an einen großen Erdsturz und auf einen breiten, guten Weg, der dich ins bewohnte Land führt. Am Erdsturz bist du, wenn die Sonne aufgeht, und dort sollst du dich morgen verbergen. Denn man wird dir nachspüren, und wenn du nicht gefunden wirst, werden die Talbewohner um ihre Wette kämpfen. Denn dann haben sie dich nicht selbst und wissen nicht, wer gewonnen hat. Fahr nur wohl und gesund, liebe Tochter, leb wohl und flieh recht schnell!« Haha dankte ihr, und sie trennten sich unter Tränen. Halla fuhr nach der Weisung der Alten, und die Alte ging zurück in den Hof.

Halla kam an den Fußpfad, an den Erdsturz, da ging die Sonne auf, und sie verbarg sich hinter einen vorhängenden Stein an dessen Rand. Nach kurzer Zeit hörte sie Geräusch und Männerstimmen. Eine Menge



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Leute ritten vorbei, die hatten es eilig und sprachen von ihr, einige meinten, sie würde wohl südlich über das Lavafeld gelaufen und umgekommen sein. Dann verstrich der Tag. Abends kamen sie zurück. Einer von ihnen stieg ab bei dem Erdsturz, wo Halla lag.

Es war ein junger, hübscher Mann, er sagte: »Hier dürfte sie stecken!« lief über den Erdsturz und schaute unter den Stein. Halla erschrak heftig und verhielt sich ganz still. Der Mann lief wieder zurück und sagte: »Auch hier ist sie nicht!«Dann ritten sie fort, und Haha stand auf und lief weiter. Sie kam ins bewohnte Land und an eine Pfarrei. Dort bat sie den Pfarrer um Aufnahme und erzählte ihm alles. Er nahm sie gern auf den Winter über, und im Sommer blieb sie um Lohn. Der Pfarrer hatte noch eine andere Magd, und die beiden Mägde waren viel zusammen. Da kamen im Sommer zwei Männer zum Pfarrer und baten, sie in Arbeit zu nehmen. Das tat der Pfarrer. Der eine war ältlich, häßlich und böse, der andere jung und hübsch und hieß Björn. Einmal, als Halla ihnen ihr Essen brachte, sagte der ältere: »Gut wäre es zu schlachten, eine Lust wäre es abzustechen«, aber Björn sagte: »Still oder ich erschlag dich!«Halla erschrak und lief heim, erzählte es dem Pfarrer und sagte, sie wage es nicht dazubleiben, solange jene hier seien. Der Pfarrer meinte, man könne dem leicht durch einen Magdtausch abhelfen, und so kam Halla auf das nächste Gehöft. Hier hatte sie mit einer andern Magd zu melken. Nun lag ein großer Felsblock im Gehege zwischen dem Stall und dem Gehöft, so daß man von hier nicht dahin sehen konnte. Einmal nun trug die andere Magd die Milch heim, aber Halla blieb zum Nachmelken zurück. Da kam ein Regenschauer, die Magd kam nicht mehr wieder, und Halla stellte sich an dem Felsen unter. Da kam Björn hinzu und grüßte sie. Sie grüßte wieder, war aber mächtig erschrocken. Björn sagte ihr, er sei es gewesen, der damals über den Erdsturz lief, »und ich sah dich wohl, aber ich wollte nichts sagen. Der Mann, der mich begleitete, wollte dich töten, weil er seinen Sohn in einem Streite verlor, der um deiner Schönheit willen unter den Talbewohnern ausgebrochen war. Ich aber will dich schützen, wenn du mich dafür belohnst, daß ich dich im Erdsturz sah und doch schwieg, und mir Treue gelobst.«Halla getraute sich nicht, nein zu sagen, dann trennten sie sich und trafen sich seitdem öfter. Nach der Heuernte zogen die Arbeiter ab, aber im Winter kam Björn zum Pfarrer und bat um Siedlungsland und eine Haushälterin; Halla hatte dem Pfarrer alles gesagt, auch daß sie ein Kind von Björn unterm Herzen trage. Da



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schlug ihm der Pfarrer die Halla als Haushälterin vor, und es wurde abgemacht, daß er sie im Frühjahr heiraten und einen Hof im Bezirk übernehmen solle. Noch im Winter sollte er die Eltern der Halla von allem benachrichtigen, was vorgefallen war. Björn fuhr in den Skagafjord, richtete alles aus und erhielt die Einwilligung der Eltern. Im Frühjahr kam er wieder zurück, heiratete Halla und siedelte sich dort im Bezirke an. Seine Milchschafe und Hammel holte er im Herbst und Frühjahr aus dem Untatenfeisland. Er hatte zwei Söhne von Haha, aber da€ sind recht unbillige und unfreundliche Männer geworden.


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