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Isländische Märchen


Illustrationen von Angelika Winkler

Märchen europäischer Völker


Asmund Südfahrer

Asmund hieß ein Mann. Er stammte aus dem Skagafjord, war flink und tüchtig und zur Zeit dieser Geschichte etwa zwanzig Jahre alt. Da er im Winter immer zum Fischfang mit seinen Genossen nach der Südküste fuhr, wurde er der Südfahrer genannt. Als sie wieder eines Winters südwärts fuhren und zur Nacht auf Melar im Hrutafjord waren, wurde Asmund schwer krank. Seine Gefährten warteten den Tag über auf ihn, aber er hieß sie ihres Weges fahren, denn er werde schon nachkommen. Da fuhren sie weiter, Asmund aber blieb zurück. Tags darauf war er wirklich wieder gesund und machte sich nun allein auf den Weg. Das Wetter war gut, aber als er südwärts mitten auf die Heide gelangte, kam ein großer Schneesturm und Asmund sah nicht mehr, wohin er fuhr. Er verirrte sich, und wie er das merkte, lud er seine Pferde ab, grub sich in einen Schneehaufen ein und baute mit den Gepäckstücken die Tür dieser Schneehütte aus. Die Pferde koppelte er zusammen, kroch selbst in sein Schneehaus und machte sich ein Fenster auf der windstillen Seite, so daß er nach dem Wetter ausschauen konnte. Dann nahm er seinen Proviant und hielt Mahlzeit. Aber da erschien ein braunroter Hund am Eingangsloch und wühlte sich hinein. Der Köter sah bissig und grimmig aus, und wurde mit jedem Bissen, den Asmund aß, wütender. Asmund kümmerte sich um den Hund weiter nicht, gab ihm aber einen großen Schafsschenkelknochen. Mit dem lief der Köter hinaus. Kurz danach trat ein großer ältlicher Mann an die Tür, grüßte Asmund und dankte ihm für sein Hündchen.

»Bist du nicht Asmund Südfahrer?«fragte er. »So nennt man mich«, sagte Asmund. »So laß ich dir zwischen zwei Dingen die Wahl«, sagte der Ankömmling, »entweder mir zu folgen, oder der Schneesturm hört nicht eher auf, bis du tot bist. Denn du mußt wissen, diesen Schneesturm hab ich gemacht und ebenso deine Krankheit. Denn ich wollte dich treffen, weil ich sonst keinen tapfereren Mann im Bezirk kenne!« Asmund sah ein, ihm bliebe gar keine Wahl, und er meinte, er wolle ihn lieber begleiten als in der Schneewehe sterben. »So komm denn!« sagte der Mann. Asmund brach auf, und das Wetter besserte sich. Der Mann ging voraus, und Asmund führte die Pferde; wohin es ging, wußte er nicht, so sehr war er in der Irre. Nach längerer Zeit kamen sie in ein kleines Tal. Ein Wasser lief in der Mitte, und Asmund wunderte sich darüber, daß die Erde auf der einen Seite rot, auf der andern



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ganz weiß von Schnee war. Auch war ein Gehöft auf jeder Seite. Sie gingen zu dem Haus auf der schneeigen Seite. Der Mann zog die Pferde in den Stall und gab ihnen Futter, dann führte er Asmund in die Badestube. Ein altes Weib und ein junges, hübsches Mädchen waren darin, sonst sah er keinen Menschen dort. Er grüßte sie, und die Alte wies ihm seinen Sitzplatz an. Aber alsbald gingen der Mann und das Mädchen hinaus, und Asmund blieb allein mit der Alten. Die Alte brummelte immerfort vor sich hin: »Es ist ein Unglück, wenn man keinen Tabak hat!« Da nahm Asmund ein Stück Tabak aus seiner Tasche und warf es ihr hin; sie fing es auf und war froh. Dann kamen der Mann und das Mädchen wieder herein und sie brachten ihm Essen. Asmund aß, und der Mann unterhielt sich fortwährend mit ihm und war ganz vergnügt! Als aber Asmund mit dem Essen fertig war, gingen der Mann und das Mädchen wieder hinaus. Asmund glaubte, sie würden zusammen ausmachen, wie sie ihn wohl umbringen könnten. Dann kam der Mann wieder zurück und hieß Asmund schlafen gehen. Er war dazu bereit, der Alte führte ihn in die Kammer, darin ein Bett bereit war, bot ihm gute Nacht und ging. Das Mädchen zog ihm die nassen Kleider ab und wollte auch seine Strümpfe und Schuhe mit wegnehmen, aber Asmund bat sie, das nicht zu tun, denn das kam ihm verdächtig vor. Aber das Mädchen beruhigte ihn, küßte ihn und wünschte ihm gute Nacht.

Dem Asmund kam seine Aufnahme in dem Achterhaus seltsam vor, aber der Kuß hatte ihm behagt. Dann schlief er schnell ein und erwachte erst wieder, als es bereits Tag war und der Mann neben ihm stand. Der bot ihm guten Morgen und sagte, er wolle ihn jetzt um das bitten, weswegen er ihn geholt habe. »Die Sache ist die«, sagte er, »vor zwanzig Jahren habe auch ich im Bezirke gewohnt. Dann bekam meine Schwester ein Kind von mir, da mußte ich fliehen und kam hierher. Die Alte von gestern abend ist meine Schwester, das Mädchen aber, das dich bedient hat, ist unser Kind. Als ich hierher kam, waren schon Achter hier, drüben in dem andern Gehöft, zwei Mann, und die wohnen noch heute darin. Sie sind immer meine Feinde gewesen, doch habe ich mich immer vor ihnen erwehren können bis jetzt, nun aber geht es nicht länger, denn jetzt sind sie mächtiger als ich und lassen allen Schnee, der im Tale fällt, auf meine Seite fallen. Ich hatte immer meine Schafe auf ihrer Seite weiden lassen, aber jetzt bin ich dazu nicht mehr Manns genug. Ich möchte dich nun bitten, gleich heute mit meinen Schafen über den Bach zu ziehen und sie drüben zu hüten. Ich weiß, du bist tapfer, aber das



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ist auch not, denn sie werden beide kommen, meine Feinde, und glauben, ich sei selber beim Vieh. Du kannst auch meinen braunroten Hund mitnehmen, der wird dir nützlich sein!«

Asmund stand auf, zog mit den Schafen ab, und der Mann gibt ihm seinen Kapuzenmantel mit, sich darin einzuhüllen, und seine Axt, sich zu wehren. So wie er drüben ist, kommen ihm die beiden Achter entgegengelaufen und rufen: »Jetzt muß er sterben!«, denn sie glauben, es sei der Alte. Als sie dicht bei ihm sind, sagen sie freilich: »Das ist ein anderer, als wir dachten.« Aber sie sprangen doch auf ihn ein und griffen ihn an. Asmund hetzte den Braunen auf den einen und nahm selbst den anderen an. Der Hund zerriß seinem Gegner den Bauch und lief dann gegen den andern: der unterliegt ihnen beiden. Bis zum Abend blieb Asmund nun bei den Schafen, dann trieb er heim und traf den Mann, der ihm entgegenkam, ihm herzlich dankte und sagte, er habe alles mit angesehen. Tags darauf gingen sie beide zum Gehöfte der Achter. Es war ein schönes, geräumiges Hauswesen; viel Gut fanden sie darin, aber keinen Menschen. Sie untersuchten den ganzen Hof, bis sie vor eine Tür gelangten, die sie nicht öffnen konnten. Asmund trat sie ein, da kamen sie in ein kleines Nebenhaus und fanden dort eine Frauensperson, hübsch und anmutig. Mit den Haaren war sie an einen Balken gebunden, ganz bleich und mager geworden. Asmund band sie los und fragte sie, wer sie wäre. Sie sagte, sie sei eine Bauerntochter aus dem Inselfjord, von den Achtern geraubt, die sie hätten zwingen wollen, einen von ihnen zu heiraten. Da sie das nicht wollte, hätten sie sie hier festgebunden und gemeint, so würde sie schon kirre werden. Da erzählte ihr Asmund alles und sagte, sie sei nun bei guten Leuten. Da wurde sie froh und fühlte sich aus aller Gefahr gerettet.

Sie brachten nun alles aus der Hütte des Mannes hinüber nach diesem Hof und blieben hier den Winter über. Alles behagte dem Asmund, der Mann und die Mädchen, besonders des Mannes Tochter. Sie lernte verschiedene Kunstfertigkeiten von dem Mädchen aus dem Inselfjord. Im Frühjahr sagte der Mann zu Asmund, er könne jetzt heimkehren, solle im Herbst aber wiederkommen, denn dann werde er gestorben sein. Er bitte ihn, dann seine Tochter und seine Schwester, wenn sie noch lebe, sowie das Inselfjordmädchen zu sich zu nehmen und ebenso alles, was er hier Kostbares finde. Dann fuhr Asmund fort nordwärts zum Skagafjord.

Die Leute glaubten, er sei von den Toten zurückgekehrt; aber er sagte



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keinem, wo er den Winter über gewesen war. Im Herbst zog er wieder fort und kam zu den Mädchen im Tal. Die empfingen ihn froh, aber die beiden Alten waren inzwischen gestorben und in einem Hügel dort am Abhang begraben worden. Den Winter über blieb er bei ihnen, aber im Frühjahr machte er sich auf und fuhr mit der ganzen beweglichen Habe nordwärts in den Skagafjord. Dort siedelte er sich an und heiratete die Tochter des Alten, das Inselfjordmädchen aber gab er einem andern Mann aus dem Bezirke. Damit endet die Geschichte von Asmund Südfahrer.


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