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Isländische Märchen


Illustrationen von Angelika Winkler

Märchen europäischer Völker


Das Elbenmädchen

Geir hieß ein Mann, der zu Raudafell wohnte und dort einen guten Hof hatte. Er war jung und hatte erst vor kurzem seine Frau verloren. Einmal als seine Leute beim Heuen waren, sah er, wie ein junges, hübsches Weibsbild kam, und ohne ein Wort mit den Leuten zu sprechen, half sie bei der Arbeit mit, und diese ging sogleich flink vonstatten. Am nächsten Tag kam sie wieder, und so ging es den ganzen Sommer durch; nie sprach sie ein Wort, und niemand wußte, woher sie kam und wohin sie ging. Aber schließlich ging der Bauer zu ihr hin, grüßte sie und dankte ihr für ihre Arbeit. Sie nahm das wohl auf. Sie sprachen lange zusammen, und es kam so, daß der Bauer ihr anbot, bei ihm Haushälterin zu sein. Dann verschwand sie, aber am nächsten Morgen kam sie wieder und hatte nur eine große Truhe bei sich. Die Truhe wurde ins Frauengemach gestellt. Das Mädchen nahm den Haushalt an sich, war flink, stand ihm trefflich vor und gefiel dem Bauern wohl. Aber sie wollte ihm nicht sagen, woher sie kam, und sagte nur, daß sie Una heiße. Niemals ging sie zur Kirche, wie sehr auch der Bauer ihr zuredete. Das war das einzige, was ihm nicht an ihr gefallen wollte, denn er war ein frommer Mann.

Nun ging der Winter vorbei bis zum Weihnachtsfest. Die Leute gingen zum Abendgesang, Una wollte nicht mitgehen, sondern blieb allein zu Hause, und als die Kirchgänger am Morgen heimkamen, fanden sie sie fertig zu ihrer gewöhnlichen Arbeit. So blieb Una drei Jahre bei dem Bauern und wurde ihm sehr lieb; nur das eine grämte ihn sehr, daß sie nicht zur Kirche ging. Ober ihre Herkunft hatten die Leute verschiedene Ansichten, aber darüber waren sie sich alle einig, daß sonst kein so tüchtiges Frauenzimmer wäre in dem ganzen Bezirk wie Una. Nun kam das dritte Weihnachten heran, und Una blieb wieder daheim. Aber wie die Kirchgänger gerade aufgebrochen waren, da wurde es zufällig einem Knechte übel. Erst legte er sich nieder, aber schließlich ging er wieder zum Gehöft. Da sieht er, wie Una das Gehöft fegt und reinigt



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und sich mächtig mit der Arbeit beeilt. Er versteckte sich, daß sie ihn nicht bemerkte. Als sie mit aller Arbeit fertig war, ging sie ins Frauengemach und schloß ihre Truhe auf, nahm ein wunderschönes Kleid heraus und zog es an. Der Knecht meinte, niemals ein so schönes Frauenzimmer gesehen zu haben.

Auch zog sie eine rote Decke aus der Truhe hervor und nahm sie unter den Arm. Dann verschloß sie die Truhe, ging hinaus, schloß auch das Frauengemach ab, lief den Anger hinab und der Knecht ihr nach. Sie stand nicht eher still, bis sie an ein kleines Moor gekommen war; dort breitete sie die rote Decke aus und stellte sich darauf. Der Knecht kam mit genauer Not noch auf einen Zipfel der Decke. Sogleich sanken sie in die Erde hinab, und das war wie Rauch, als sie da fuhren. Una bemerkte den Mann nicht, und so kamen sie beide auf einen grünen Anger. Da nahm Una das Tuch unter den Arm. Der Knecht erblickte ein prächtiges Gehöft auf dem Anger, dahin ging Una und er hinterher. Dort war eine große Schar von Leuten, die ihr entgegenkamen und sie bei den Händen faßten.

Ein schönes prächtiges Mahl war bereitet. Die Leute setzten sich nieder, und Speise wurde aufgetragen: verschiedene Gerichte und Wein, alles sehr üppig. Der Knecht erwischte ein Rippenstück von gedörrtem Schaffleisch: so fett, wie er in seinem ganzen Leben noch keins gesehen hatte. Nach dem Mahle wurden verschiedene Spiele gespielt, alles kunstvoll und schön. Aber gegen Morgen sagte Una, daß sie nun heimfahren müsse, denn bald käme der Bauer von der Kirche. Sie verabschiedete sich von allen mit großer Freundlichkeit und lief weg. Der Knecht lief hinter ihr her und wieder mit auf die Decke. So kamen sie auf die Erde, zu dem Moor; Una nahm das Tuch, ging heim in die Kammer, schloß Kleid und Decke ein und ging in den Hof. Der Knecht immer hinter ihr her, legte sich dann aber nieder.

Nun kam der Bauer aus der Kirche und fragte den Knecht, wie es ihm ginge. Der sagte, schon um vieles besser. Una empfing sie wohl, und man setzte sich zu Tisch. Es gab auch hier Dörrfleisch nach des Landes Brauch. Da nahm der Bauer eine große Schafseite und sagte: »Hat eins von euch schon mal eine so große Schafseite gesehen?« — »Kann schon sein«, sagte der Knecht und zeigte das Rippenstück vor, das er in der Nacht erwischt hatte. Als aber Una das sah, verfärbte sie sich, lief schweigend fort, und niemand hat sie je wiedergesehen. Der Knecht aber erzählte, wohin er am Tage zuvor gereist war.


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